»Welche Gerüchte?« fragte ihn Milena scharf.
»Daß dein Vater gesundheitlich nicht mehr auf dem Damm ist«, antwortete er und zündete sich eine Zigarette an.
»Da kann ich dich beruhigen«, entgegnete sie. »Ganzdas Gegenteil ist der Fall.«
»Für heute abend hat Nadler eine Besprechung angesetzt-. Ich kann dich deshalb leider nicht nach Lohausen fahren.«
»Grüß Mike von mir«, versetzte Milena. »Sag ihm aber auf keinen Fall, daß ich nach Bangkok unterwegs bin. Ich kann mich doch darauf verlassen?«
Sie hielt ihrem Mann die rechte Wange hin. »Du kannst dich gleich jetzt verabschieden, Hans-Georg«, sagte sie geschäftsmäßig. »Unser Fahrer bringt mich dann zum Flugplatz.«
»Ich weiß nicht recht«, meinte er zögernd, »Ich hab’ kein so gutes Gefühl bei deiner Reise —«
»Ich auch nicht«, schnitt Milena weitere Erörterungen ab.
Sie brauchte nur einen kleinen Koffer zu packen, aber es fiel ihr schwer. Seitdem sie völlig unerwartet von den Problemen um ihren Vater erfahren hatte, war Milena Deutler aus dem Gleichgewicht. Das Gespräch mit dem kleinen, nervösen Bankier Keil, kurz vor dem Abflug von der Algarve, hatte sie dann gänzlich verwirrt. Nach vielen Entschuldigungen war der Mann zu dem Fazit gekommen:»Im harmlosesten Fall droht Ihrem Vater ein gesellschaftlicher Skandal, den er allerdings spielend überstehen würde. Schlimmer wäre schon, daß Ihre Tochter und Sie in eine Art schleichende Enterbung geraten könnten und —«
»Entschuldigung — aber das kann ich einfach nicht glauben«, war Milena dem Bankier ins Wort gefallen. »Mein Vater ist viel zu korrekt, um mich als Erbinzu übergehen.«
»Ganz könnte er es auch gar nicht«, hatte Keil erwidert, »Ich muß Ihnen das einmal genau auseinandersetzen: Leider hat Herr Laimer bisher unsere Vorschläge über eine Änderung der Gesellschaftsform seines Konzerns abgelehnt. Er ist also nach wie vor der Alleinbesitzer. Meines Wissens existiert auch keine testamentarische Verfügung. Bei seinem Ableben würde automatisch die gesetzliche Erbfolge eintreten. Beim Stand von heute wären dadurch Sie und Ihre Tochter die Alleinbegünstigten. Aber wenn Ihr Herr Vater wieder heiraten sollte, würde sich die Situation grundsätzlich ändern. Im Falle seines Todes müßte dann die Witwe die Hinterlassenschaft mit Ihnen teilen. Ihr Herr Vater wäre durchaus in der Lage, noch Kinder zu zeugen, das würde eine weitere und äußerst einschneidende Schmälerung Ihrer Erbansprüche bedeuten.« Keil hatte die Zeichen ihrer Ungeduld übersehen und die Besucherin gezwungen, sich den Everitual-Konsequenzen zu stellen. »Die Witwe erhielte die eine Hälfte, und alle Kinder zusammen — Sie eingeschlossen, Frau Milena — die anderen fünfzig Prozent. Nehmen wir einmal an, aus einer zweiten Laimer-Ehe gingen zwei Kinder hervor, dann fiele Ihnen ein Drittel des halbierten Gesamtvermögens zu —«
»Und das wäre ja wohl noch immer genug, um meine Tochter und mich ausreichend zu versorgen«, hatte die Besucherin verärgert eingeworfen.
»Mein Gott, so kann man es doch nicht sehen Es geht um den Fortbestand eines blühenden Unternehmens, um das Lebenswerk Ihres Herrn Vaters.«
»Lassen wir einmal finanzielle Gesichtspunkte beiseite.« Milena hatte versucht, zum Ende des Gesprächs zu kommen.
