Eine elegante blonde Stewardess, die während des Flugs sehr oft zu sehen gewesen war, reichte zwei der Geschäftsmänner, die ein paar Reihen vor Bond saßen, Limonadendosen. Er sah ihr Gesicht und spürte blitzartig, dass etwas nicht stimmte. Ihr Dauerlächeln war verschwunden und sie beugte sich ungewöhnlich weit vor, um den Männern etwas zuzuflüstern.
Bond warf automatisch einen Blick nach links in Richtung der anderen beiden gut gekleideten Männer. In den wenigen Sekunden, die er sich auf die Stewardess konzentriert hatte, waren die Männer verschwunden.
Bond drehte den Kopf und entdeckte einen von ihnen. Er trug etwas, das wie eine Bierdose aussah, und stand hinter Bond im Gang in der Nähe der kleinen Bordküche am hinteren Ende der Executive Class. Die Stewardess war mittlerweile in die vordere Bordküche gegangen.
Als Bond sich in Bewegung setzte, geschah alles gleichzeitig.
Der Mann hinter ihm zog den Ring an der vermeintlichen Bierdose und warf sie in den Gang. Während sie rollte, erfüllte bereits dichter Rauch die Kabine.
Die beiden Männer vor Bond hatten sich von ihren Sitzen erhoben, und Bond erhaschte einen Blick auf die Stewardess weiter hinten im Gang. Dieses Mal hatte sie etwas in der Hand. Auf der anderen Seite entdeckte er den vierten Geschäftsmann, der im Vorwärtsrennen ebenfalls eine Rauchbombe warf.
Bond war aufgesprungen und drehte sich herum. Sein nächstgelegenes Ziel – der Mann im Gang hinter ihm – zögerte für eine entscheidende Sekunde. Das Messer erschien in Bonds rechter Hand wie durch einen gut eingeübten Taschenspielertrick. Er hielt es nach unten und hatte den Daumen in der klassischen Kämpferpose vorgestreckt. Der Entführer wusste nicht, wie ihm geschah, er verspürte nur einen plötzlichen heftigen Schmerz und Überraschung, als Bonds Dolch ihn direkt unter dem Herzen traf.
Die gesamte Kabine war nun voller Rauch und Panik. Bond rief den Passagieren zu, sie sollten auf ihren Plätzen sitzen bleiben. Er vernahm ähnliche Rufe von den Männern des SAS in der Touristenklasse und weiter vorne in der ersten Klasse und der sogenannten »Penthouse-Suite«. Es gab zwei kleine Explosionen, die leicht als Schüsse der Luftwachenrevolver zu erkennen waren. Auf sie folgte der unheimlichere laute Knall einer normalen Schusswaffe.
Bond hielt in dem erstickenden Rauchnebel die Luft an und machte sich auf den Weg zur Bordküche für die Executive Class. Er wusste, dass er von dort aus die Möglichkeit haben würde, zur Backbordseite zu wechseln und über die Wendeltreppe ins »Penthouse« und das Cockpit zu gelangen. Es waren immer noch mindestens drei Entführer übrig, vielleicht auch vier.
Als er die Bordküche erreichte, wusste er, dass es nur drei waren. Die Stewardess, die in den Rauchwirbeln noch immer eine Model-II-Ingram-Maschinenpistole umklammert hielt, lag leblos auf dem Rücken. Ihre Brust war von einem Schuss aus nächster Nähe zerfetzt worden, offenbar aus einem der Luftwachenrevolver.
Bond hielt nach wie vor die Luft an, hatte das Messer in der Hand und schritt über die Leiche hinweg. Die Schreie und das Husten der verängstigten Passagiere überall im Flugzeug nahm er gar nicht wahr. Über dem Lärm ertönte ein Befehl von oben: »Orange eins. Orange eins.« Das war das Signal von einem der SAS-Männer, dass der Hauptangriff im Cockpit oder in der Nähe davon stattfand.
Am Fuß der Wendeltreppe wich Bond einem weiteren Körper aus. Es handelte sich um ein Mitglied des SAS-Trupps. Der Mann war bewusstlos und hatte eine üble Schulterverletzung. Dann entdeckte er auf der kurzen, gewundenen Treppe über sich die geduckte Gestalt eines der Geschäftsmänner, der eine Ingram mit ausgeklappter Schulterstütze hob.
Bonds Arm bewegte sich nach hinten, und das Messer sauste durch die Luft. Es war so rasiermesserscharf, dass es wie eine überdimensionale Injektionsnadel in die Kehle des Mannes glitt. Der Entführer schrie nicht einmal auf, als das Blut aus seiner durchtrennten Halsschlagader spritzte wie Wasser aus einem Schlauch.
