MICHAEL BOLTEN
PAUL JANES
UND DIE FLIEGE
AM TORPFOSTEN
EINE DEUTSCHE FUSSBALLER-BIOGRAFIE
VERLAG DIE WERKSTATT
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Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau
ISBN 978-3-89533-861-8
INHALT
PROLOG: Sein schönstes Spiel
Kindheit und Jugend in Küppersteg
Der Weg zum Nationalspieler
Meisterschaft und WM-Teilnahme
Olympische Spiele ohne Janes
Ein Fußballer zwischen Sport und Politik
Der beste Janes aller Zeiten
Schonposten am Jadebusen
Militärischer Einsatz in Brunsbüttel
Karriereende in Düsseldorf
Trainer in der Provinz
Gastronom in Leverkusen
Die letzten Jahre als Privatier
Nachruhm
ANHANG
Paul Janes – Sein Leben in Zahlen
Länderspiele
Anmerkungen
Literatur und Quellen
Dank / Fotonachweis
Zum Autor
„Wat man werden kann?
Werden kann man nischt.
Athlet kannste werden!“
(Berliner „Bollejunge“ zu Beginn der 1930er Jahre)
Paul Janes im Repräsentativtrikot der Fortuna, Ende der 1930er Jahre.
PROLOG
SEIN SCHÖNSTES SPIEL
Im April des Jahre 1942 reiste der Fußballnationalspieler und Befehlsübermittler bei der Marineflakabteilung 212, Paul Janes, von seinem Standort Wilhelmshaven ins schwäbische Ludwigsburg. Er sollte sich gemeinsam mit seinen Nationalmannschaftskameraden auf das Länderspiel am 3. Mai 1942 in Budapest vorbereiten. Trainer Sepp Herberger hatte es geschafft, seine Spieler zu einem zweiwöchigen Vorbereitungslehrgang einzuladen und sie für diese Zeit von ihren militärischen Pflichten zu entbinden. Edmund Conen, Stürmer bei den Stuttgarter Kickers, blieb der Aufenthalt in Ludwigsburg in sehr guter Erinnerung. Er lobte die hervorragende Unterbringung und gute Verpflegung. Nach 14-tägigem harten Training fühlten sich die deutschen Spieler in großer Form. Dermaßen gestärkt ging es über Stuttgart mit dem Schnellzug nach Budapest. 1Beinahe zeitgleich, am 26. April 1942, wurden vom Stuttgarter Nordbahnhof rund 280 württembergische und badische Juden zunächst in das Durchgangsghetto Izbica und anschließend in die Vernichtungslager Belzec und Lublin-Majdanek deportiert. 2
Im Deutschen Reich stellte man sich die Frage, ob es nach acht sieglosen Spielen endlich zu einem ersten Erfolg auf ungarischem Boden kommen könnte. Die in zwei Vorbereitungsspielen gezeigten Leistungen waren vielversprechend. Auf die deutsche Auswahl wartete eine starke und gut vorbereitete ungarische Mannschaft, die eine Mischung aus erfahrenen und jungen Spielern bildete. Außerdem wollten die Ungarn Revanche nehmen für die vor gut einem Jahr erlittene 0:7-Pleite in Köln.
Das ausverkaufte Ferencváros-Stadion in Budapest war mit Fahnen festlich geschmückt. Ein Musikkorps spielte vor Spielbeginn „Lili Marleen“. Beim Abspielen der Hymnen hoben die deutschen Spieler den rechten Arm zum „Deutschen Gruß“. Kapitän Janes verlor die Platzwahl gegen den Ungarn Bíró. Das Spiel begann vor den über 40.000 Zuschauern für die deutsche Elf wenig verheißungsvoll. Gleich zu Beginn unterlief dem rechten Verteidiger Paul Janes in seinem 65. Länderspiel ein schwerer Fehler, doch Torhüter Helmut Jahn konnte rettend eingreifen und ein frühes Gegentor verhindern. Überhaupt kam Janes zu Beginn der Begegnung gegen den ungarischen Linksaußen Gyetvai nicht zurecht und musste seinen Gegner mehrfach an sich vorbeiziehen lassen. Die Ungarn bestürmten das deutsche Tor, doch den ersten Treffer erzielte in der 15. Minute Fritz Walter für Deutschland. Dies konnte die Ungarn in ihrem Vorwärtsgang allerdings nicht beirren. Nagymarosi per Elfmeter, Hans Rohde hatte den Ball zuvor mit der Hand berührt, Zsengellér und Tihanyi sorgten vor der Pause für eine verdiente 3:1-Führung. Der „Kicker“ sprach in seinem Spielbericht von einem Feuerwerk, das die Ungarn den begeisterten Zuschauern präsentierten.
