Robert Heymann
Saga
Rasputin Copyright © 1917, 2019 Robert Heymann und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711503584
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Es war nicht die sensationelle Atmosphäre, die mich reizte, ein Buch über den seltsamen Mönch von Petersburg zu schreiben, von dem die Unwissenden sagen, er sei ein Abenteurer und Wüstling gewesen, während ihn besser Informierte leichthin als religiösen Fanatiker abtun.
Aber mit einem Schlagwort ist das Rätsel dieser Persönlichkeit nicht erschöpft. Und dieses dunkle Problem, das wie die Mondscheibe bleich und unheimlich über Sümpfen stand, hat mich gereizt.
Diese jedenfalls ungewöhnliche Erscheinung Rasputins konnte nur in russischen Verhältnissen gedeihen, von denen die Zentraleuropäer so oft annehmen, sie seien die unzivilisiertesten der Welt, während in Wahrheit grosse Kreise Russlands zu den überkultiviertesten zählen. Aber nach dem alten Sprichwort „les extrêmes se touchent“ liegen die Berührungspunkte nahe beisammen, und die Brücke, welche die Unkultur des weiten Russlands mit dem Raffinement Petersburgs verbindet, ist mit dem heiligen Bildnis des Zaren geschmückt, dem Ochrana und Synod als Fresken dienen. Die russische Unkultur ist stumpf und primitiv, die russische Überkultur ist die Brutstätte jener ungeheuerlichen Erscheinungen, für die uns Westeuropäern Verständnis und manchmal sogar der Glaube fehlt.
Rasputin kam aus den Niederungen, mit allen starken Instinkten unverbrauchter Volkskraft versehen, eine Bauernnatur, aber mit der feinen Witterung für erotische Vibrationen behaftet.
Damit wäre freilich das Charakterbild eines Abenteurers erschöpft, der ebensogut sich zu einem Cagliostro wie zu einem Grafen St. Germain entwickeln konnte. Aber in diesem Rasputin steckte zweifellos ein Funke des Geistes Savanarolas; er war mit einer jener verlorenen Seelen der „Wiedertäufer“ behaftet, die ewig zwischen himmlischer Ekstase und irdischem Derketokult hin und hergeschleudert werden. Rasputin ist der ewige Jude. Ahasver, der fluchbeladene, kam nach Petersburg, um seine Bestimmung am Hofe des haltlosen Zaren Nikolaus zu erfüllen. Rasputin — sagt man — ist tot. Aber Ahasver ist unsterblich. Und was mit Rasputin starb, war nur ein Begriff. Die fluchwürdige Idee aber lebt und wird eine neue Persönlichkeit schaffen. Liegt in dieser bereits durch die letzte Vergangenheit verbürgten Tatsache nicht ein Problem begründet, das wert ist, auch einmal den Romanschriftsteller zu beschäftigen?
Robert Heymann
Es ist das eigene, wunderbare Heraustreten aus sich selbst, das die Anschauung des eigenen Ich vom andern Standpunkt gestattet, welches dann als ein sich dem höheren Willen genügendes Mittel erscheint, dem Zweck zu dienen, den er sich als den höchsten, im Leben zu erringenden gesetzt hat. Gibt es etwas Höheres, als das Leben im Leben zu beherrschen, als seine Erscheinungen, seine reichen Genüsse wie einen mächtigen Zauber zu bannen, nach der Willkür, die dem Herrscher verstattet?
E. T. A. Hoffmann
Elixiere des Teufels.
Er kam — wer konnte sagen woher?
Von Sibirien, heisst es. Aber das erscheint nebensächlich.
Er hatte einen breiten Bauernkopf mit den typischen Backenknochen der Slaven. Sein dichtes Haar war beinahe blauschwarz und in der Mitte gescheitelt. So fiel es in zwei Flügeln über die Stirne, die merkwürdig hoch und gewölbt war.
Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Ein asketischer Glanz war ihnen eigen. Vielleicht war es das Licht, das in dieser merkwürdigen Seele brannte und ursprünglich heiligen Gedanken geleuchtet hatte. Diese Augen waren überschattet von starken, vorspringenden Brauen. Die Knochen des Schädels verrieten auch unter diesen Wulsten ihre Eckigkeit und Derbheit. Die Nase war nicht unedel, endete aber in leidenschaftliche Nüstern, von denen breite Rinnsale herabkrochen, die überstandene Leidenschaften bezeugten.
