Nun befanden sich anstelle der grünen 12 drei schnell blinkende rote Nullen neben dem Fleck.
Drei rote Nullen waren das internationale Radarsignal für eine Flugzeugentführung.
Mit ruhiger Stimme rief Frank Kennen das Flugzeug: »Speedbird eins-zwei, Sie sind frei für zwei-null. Haben Sie das bestätigt?«
Falls es an Bord Probleme gab, würde die Antwort der Piloten wie ein Routineaustausch klingen. Doch es kam keine Antwort.
Dreißig Sekunden vergingen, und Kennan wiederholte seine Frage.
Noch immer keine Antwort.
Sechzig Sekunden.
Weiter keine Antwort.
Dann, fünfundneunzig Sekunden nach der ersten Meldung, verschwanden die drei roten Nullen vom Bildschirm und wurden von der vertrauten 12 ersetzt. In seinem Kopfhörer vernahm Kennan die Stimme des Kapitäns und atmete erleichtert aus. »Speedbird eins-zwei bestätigt. Der Notfall ist nun vorbei. Bitte alarmieren Sie Heathrow. Wir benötigen Krankenwagen und einen Arzt. Es gibt mehrere Tote und mindestens eine schwer verletzte Person an Bord. Wiederhole: Notfall vorbei. Dürfen wir fortfahren wie angewiesen? Speedbird eins-zwei.«
Der Kapitän hätte ebenso gut hinzufügen können: »Notfall vorbei dank Commander Bond.«
Ein wenig früher hatte sich James Bond zurückgelehnt und scheinbar entspannt und ruhig auf einem Sitz am Gang auf der Steuerbordseite des Bereichs der Executive Class von Flug BA 12 gesessen.
In Wahrheit war Bond jedoch alles andere als entspannt. Hinter den müden Augen und der zusammengesunkenen Sitzposition arbeitete sein Verstand auf Hochtouren, sein Körper war bereit – angespannt wie eine Sprungfeder.
Jeder genauere Betrachter hätte außerdem die Anspannung hinter den graublauen Augen bemerkt. Von dem Moment an, in dem James Bond in Singapur das Flugzeug betreten hatte, war er auf Ärger vorbereitet gewesen – und nach dem Start in Bahrain sogar noch mehr. Immerhin wusste er, dass die Goldbarren in Bahrain an Bord gebracht worden waren. Das wussten auch die vier verdeckt arbeitenden Männer des Special Air Service, die sich ebenfalls im Flugzeug befanden und taktisch gut verteilt in der ersten, der Executive- und der Touristenklasse saßen.
Nicht nur die Anspannung dieser speziellen Reise machte Bond zu schaffen, sondern auch die Tatsache, dass Flug BA 12 von Singapur sein dritter Langstreckenflug als Sicherheitsbegleiter zum Schutz vor Flugzeugentführungen in ebenso vielen Wochen war. Der Dienst, den er sich mit Mitgliedern des SAS teilte, war die Folge der aktuellen erschreckenden Flut an Entführungen von Flugzeugen aus einem Dutzend Ländern.
Keine einzige Terrororganisation hatte die Verantwortung dafür übernommen, aber die großen Fluglinien verzeichneten bereits einen Passagierrückgang. Panik verbreitete sich, obwohl die Gesellschaften – und sogar die Regierungen – der allgemeinen reisenden Öffentlichkeit beruhigende Worte eingeflüstert hatten.
Bei jedem der jüngsten Fälle waren die Entführer gnadenlos vorgegangen. Tote unter den Passagieren und der Besatzung waren die Regel.
Ein paar der entführten Flugzeuge hatten den Befehl erhalten, zu abgelegenen Flugplätzen zu fliegen, die gut versteckt in gefährlichen, oftmals bergigen Gebieten Europas lagen. In einem Fall war eine 747 angewiesen worden, in der Nähe der Berner Alpen auf einer behelfsmäßigen Rollbahn zu landen, die hoch oben in einem Tal versteckt war. Das Ergebnis war katastrophal gewesen und hatte keine identifizierbaren Leichen hinterlassen – nicht einmal die der Entführer.
In manchen Fällen war die Beute nach einer sicheren Landung ausgeladen und in einem kleinen Flugzeug weggeschafft worden, während das eigentliche Ziel verbrannt oder mithilfe von Sprengstoff zerstört wurde. In jedem Fall hatte die geringste Störung oder Unterbrechung sofortige Todesfälle zur Folge gehabt – Besatzungsmitglieder, Passagiere und sogar Kinder.
