»Der Zweite Weltkrieg ist schon eine ganze Weile her, mein Freund«, unterbrach ihn der große Mann und wog die VP70 direkt vor Bond in seiner Hand. »Sie haben hier eine ganz schön tödliche Waffe. Warum tragen Sie sie überhaupt bei sich?«
»Zum Schutz«, schnauzte Bond in bester Penbrunner-Manier.
»Ja, das dachte ich mir. Aber zum Schutz vor was?«
»Straßenräubern. Dieben. Grobianen wie Ihnen. Leuten, die uns bestehlen wollen.«
»Wann wirst du endlich ein paar Manieren lernen, Joe Bellini?«, fragte die ruhige, gemäßigte Stimme vom Fenster aus. »Wir sind mit einer Einladung hier, nicht um Professor Penbrunner in seinem eigenen Zimmer in die Mangel zu nehmen. Erinnerst du dich?«
»Sie bestehlen? Wir sind nicht hier, um Sie zu bestehlen«, fuhr der massige Mann namens Bellini mit geheuchelter Höflichkeit fort, während sich auf seinem Gesicht gekränkte Unschuld spiegelte. »Sie haben ein paar Bilder, richtig?«
»Bilder?«
»Ja, irgendwelche besonderen Bilder.«
»Drucke, Joe.« Der Mann am Fenster sprach nun mit mehr Autorität in der Stimme.
»Ja, Drucke. Danke, Mr Mazzard. Sie haben Drucke von einem Kerl namens Ho-irgendwas.«
»Ho- garth , Joe«, soufflierte Mazzard, ohne den Blick von der Straße unter sich abzuwenden.
»Ich besitze ein paar Hogarth-Drucke«, erwiderte Bond nachdrücklich. »Sie zu besitzen und sie zu haben, ist nicht ganz dasselbe.«
»Wir wissen zufällig, dass Sie sie hier haben«, sagte Joe Bellini mit vorgetäuschter Geduld. »Im Hoteltresor.«
Mike Mazzard drehte sich am Fenster herum, um Bond anzusehen, der nun erkannte, dass dieser Mann der bei Weitem gefährlichste der vier war. Seine Haltung strahlte eine gewisse Glätte und Autorität aus.
»Reden wir mal Klartext«, sagte er. »Niemand wird Ihnen beiden etwas antun. Wir wollen nur, dass Sie die Situation verstehen. Wir sind als Repräsentanten von Mr Bismaquer hier, der diese Hogarth-Drucke sehen will. Nennen Sie es eine Einladung. Aber er will nicht bis morgen auf eine Antwort warten. Sie haben seine Karte – die, die ich Ihnen in der Lobby gegeben habe. Ich schätze, er will Ihnen ein Angebot machen …«
Joe Bellini lachte. »Ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können, was?«
Mazzard wirkte nicht erfreut. »Sei still, Joe. Es ist ein direktes Angebot. Sie müssen lediglich an der Rezeption anrufen und bitten, dass die Drucke hierher gebracht werden, dann können wir uns auf den Weg machen.«
Bond schüttelte den Kopf. »Das geht nicht«, entgegnete er lächelnd. »Ich habe einen Schlüssel. Die haben den anderen. Wie bei einer Bank. Die Drucke befinden sich in einem Tresorfach«, log er. »Nur der diensthabende Mitarbeiter und ich können sie herausholen. Nicht einmal meine Frau …«
Voller Erleichterung beglückwünschte sich Bond dazu, sich in letzter Minute umentschieden und beschlossen zu haben, dass die Drucke im Geheimfach des Saabs sogar noch sicherer sein würden, besonders falls sie das Hotel schnell verlassen mussten.
»Wie Mr Mazzard schon sagte«, fuhr Joe Bellini unbeirrt fort. Seine Höflichkeit war nun vollkommen verschwunden. »Wir wollen niemanden verletzen. Aber wenn Sie nicht kooperieren, dann können Louis und Kid« – er deutete auf den Mann, der Bond festhielt – »die Situation für Ihre kleine Lady sehr unangenehm machen.«
Mazzard trat vom Fenster weg, ging um Joe herum, der noch immer mit der VP70 spielte, und blieb vor Bond stehen.
»Professor Penbrunner. Darf ich vorschlagen, dass Sie und Joe gemeinsam nach unten gehen und die Drucke holen, damit wir dann alle zum Kennedy-Flughafen fahren können? Mr Bismaquer hat seinen Privatjet geschickt, um Sie abzuholen. Er hatte wirklich gehofft, dass Sie ihm beim Abendessen Gesellschaft leisten würden. Dafür ist es jetzt schon ein wenig spät. Aber wir können die verlorene Zeit wettmachen, und Sie und Mrs Penbrunner können sich auf der Ranch ausschlafen. Dort fühlen Sie sich sicher wohler als in dieser Absteige, das kann ich Ihnen versichern. Also, was sagen Sie?«
»Hören Sie, Mazzard«, stieß Bond hervor. »Das ist eine Unverschämtheit! Ich habe Ihnen bereits zuvor gesagt, dass ich vor morgen keine Verabredungen treffe. Wenn Sie diesen Mann wirklich repräsentieren – Bismaquer sagten Sie, sei sein Name …?«
»Sparen Sie sich das für die Nachwelt«, unterbrach ihn Bellini, »und lassen Sie uns loslegen. Und versuchen Sie ja keine Dummheiten.« Er ging zu Cedar und riss ihr mit einer beiläufigen Handbewegung das Kleid vom Hals bis zur Taille auf, dabei enthüllte er, dass sie keinen Büstenhalter trug.