Bond duckte sich und schlich lautlos wie eine Katze zu der Leiche. Er benutzte sie als Schutzschild, um einen Blick in den oberen Bereich des Flugzeugs werfen zu können.
Die Tür zum Cockpit stand offen. Im Inneren gab einer der »Geschäftsmänner« mit der Maschinenpistole in der Hand der Besatzung Anweisungen, während sein Kollege in der Tür stand und ihm Rückendeckung gab. Auch er hielt eine der mittlerweile vertrauten Ingrams in den Händen – die mit einer Schussfrequenz von eintausendzweihundert Kugeln pro Minute in der Lage war, eine Menge Schaden anzurichten – und schwang sie in tödlicher Bereitschaft. Hinter der Schottwand der oberen Bordküche, etwa zwei Meter von den Entführern entfernt, kauerte einer der SAS-Männer. Seinen Luftwachenrevolver hatte er dicht an den Körper gepresst.
Bond schaute zu dem SAS-Mann hinüber und sie tauschten Signale aus: Die Teams hatten eine Woche lang hart und konzentriert in Bradbury Lines, der Basis des 22. SAS-Regiments in der Nähe von Hereford, zusammen trainiert. Sofort wussten beide Männer, was sie zu tun hatten.
Bond bewegte sich auf der engen Treppe vorsichtig auf die eine Seite des zusammengesunkenen Mannes. Seine Hand griff nach dem Messer, das in der Scheide auf seinem Rücken steckte. Ein tiefer Atemzug, dann das Nicken in Richtung des SAS-Mannes, der vorsprang und dabei feuerte.
Der Entführer, der Wache hielt, war durch Bonds Bewegung alarmiert worden und schwenkte seine Ingram in Richtung der Treppe, als ihn zwei Kugeln aus dem Luftwachenrevolver des SAS-Mannes an der Kehle erwischten. Der Aufprall riss ihn nicht von den Füßen und drehte ihn auch nicht herum. Er sackte einfach nach vorn und war tot, bevor er auf dem Boden aufschlug.
Während er fiel, wirbelte der Entführer im Cockpit herum. Bonds Arm holte aus. Das Wurfmesser sauste funkelnd und gerade wie ein Eisvogel los, um sich in die Brust des Entführers zu bohren.
Die Ingram fiel aufs Deck. Sofort stürzten sich Bond und der SAS-Mitarbeiter wie ein Mann auf den Entführer und durchsuchten ihn nach versteckten Waffen oder Granaten. Der verletzte Mann schnappte nach Luft, seine Hände tasteten nach dem Messer, seine Augen verdrehten sich und aus seinen blutverschmierten Lippen drang ein schreckliches Rasseln.
»Alles vorbei!«, rief Bond dem Flugzeugkapitän zu und hoffte, dass das tatsächlich der Fall war. Seit der Explosion der ersten Rauchbombe waren nicht mehr als neunzig Sekunden vergangen.
»Ich sehe unten nach«, rief er dem SAS-Mann zu, der über dem verletzten Entführer kniete. Im Hauptbereich des Flugzeugs hatte sich der Rauch fast verzogen, und Bond schenkte der blassen Chefstewardess ein Lächeln. »Beruhigen Sie die Leute«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung.« Er tätschelte ihren Arm und sagte ihr dann, sie solle nicht in die Nähe der vorderen Bordküche in der Executive Class gehen.
Er selbst ging in diese Richtung, schob Leute zur Seite und befahl den Passagieren streng, sich wieder hinzusetzen. Er bedeckte den Körper der toten Stewardess mit einem Mantel.
Die beiden verbliebenen SAS-Männer waren ganz nach Vorschrift im hinteren Bereich des Flugzeugs geblieben, um mögliche Fluchtpläne zu vereiteln, die die Terroristen vorbereitet haben könnten. Während James Bond durch die gesamte Boeing marschierte, musste er schmunzeln. Die drei hartgesotten wirkenden jungen Männer und die Frau, die er für Verdächtige gehalten hatte, als sie in Bahrain an Bord gekommen waren, sahen nun sogar noch blasser und erschütterter aus als die anderen Passagiere.
Als er die Wendeltreppe wieder hinaufstieg, ertönte die ruhige Stimme der Chefstewardess aus der Bordsprechanlage. Sie informierte die Passagiere darüber, dass sie in Kürze in London Heathrow landen würden und entschuldigte sich für die – wie sie es bezeichnete – »ungeplanten Unannehmlichkeiten«.
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