Der Mund war sinnlich, von einem mongolischen Barte überdeckt, der das trotzige Kinn frei liess und in dicken Spitzen in den Backenbart floss, der die Brust verbarg, eine hochgewölbte Brust, die machtvolle Schultern trug.
Er hatte einen zögernden Gang, in dem sich das Lauern der nie ruhenden Gedanken und Erwägungen kundtat.
So trat er an jenem Sommerabend bei dem Schuster Nikolai Issup ein, der am kleinen Prospekt ein Lädchen hatte. Im Vorderraum verkaufte er Schuhe und im Hinterraum betrieb er sein Handwerk.
Eben läuteten die Glocken der Kathedrale Maria Verkündigung.
Nikolai Issup erhob sich, als er die Türe des Ladens gehen hörte. Doch schon trat der Fremde in das Hinterzimmer. Der Schuster starrte ihn verwirrt an. Gewiss war der Fremde keine ungewöhnliche Erscheinung in diesem Lande und in diesem Viertel der seltsamen Physiognomien, wo der revolutionäre Geist kosmopolitische Gestalten zusammenpeitscht. Aber das Auge dieses Mannes ruhte mit einem gebietenden Ausdruck auf dem Schuster.
„Sie haben ein Zimmer frei“, sagte der Fremde.
„Ganz recht“.
„Hat es Aussicht auf die kleine Newa?“
„Ja, aber . . .“
Der Fremde setzte sich und musterte den Schuster. Dieser gab sich einen Ruck und reichte ihm die schwielige Hand.
Auch er war ein starknackiger Bauernsohn mit angegrautem Haar.
„Sie wollen hier wohnen?“
„Ja. Wollen Sie mir sagen, welche Einwendung Sie eben unterdrückten?“
„Sei nicht ungehalten, Bruder! Man muss so vorsichtig sein. Es gibt so viele Leute, die allerhand verfängliche Fragen stellen, sich einnisten, spionieren, die Harmlosesten in ihr Spinngewebe von politischen Erwägungen verstricken und verwickeln, bis der dumme Teufel von Muschik sich dem Judas an den Hals wirft und ihm seine Kümmernisse aus plaudert. Daraus wird ein Komplott, und der arme Kerl wird eines Tages nach dem Polizeibüro und nach der Festung geholt und wegen revolutionärer Propaganda angeklagt. Was das heisst, Bruder — —“ der Sprecher seufzte tief auf und warf einen Blick nach dem Laden, als wollte er sich vergewissern, dass kein unberufener Zeuge lauschte — „was das heisst, wissen wir: Kerker, Sibirien — oh, oh, Sibirien!“
Der Fremde lächelte, sein Gesicht bekam einen gutmütigen Ausdruck.
„Sibirien ist schön; Sibirien ist ein fruchtbares Land, dessen Brüste schwellen und das in melodischem Rhythmus stille, süsse Lieder der Freude atmet.“
„Du kommst aus Sibirien?“
Der Fremde schien die Frage zu überhören. Er fuhr fort:
„Wie gesagt, ich möchte von meinem Zimmer gerne auf die kleine Newa blicken. Ich möchte nachts die Lichter von Petersburg leuchten sehen. Ich habe Sehnsucht nach Petersburg. Und ich hoffe, ja ich bin sicher . . .“
Er vollendete den Satz nicht. Ein junges Mädchen trat leichtfüssig in die Werkstatt. Sie hatte — o Wunder — goldenes Haar. Das warf seine hellen Lichter noch in die dunklen Augen, die scheu den Fremden streiften.
Der Schuster nahm sie bei der Hand, küsste sie und sagte:
„Akulina, meine Nichte.“
Der Fremde erhob sich. In dem Augenblick schien er zu wachsen, eine geheimnisvolle Kraft schien ihm Fähigkeiten und Schwingen zu verleihen, die durch eine verwandte Seele ausgelöst wurden.
Akulina betrachtete den Mann mit einem forschenden Blick. Er löste die Augen nicht von den ihren. Eine geheimnisvolle Gewalt ging von ihnen aus, die der merkwürdige Mensch zu erproben schien. Akulina riss sich los, wandte sich um und sagte vernehmlich:
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