Die Freundin legte den Arm um Milenas Schultern. »Wenn du nicht sofort das Feuer austrittst«, drängte sie, »bekommst du eine fast zehn Jahre jüngere Stiefmutter, der dein mehr als doppelt so alter Vater mindestens die Hälfte seines Vermögens vererben wird.«
»Aber was soll ich tun?«
»Sprich zunächst mal mit dem Bankier Keil«, riet die Wienerin. »Du solltest ihm wirklich für seine Warnung dankbar sein.« Milenas Widerstand war gebrochen; sie erklärte sich bereit, vor dem Abflug Sissys Mann zu treffen.
Die Begleiterin Martin Laimers hatte in dem Spezialitäten-Restaurant für Meeresfrüchte an der Sukhumvit-Road noch vor dem Industriellen erkannt, daß ihr verliebtes Zusammensein beobachtet worden war. Ganz in der Nähe saßen Cecil Casagrande, der Autor, und zwei Herren aus der Rotarier-Runde, die sich heute nachmittag in der Halle des »Oriental« am Nebentisch ausgiebig über sie unterhalten hatten. Natürlich war es jetzt zu spät, nach dem Tête-à-tête auf optische Distanz zu ihrem Begleiter zu gehen, aber sie folgte einem mechanischen Impuls und zog ihre Hand von Laimers Arm zurück, rückte mit dem Stuhl ein wenig von ihm ab.
Der Mann auf Verjüngungskur vermißte ihre Zärtlichkeit sofort. »Was hast du denn?« fragte er, folgte ihrem Blick und erkannte die lästigen Zaungäste, die zu beflissen in eine andere Richtung sahen, um ihn darüber hinwegtäuschen zu können, daß sie ihn längst erkannt hatten.
»Da haben wir die Bescherung«, sagte die dunkle Schönheit mit dem unbeschriebenen Gesicht. »Wir hätten uns wirklich nicht so kindisch benehmen dürfen, Martin. Jedenfalls sitzen wir jetzt in der Falle.«
»Wir werden sie sprengen.«
Der Unternehmer war bereit, die Flucht nach vorne anzutreten. »Bitte sei nicht voreilig«, warnte ihn seine Begleiterin. »Ich könnte mich unauffällig davonmachen, und —«
»Nein«, unterbrach sie der Mann im hellen Anzug. »Schluß mit dieser Heimlichtuerei! Es ist für mich wie eine Erlösung.« Er erhob sich, um frontal die Voyeure seines Glücks anzugehen. »Guten Abend, Gentlemen«, begrüßte er sie. »Welch hübscher Zufall, daß wir uns hier begegnen«, behauptete er mit einem Gesichtsausdruck, der seine Worte Lügen strafte, »Ich fürchte, daß ich Ihnen eine Erklärung schulde.«
»Sie schulden uns gar nichts, Mr. Laimer«, erwiderte Cecil Casagrande großmütig; er spielte auf das Gespräch vom Nachmittag an. »Es freut uns, daß Sie Ihre Geschäftsbesprechung rasch genug hinter sich bringen konnten, um uns vorzuführen, daß Sie Ihre Flinte noch nicht vorzeitig ins Korn geworfen haben.«
»Ich flunkere wirklich selten«, behauptete Laimer ohne jede Verlegenheit, »weniger aus Wahrheitsliebe, sondern weil ich immer ertappt worden bin — das war schon in der Schule so.« Er lächelte knapp. »Ich hätte Sie natürlich Mrs. Bauer vorstellen müssen«, bezichtigte er sich der Unterlassung. »Aber Ihr Verhalten — verzeihen Sie —, das Ratespiel — das Sie veranstalteten — hat mich so amüsiert, daß ich es einfach nicht fertig brachte.« Spott überzog sein Gesicht wie ein Firnis. »Wenn man so in den Sielen steht wie ich, erlebt man ja privat wenig Unterhaltung und Abwechslung.«
»Reden Sie nicht darum herum«, erwiderte Odermatt. »Sie haben uns ganz schön hereingelegt. Jedenfalls sind wir die Blamierten.«
»Ich bitte um Entschuldigung und stelle mich der Wiedergutmachung«, entgegnete der Alleinherrscher eines Konzerns und lud das Herren-Trio an seinen Tisch ein.
Die drei Entdecker folgten ihm bereitwillig, mit viel Neugier und auch ein wenig Eifersucht.
»Mr. Casagrande kennst du ja schon, Ilonka«, konstatierte der Mann mit den buschigen Augenbrauen. »Ich möchte dir Herrn Odermatt, einen Bankier aus Zürich, vorstellen, und Mr. Bannister, den bekannten New Yorker Verleger.« Während sich die Herren artig verbeugten, setzte Laimer mit Spott und Stolz hinzu: »Und jetzt decouvriere ich Ihre Nachmittags-Sphinx: Ilka Bauer aus Rom, oder sage ich besser New York. Oder Paris.«
»Sie haben einen hübschen Vornamen, Madame«, stellte Casagrande fest.
