Sie betrachtete ihren schlafenden Mann. Immer noch fiel es ihr schwer, sich vorzustellen, dass dieser Mann der von allen Franken so gefürchtete Normanne Rollo war. Welche Stärke besaß er, die ihn zum Ersten unter all diesen starken Männern machte, die sie während des vergangenen Tages und dem Siegesfest am Abend getroffen hatte? Etwas davon hatte sie wohl während des Festes in der Halle verstanden. Er hatte sich von seinem Hochsitz erhoben und zu ihnen gesprochen. Die Worte hatte sie nicht verstanden, aber sie hatte das Saugen gefühlt, die Faszination, den Enthusiasmus in den Gesichtern der anderen Normannen gelesen - und zum Schluss war der Beifall um sie herum explodiert und Rollo hatte sich nicht mehr hörbar machen können. Er war auf den Tisch gesprungen und hatte sein Horn geschwenkt, sodass das Bier nach allen Seiten überschwappte. Andere Männer taten es ihm gleich, Horn klang gegen Horn, und dann schnitt der furchtbare Schlachtruf durch die Halle.
Für einen Moment hatte sie sich bedroht gefühlt. Sie war doch ein besiegter und hergeführter Feind; vielleicht würden sie nun in ihrer wilden Freude sie dem Gott, den sie verehrten, zum Dank dafür opfern, dass er ihnen den Sieg über Bayeux so schnell und überwältigend gab? Sie hatte gehört, dass die Heiden Gefangene zu Ehren ihrer Götter erschlugen. Denis hatte den Schlachtruf der Normannen für sie übersetzt: „Thor hilf!“ Und das hatte Thor an diesem Tag wahrlich getan, während Jungfrau Maria sich von Popas Gebet abgewandt hatte, wenngleich sie in ihrer Einfalt das Gegenteil geglaubt hatte.
Dann, als sie sich am meisten ängstigte, war Rollo vom Tisch gesprungen, hatte sie von ihren Füßen gerissen und sie über seinen Kopf gehoben. Sollte das Opfer jetzt geschehen? Er war zweimal mit ihr auf gestreckten Armen erhoben um den Herd gegangen und alle hatten in die Hände geklatscht und „Popa! Popa!“ gerufen. Schließlich hatte sie verstanden, es war eine Ehrung für sie, aber auch ein Anerkennen von Rollos Wahl - aber es hatte lange gedauert, bis ihr Herz aufhörte zu klopfen. Halb erstickt vom Rauch oben unter dem Dach war sie nicht imstande, die Ehrung in ihrem vollen Wert einzuschätzen. Und eine Weile später, als die Spannung nachgelassen hatte, war sie eingeschlummert.
Der Anführer, der kaum eine Minute stille gewesen war, seit sie ihn getroffen hatte, schlief nun wie ein ruhiges Kind an ihrer Seite.
Wer von ihren Verwandten könnte das verstehen, wenn sie es berichtete! Sie verstand ja eigentlich selbst nichts. „Mirakel“, hatte er gesagt. So war es, und mehr als das.
Als Popa am Sonntagmorgen erwachte, waren Rollo und seine Männer fort. Arlette wusste nicht, wohin sie ihren Weg genommen hatten.
„Die räubern wohl irgendwo im Lande, wie sie es zu tun pflegen. Ochsen und Schweine, Weizen und Wein - es wird viel gebraucht für so viele.“
„Aber bauen sie nicht für sich selbst an und ziehen Vieh auf?“
„Sie jagen das Wild im Wald und ziehen Fische aus den Fluten, wenn sie nicht kämpfen“, antwortete Arlette, „aber anbauen? Tja, ich weiß nicht so genau.“
Besseren Bescheid erhielt Popa von Denis, den Rollo wohl freundlicherweise zu Hause gelassen hatte, um auf alle Fragen Popas antworten zu können. Obwohl sie an ihm bemerkte, er wäre lieber bei den Normannen gewesen, anstatt als ihr Lehrer Dienst zu tun.
„Gewiss bauen sie Gerste und Weizen hier und da an, wenn sie können", meinte Denis. „Viele Normannen haben ja ihre Frau und Kinder mitgenommen, und die meisten haben sich auf Höfen niedergelassen, von denen die Franken geflohen sind. Das Vieh geht halbwild in die großen Wälder, zusammen mit Hirsch und Wildschwein und alles, was sich dort befindet - man muss nur Pfeil und Bogen nehmen und hinausgehen, um sich Nahrung zu verschaffen. Aber gerecht wie es zugeht, zieht ein fränkisches Reitergefolge auf Rachepfad durch das Seineland und brennt die wenige Saat ab, die wachsen konnte. Deshalb siehst du so viel Volk in diesem Gebiet. Die Normannen sind eben einfach nicht stark genug, um zwischen ihren befestigten Lagern über das Land verstreut zu wohnen. Könnten sie in Frieden leben, glaube ich wohl, dass sie sich selbst von dem fruchtbaren Küstenland versorgen könnten. Aber solange es ehrenvoller ist, auf den Schädel eines Franken einzuschlagen als einen Acker zu pflügen, werden wir keine Änderung erleben!"