»— dann sehen wir uns dem schlimmsten Fall gegenüber, der eintreten könnte«, war die Antwort des Bankiers gewesen. »Ihr Herr Vater ist zur Zeit in arger Bedrängnis, um nicht zu sagen — in großer Gefahr. Vielleicht sogar in Lebensgefahr.« Laimers Hausbankier war als ziemlicher Hypochonder bekannt, aber in allem, was mit Geld und Vermögensanlagen zusammenhing, sagte man Keil Gehör und Schläue eines Revierfuchses nach. »Wissen Sie, Frau Milena, ich möchte diese Dinge nicht dramatisieren. Ich gebe auch zu, daß der New Yorker Informant, Philip Palance jr., nicht unbedingt ein sympathischer Mensch ist. Auch erscheint mir der Verdacht, den er äußert und von dem er die US-Polizei jetzt überzeugen will, reichlich abenteuerlich, aber das müssen die US-Behörden entscheiden. Dieser Palance jr. spricht auch noch von weiteren Enthüllungen über das Vorleben der bewußten Dame. Wie dem auch sei, Sie müssen das Ihrem Herrn Vater sagen, so unangenehm es auch ist. Was er mit der Information dann anfängt, ist seine Sache, aber warnen müssen wir ihn in jedem Fall.«
Am Flugplatz stellte Milena jetzt fest, daß der Manager des Reisebüros nicht zuviel versprochen hatte. Sie brauchte sich nicht schon eineinhalb Stunden vor Abflug am Schalter zu melden. Ihr Koffer wurde eingecheckt, ohne daß sie Schlangestehen mußte. Milena erhielt einen Fensterplatz in der ersten Reihe. Die beiden Sitze neben ihr würden, durch Reservierungsschilder gesperrt, unbesetzt bleiben, so daß die Reisende sie während des Dreizehn-Stunden-Flugs als Schlafgelegenheit nutzen könnte. Die Stewardessen ließen erkennen, daß sie dieser Passagierin jeden Wunsch von den Augen ablesen würden, und die Mitreisenden hielten sich zunächst auch noch mit Schilderungen ihrer Love-Exkursionen in Bangkok-Babylon zurück.
Die Passagiere, in der Überzahl Männer, waren gemischt wie ihr Reisegepäck:Modische Schalenkoffer neben verschnürten Pappkartons, Akademiker neben Proleten, junges Gemüse neben unternehmungslustigen Frührentnern. Der entsetzliche Vietnam-Krieg hatte Thailand, Muang-Thai, das Land der Freien, auch in ein Land der Freier verwandelt, in den Reiseprospekten charmanter als die »Region des Lächelns und der Liebe« bezeichnet.
Das südostasiatische Königreich war zur Etappe der US-Army in Indochina geworden. In Sündenparadiesen wie zum Beispiel Pattaya, zwei Autostunden von der Hauptstadt entfernt, hatten exotische Mädchen, grinsende Zuhälter und abgefeimte Rauschgift-Dealer den Gls ein befristetes Lotterleben ermöglicht, bevor sie wieder zum Sterben in die Dschungelhölle zurück mußten.
Zu den Nachfolgern der olivgrünen Soldaten waren zunehmend Touristen aus den westlichen Landern, doch auch aus Japan, Australien und dem arabischen Raum geworden, die gespartes Geld und gestaute Manneskraft in das Treibhaus der Träume und Triebe exportierten.
Milena reiste nicht ganz unvorbereitet in dieser geschlossenen Gesellschaft der offenen Wünsche;sie war eine interessierte Zeitgenossin — aber es macht einen Unterschied, ob man den west-östlichen Liebeswahn aus Zeitungen und Büchern kennt, oder man in einer dichtbesetzten 707 mit ihm konfrontiert wird.
Kurz nach dem Start schilderte ein offensichtlicher Stammbesucher einem staunenden Neuling die Vorzüge mandeläugiger Liebesdienerinnen:»Diese Siamkatzen sind sauber, immer lustig und gut gelaunt, zu allem aufgelegt, und sie strahlen dich an, auch wenn du ihnen noch so sehr auf den Wecker fällst. Sie sind immer für dich da, wenn du willst für eine Stunde, für deine ganze Ferienzeit oder auch fürs Leben.«
»Das ist wohl ein bißchen zu lange für eine Nutte«, versetzte der Mitreisende.
»Nutten kann man die nicht nennen.«
»Aber sie nehmen doch Geld.«
»Ja — schon, aber bei ihnen ist eben alles ganz anders. Das mußt du selbst erleben, ich kann dir das nicht weiter beschreiben. Ich sag’ dir nur, die lachen dich an, und dein Lümmel im Hosensack reckt sich und macht Freudensprünge, Emil. Und dafür kannst du schon mal ein paar Baht-Scheine opfern.« Der Liebes-Bahtisan lachte. »Die können’s wirklich gebrauchen — sie ernähren oft eine große Familie —, und beim Friseur gibst du ja auch ein Trinkgeld.«
Milena drehte sich nach dem Wohltäter der Wollust um, fixierte ihn kurz. Der Mann schwieg fortan zweihundert Flugkilometer lang. Eigentlich hätte die ungewöhnliche Charter-Passagierin für die Ablenkung dankbar sein müssen. Sie fürchtete sich vor dem ersten Intimgespräch, das sie mit ihrem Vater führen würde — aber Männer in Masse waren für Milena wie Rüden im Rudel, schnuppernd, hechelnd, bellend, triebbesessen.
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