Trotz des fast aussichtslos erscheinenden Rückstands begannen die deutschen Fußballer die zweite Halbzeit mit stürmischen Angriffen. Sie wollten das Unmögliche möglich machen und den Sieg holen. 13 Minuten nach dem Seitenwechsel wurde Conen von einem Ungarn kurz vor dem Strafraum gefoult, und der italienische Schiedsrichter Barlassina entschied auf Freistoß für Deutschland: „Die Ungarn bilden eine dichte Mauer. Nur mühsam kann sie Barlassina zurückdrängen, damit sie den notwendigen Abstand hat. Janes steht entschlossen und gelassen wie immer zum Einsatz bereit. Er sieht tatsächlich wieder die wenigen Zentimeter, die ihm für seinen Schuss offen bleiben. Mit verblüffender Präzision durch diese winzige Lücke neben der ungarischen Mauer schlägt sein scharfer satter Schuss in der äußersten Ecke des ungarischen Tores ein. Janes ist wieder ein Meisterschuss geglückt“, lobte der „Kicker“ den Torschützen. Der Anschlusstreffer zum 2:3 war der Wendepunkt des Spiels. Die deutsche Mannschaft wurde zunehmend stärker und drückte die Ungarn immer weiter zurück. Janes hatte jetzt seinen Gegner gut im Griff und ließ nichts mehr zu. Nach einer schönen Kombination zwischen Conen und Walter fiel in der 65. Minute der Ausgleich. Es folgten Treffer von Friedrich Dörfel und Albert Sing zum 5:3-Endstand. Nach 90 Minuten gingen die deutschen Fußballer erschöpft, aber siegreich vom Platz. Vielmehr wurden sie getragen, denn die im Stadion anwesenden deutschen Soldaten trugen sie auf ihren Schultern vom Platz.
Für den „Kicker“ waren Torwart Helmut Jahn und Hans Rohde die beiden besten deutschen Spieler auf dem Platz gewesen. In der Kritik zu Paul Janes hieß es: „Janes gab uns große Rätsel auf. Vor der Pause schien er oft von allen guten Geistern verlassen. Er selbst bekannte uns, dass es ihm schwergefallen sei, auf das unerhört schnelle und variantenreiche Spiel des linken ungarischen Flügels Einstellung zu finden. Sein schwerer Fehler in der ersten Minute mag ihm auch die innere Sicherheit genommen haben. Nach der Pause war er wie umgewandelt. Da spielte wieder der alte Janes in unübertrefflicher Klasse, unüberwindlich im Nahkampf und großartig vor allem im Abspiel.“ 3
Paul Janes bei der Platzwahl vor seinem schönsten Spiel. Ungarn - Deutschland 3:5 am 3. Mai 1942 in Budapest.
Im Alter von 20 Jahren, im Oktober 1932, hatte der in Küppersteg geborene und für Fortuna Düsseldorf spielende Paul Janes seine Länderspielkarriere mit einer 1:2-Niederlage in Budapest begonnen. Bei dieser Premiere konnte er seine Kritiker nicht von sich überzeugen, so dass er auf seinen nächsten Länderspieleinsatz ziemlich genau ein Jahr warten musste. Fortan lief er regelmäßig im Nationaldress auf und brachte es schließlich auf 71 Länderspieleinsätze.
Für sein im Jahr 1955 veröffentlichtes Buch „Spiele, die ich nie vergessen werde“ bat Fritz Walter namhafte Spieler und Trainer um kurze Gastbeiträge. Die kurzen Statements präsentierte Walter als Prolog unter der Überschrift „Spiele, die sie nie vergessen“. Nachgekommen waren dieser Bitte unter anderem der Schweizer Alfred Bickel, Juan Schiaffino, der für Uruguay und Italien international aktiv war, und Zlatko „Tschik“ Cajkovski. Neben Sepp Herberger war als einziger deutscher Fußballer Paul Janes in Walters Ehrengalerie vertreten. Er war zu diesem Zeitpunkt Deutschlands Rekordnationalspieler. Die Frage nach seinem unvergesslichsten Spiel beantwortete Janes folgendermaßen: „Das war der Länderkampf Deutschland – Ungarn am 3. Mai 1942 in Budapest. Noch nie war dort eine deutsche Mannschaft siegreich gewesen. Auch ich hatte mehrere Male in Budapest gespielt, aber nie reichte es zu einem Sieg. Auch in diesem Spiel sah es in der Halbzeit nicht danach aus, denn wir mussten mit einem Rückstand von 1:3 in die Kabinen gehen. Nach der Pause kam der große Umschwung. Ein von mir verwandelter Freistoß gab der Mannschaft neuen Auftrieb. Uns gelang nicht nur der Ausgleich, sondern auch noch der Sieg. So wurde meine fünfte Fahrt nach Budapest, der Stadt, in der ich einst als Nationalspieler begann, meine unvergesslichste.“ 4
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