Fast einen Monat war das Heer fort; Rollo war nur herüber nach England gewesen, um seinem alten Freund Adelstan gegen seine Feinde zu helfen!
Als Rollo wiederkam, konnte Popa annehmbar dänisch mit ihm sprechen. Als sie noch einen Monat geübt hatte und die beiden jede Nacht den Verlust für den verlorenen Monat nach ihrem ersten Zusammensein wiedergewonnen hatten, wusste Popa, dass sie in anderen Umständen war: Sie war schwanger.
Rollo wurde wild vor Freude. Er drückte und drehte sie, bis sie schrie, sie würde eine Fehlgeburt bekommen, wenn er sie nicht lassen würde.
„Nun werde ich dich zum Weib nehmen“, erklärte er, als er selbst sich so weit beruhigt hatte, dass er sprechen konnte. „Nun, nachdem es sich gezeigt hat, dass du nicht unfruchtbar bist. Ich muss nur zuerst mit den Jarlen sprechen.“
„Was haben die nun mit der Sache zu tun?“, wunderte sich Popa.
„Eine so wichtige Sache geht sie alle an“, antwortete er. „Wir sind alle gleich an Macht, auch wenn ich der Erste dem Namen nach bin. Ihre Zustimmung ist für meine Nachkommen wichtig. Obwohl, sträuben sie sich, werde ich sie wohl so weit bringen, ihre Meinung zu ändern!“
Sie verzog den Mund; alle waren gleich - aber manche waren gleicher als die anderen, deutlich!
„Aber“, wendete sie ein und tat einfältiger als sie war, „wie sollen wir einen Priester dazu bringen, uns zu trauen, wenn du nicht getauft bist?“
„Wir werden nicht durch einen Priester getraut!“
„Soo? Aber da wird ja die Ehe in den Augen der Kirche und so auch unter den christlichen Franken nicht gültig.“
„Meine Eltern kamen ohne Priester aus und deren Eltern vor ihnen. So reicht das für mich auch. Und du wirst keinen Unterschied spüren.“
Aber meine Verwandten werden es, dachte sie. Und unsere Kinder. Aber sie schwieg. Trotz allem war sie seine Gefangene. Sie hätte genauso gut Arlettes Schicksal teilen können, wenn er es so beschlossen hätte.
Ganz konnte sie jedoch den Faden nicht fallen lassen. Rollo war ja kein gewöhnlicher Heide. Er wusste eine ganze Menge über den christlichen Glauben. Er hatte Reliquien an St. Vaast verschenkt. Er hatte in Jumiéges ein Kloster wieder aufgebaut. Auch wenn das nicht von Frömmigkeit sprach, deutete es mindestens darauf, dass er einen guten Eindruck im Seinetal machen wollte. Hier kommt kein gewöhnlicher Dutzendräuber. Rollo und seine Leute reißen nicht ab, sondern bauen wieder auf.
Wie Denis und sie verstehen konnten, beabsichtigte Rollo, sich in Rouen niederzulassen. Das stand mit besonderen Träumen, die er gehabt hatte, im Zusammenhang. Er hatte diese Träume einige Male erwähnt, ein bisschen zurückhaltend, hatte sie aber doch verstehen lassen, dass er in den Träumen gesehen hatte, wie er die Taufe nahm und großen Nutzen davon hatte.
Popa erdreistete sich nun, ihn daran zu erinnern. Warum ließ er sich nicht jetzt taufen? So würde er größeres Ansehen in der christlichen Welt gewinnen und vielleicht den Frieden bekommen, nach dem er trachtete.
Rollo grinste und rieb sich die Wunde in seiner Wange.
„Diese Träume können ein Irrlicht sein und genauso gut von Nifelheim kommen", antwortete er leise. „Es kann immer noch so schlecht ausgehen, dass mein Volk und ich von dem Land hier durch die Männer des Königs vertrieben werden. Und da kann es gefährlich sein, nach Halland heim zu kommen, wenn man im fremden Land zu anderen Göttern übergegangen ist. Die Götter, die im Norden herrschen, lieben solche Handlung sicher nicht und da kann es leicht geschehen, dass ich mein Glück ganz und gar verliere. Ich muss hier sicher im Sattel sitzen, bevor ich mich entschließe.“
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