»Ilka ist die Abkürzung von Ilonka«, antwortete die Umworbene. »Und das ist der ungarische Name für Helene.«
»Ilka oder Ilonka oder Helen — es handelt sich um die Dame, um deren Gunst ich mich seit einiger Zeit bemühe«, gestand Laimer, als seine Gäste Platz genommen hatten.
»Offensichtlich mit Erfolg?« bemerkte der Mann aus dem Steuerparadies Monte Carlo lachend.
»Aber ich bitte Sie, Mr. Casagrande«, entgegnete die entschlüsselte Schöne an Laimers Stelle. »In Ihren Romanen formulieren Sie solche Fragen weit eleganter.«
Die Herren lachten befreit.
Der Romancier entschuldigte sich für seine Plumpheit und setzte launig hinzu: »Für Ihre liebenswürdige Mitteilung, daß Sie meine Romane lesen, beziehe ich gerne eine Ohrfeige vor aller Augen.«
»Wie ich feststellte, haben Sie auch ›Chablis Grand crus‹ getrunken«, sagte Laimer.
»Ja«, bestätigte Casagrande. »Wir haben offensichtlich den gleichen Geschmack.« Mit einem anzüglich-feurigen Blick auf Ilonka lobte er: »Sehr feines Bukett, elegant im Körper, von delikater Frische.« Ein Ober brachte die Gläser an den Tisch und schenkte Wein ein. Martin Laimer hob das Glas und prostete den Gästen zu. »Sie sind die ersten, die erfahren, daß meine Begleiterin und ich einander nahestehen«, erklärte er.
»Das wird auch unter uns bleiben«, beteuerte Odermatt, als handele es sich um ein verschwiegenes Bankgeschäft.
»Nicht nötig«, wies der Einundsechzigjährige das Angebot zurück. »Sowie Ilonka damit einverstanden ist, werden wir unser Zusammensein legalisieren«, kündigte er an und setzte hinzu: »Wie es sich für einen Rotarier auch gehört.«
Diese Wendung des Gesprächs war der jungen Frau offensichtlich unangenehm. Sie erhob sich. »Ich muß mir unbedingt die Beine etwas vertreten«, erklärte sie und konnte nicht verhindern, daß sich ihr der Züricher Bankier als Beschützer anschloß.
An der Seite einer so schönen Frau wuchs Odermatt noch einmal ein Stück über seine Körpergröße und die raffiniert erhöhenden Schuhabsätze hinaus.
Casagrande sah den beiden nach. »Meinen Glückwunsch, Herr Laimer«, sagte er. »Die Laudatio für Ihre Dame haben wir ja schon heute nachmittag gehalten, bevor wir wußten, daß Sie zu ihr gehören. Sie hat wirklich alles, was einen Mann entzücken muß. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Geschmack, Entschuldigen Sie bitte, aber ich kann meine Neugier einfach nicht zügeln: Wo und wie lernt man ein solches Ereignis von Frau kennen?«
»Durch Zufall«, erwiderte der Unternehmer. »Wenn man Glück hat, auf dem Flug von New York nach Frankfurt.« Strahlend ergänzte er: »Ich hatte Glück.«
»Ich muß doch immer in der falschen Maschine sitzen«, klagte der Literat, und Bannister und Laimer lachten lauthals.
»Ehrlich gesagt, ich habe mich benommen wie ein Trottel«, gestand der Unternehmer. »Ich verdiene Ilka eigentlich gar nicht. Sie ist mir zugefallen wie der Haupttreffer einer Lotterie.«
»Beneidenswert«, versetzte der Verleger.
»Ich hatte und habe große Hemmungen zu überwinden«, fuhr Laimer fort.
»Das verstehe ich nun wirklich nicht«, meinte Casagrande. »Ilonka ist zu schade für eine befristete Romanze«, erklärte der Industrielle. »Gegen eine dauernde Beziehung aber sprechen mehr als drei Jahrzehnte Altersunterschied. Genau einunddreißig Jahre.«
»Das ist doch nur eine Zahl«, spielte Casagrande die Differenz herab, und auch Bannister stimmte durch lebhaftes Kopfnicken zu, wiewohl er wußte, daß Zahlen die Grundsubstanz von Rechenfehlern sind.
Odermatt und Ilonka kamen zurück mit drei Flaschen Wein, und Laimer schätzte besorgt ab, wie lange ihm heute noch der Weg in das vierarmige Paradies versperrt bliebe — aber das ungleiche Paar würde noch viel Zeit miteinander haben; die beiden wollten über Weihnachten und Neujahr in Fernost bleiben. Auf einmal spürte der Unternehmer, wieviel Freude es ihm bereitete, seinen neiderfüllten Geschlechtsgenossen die junge Geliebte vorzuführen, die so sauber, so liebevoll, so begehrenswert wie unbegehrlich war, kurzum, die Frau, der man nur einmal im Leben begegnet. Sehr spät, gewiß — aber vielleicht gerade doch noch rechtzeitig.
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