»Nett«, keuchte Louis und spähte über die Schulter, die er noch immer festhielt, nach unten. »Sehr nett.«
»Schluss damit«, befahl Mazzard. »Für derlei Dinge besteht kein Anlass. Es tut mir leid, Professor, aber Sie müssen verstehen, dass Mr Bismaquer nicht daran gewöhnt ist, ein Nein als Antwort zu erhalten. Also, ich werde Ihre Sachen zusammensuchen, während Sie und Joe die Drucke holen. Wir können schon bald am Kennedy-Flughafen und in der Luft sein, wenn wir uns beeilen.«
Bond nickte. »In Ordnung«, sagte er leise. Er war ein wenig aus der Fassung gebracht, weil auch er für etwa eine Sekunde nicht in der Lage gewesen war, den Blick von Cedars teilweise entblößten Brüsten zu lösen. »Aber meine Frau wird sich umziehen müssen. Wir können die Drucke auf dem Weg nach draußen abholen …«
»Wir holen die Drucke jetzt «, sagte Mazzard tonlos. Er duldete keine weiteren Diskussionen. »Hör auf, mit der Waffe des Professors herumzufuchteln, Joe. Leg sie in den Schrank, du hast deine eigene.«
Joe Bellini zog einen kleinen Revolver aus seinem Jackett. Nachdem er Bond gezeigt hatte, dass er bewaffnet war, steckte er seine eigene Waffe wieder ein und legte die VP70 auf den Nachttisch.
Mazzard nickte Kid zu, und der schraubstockartige Griff um Bonds Schultern löste sich. Bond bewegte vorsichtig die Arme und versuchte, seinen Blutkreislauf so schnell wie möglich wieder in Gang zu bringen. Gleichzeitig hustete er kurz und fegte einen nicht vorhandenen Faden von seinem Revers – mit diesen Gesten signalisierte er Cedar, sich bereitzuhalten. Laut sagte er, dass er seinen Aktenkoffer benötige.
»Mein Schlüssel befindet sich darin.« Er deutete auf die Stelle, an der der Koffer neben dem zusammenklappbaren Gepäckständer aus Stahl stand.
Mazzard nahm den Aktenkoffer, wog ihn und hob ihn dann ein paar Mal mit einer Hand ruckartig an. Zufrieden reichte er Bond den Koffer. »Nur den Schlüssel, und dann folgen Sie Joe.«
Der Aktenkoffer war eine Version seiner ursprünglichen Tasche von Swaine & Adeney und von Q’utie für 007s aktuelle Operation modifiziert worden. Seine wichtigste Besonderheit – eine effektive Vorrichtung, die auf einem der Geheimfächer in Bonds ursprünglicher Tasche basierte – waren zwei schmale, mit Sprungfedern versehene Fächer, die in das Innenfutter der rechten Seite eingenäht waren. Wenn man am linken Zahlenschloss drei Mal die Drei und am rechten drei Mal die Zwei einstellte, reagierten die Sprungfedern jeweils mit einem Abstand von fünf Sekunden und warfen die Griffe von Bonds Sykes-Fairbairn-Messern durch den Boden des Koffers aus.
Als er den Koffer auf den Schoß nahm, schätzte Bond die Situation ein. Sie befanden sich zweifellos in einer Zwangslage, denn Bond wurde nun langsam klar, dass er nicht nur niemanden an das Tresorfach lassen durfte, sondern auch nicht zulassen konnte, dass diese Gangster die Geheimnisse des Saabs entdeckten. Für einen flüchtigen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, Joe aus dem Weg zu räumen, bevor sie den Wagen erreichten. Mit einem Mann auf offenem Gelände würde er sehr viel leichter fertigwerden, als mit vier von ihnen in einem geschlossenen Raum. Aber was würde dann aus Cedar werden? Wenn er Alarm auslöste, konnte niemand sagen, was sie ihr antun würden. Er konnte das Risiko nicht eingehen. Die Alternative – den Spieß hier und jetzt umzudrehen – schien sehr unrealistisch. Konnte er sich auf Cedars schnelle Reaktion verlassen? Er blickte in ihre Richtung, ihr Blick traf den seinen und verriet ihm, dass sie bereit war.
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