Der bislang schlimmste Zwischenfall war der Diebstahl leicht transportierbarer Juwelen im Wert von zwei Millionen Pfund gewesen. Nachdem die Entführer den Metallbehälter mit den Edelsteinen in ihren Besitz gebracht hatten, hatten sie einen Sinkflug angeordnet und waren dann mit Fallschirmen aus dem Flugzeug gesprungen. Noch während die Passagiere erleichtert ausgeatmet hatten, war das Flugzeug per Fernzündung in die Luft gesprengt worden.
Große Flugzeuge der Vereinigten Staaten und Maschinen von British Airways hatten den Großteil der Angriffe abbekommen. Und so hatten beide Regierungen nach diesem letzten erschütternden Zwischenfall vor etwa sechs Wochen für heimlichen Schutz auf allen möglichen Zielobjekten gesorgt.
Die letzten beiden Reisen, an denen Bond teilgenommen hatte, hatten sich als ereignislos erwiesen. Dieses Mal verriet ihm sein sechster Sinn, dass Gefahr im Verzug war.
Zuerst hatte er beim Betreten des Flugzeugs in Singapur vier mögliche Verdächtige entdeckt. Diese vier Männer waren gut gekleidet, wirkten wohlhabend und wiesen alle äußeren Anzeichen pendelnder Geschäftsleute auf. Sie saßen in der Executive Class: zwei an der Backbordseite des mittleren Bereichs links von Bond, die anderen beiden weiter vorne – etwa fünf Reihen vor ihm. Alle hatten diese unverkennbare militärische Haltung, verhielten sich jedoch ruhig, als ob sie sehr darum bemüht wären, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Dann waren in Bahrain die Schwierigkeiten an Bord gekommen – Gold, Währung und Diamanten im Wert von fast zwei Milliarden Dollar. Außerdem waren drei Männer sowie eine Frau eingestiegen. Sie rochen nach Gewalt – die Frau war dunkelhaarig und attraktiv, aber sehr muskulös, die drei Männer waren dunkelhäutig, durchtrainiert und bewegten sich wie ausgebildete Soldaten.
Auf einem seiner scheinbar beiläufigen Rundgänge hatte sich Bond ihre Sitzplätze eingeprägt. Genau wie die verdächtigen Geschäftsmänner saßen sie in Paaren, aber hinter ihm, in der Touristenklasse.
Bond und die Männer des SAS waren natürlich bewaffnet. Bond trug ein neues Paar Wurfmesser bei sich, das perfekt ausbalanciert und gut geschliffen war. Die Waffen waren nach dem Vorbild des Sykes-Fairbairn-Dolchs für Einsatzkommandos entwickelt worden. Eines der Messer befand sich an seiner Lieblingsstelle, in einem Holster an der Innenseite seines linken Unterarms. Das andere steckte horizontal in einer Scheide an seinem unteren Rücken. Außerdem trug er einen streng limitierten Revolver bei sich, den eine international anerkannte Firma für den Einsatz bei Notfällen während des Flugs entwickelt hatte.
Bei dieser Waffe handelte es sich um eine kleine Glattrohrwaffe Kaliber .38 mit Patronen, die nur eine minimale Ladung enthielten. Das Projektil war eine Zersplitterungskugel – nur auf wenige Meter tödlich, da ihre Geschwindigkeit schnell aufgebraucht war, damit sich die Kugel auflöste und eine Beschädigung des Flugwerks oder der Metallhülle eines Flugzeugs vermieden werden konnte.
Die Männer des SAS waren ähnlich ausgerüstet und hatten eine gründliche Ausbildung absolviert, aber trotzdem gefiel Bond der Gedanke nicht, dass sich Schusswaffen an Bord befanden. Eine Kugel, die zu nah an den Seitenwänden oder einem Fenster abgefeuert wurde, mochte trotz allem einen Druckabfall verursachen. Er würde sich auf jeden Fall an die Messer halten und den Revolver nur benutzen, wenn er sich ganz nah an seinem Ziel befand, und mit »nah« meinte er weniger als einen Meter.
Die riesige 747 neigte sich leicht zur Seite, und Bond bemerkte die geringfügige Veränderung des Motorengeräuschs, die den Beginn ihres Sinkflugs ankündigte. Vermutlich befanden sie sich irgendwo kurz hinter der belgischen Küste. Er ließ den Blick durch die Kabine wandern, beobachtete und wartete.
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