Die Enge Basels beruht auf der Kantonstrennung von 1833 und ist ein Trauma, nicht nur gegen Süden, wo die Stadt nahtlos in den Speckgürtel der basellandschaftlichen Nachbargemeinden – mit kantonal geregelten, niedrigeren Steuersätzen – übergeht, sondern auch gegenüber der deutschen und französischen Grenze. Ich vergesse den hohen Stacheldrahtzaun zu Nazi-Deutschland nicht, und ebenso wenig die seit den 1950er-Jahren kaum mehr kontrollierte Freizügigkeit zu den badischen und elsässischen Nachbarn, die ein Stück Europa vorweggenommen und mich geprägt hat, schweizerische Absage an die EWG hin oder her. Der Stadtstaat an der Grenze gehört in sein Umland.
Andererseits aber ist er sich seiner Eigenart bewusst. Er hat sein eigenes Bildungssystem, das wir 1960 mit der damals 500-jährigen Universität gefeiert haben, und das auch auf das Humanistische Gymnasium ausstrahlte, das mich zunächst geprägt hat. Waren die Lehrer an dessen Oberstufe, damals „Paedagogium“ genannt, bis weit ins 19. Jahrhundert die Professoren der Philosophischen Fakultät der Universität – was Friedrich Nietzsche, als ganz junger Mann 1869 als Griechisch-Professor nach Basel berufen, vor Probleme stellte und in Konflikte brachte 7–, so hatte ich auch in meiner Schulzeit etliche Universitätsprofessoren als Lehrer. Der Historiker Adolf Gasser, der 1943 mit seinem Buch „Gemeindefreiheit als Rettung Europas“ 8die kleinräumige Demokratie verteidigte – eine Parallele zu Leopold Kohr und E.F. Schumacher liegt nahe – weckte mein Interesse für die lokale Selbstverwaltung und damit für eine Grundlage der Stadtstaatlichkeit. Ich begann Jean-Jacques Rousseau zu lesen und nahm den „citoyen de Genève“ als solchen wahr. Die griechische und zunächst auch römische Geschichte lernten wir anhand der Polis kennen – dem Ort der Entfaltung lokaler (noch so unvollkommener) Demokratie und zugleich, für Platon, Modell zur Explikation der Politeia, des gerechten Gemeinwesens. Der große Basler Historiker Jacob Burckhardt hatte diese Polis beschrieben und in Verbindung zu seiner Heimatstadt gebracht. 9Der „Städtegeist“, den der aus Basel stammende Historiker und Diplomat Carl Jacob Burckhardt damals (1952) in seinem Nürnberger Vortrag rühmte, 10hatte hier seine Grundlage. Direkt daran schloss mein Jura-Studium in Basel an, mit der Vermittlung einerseits der gemeindlichen Selbstverwaltung, andererseits des Aufbaus des Bundesstaats auf unterschiedlich strukturierte Gliedkörperschaften, den Stadtkanton zwischen den Flächen-Kantonen. So präzis mein Lehrer Max Imboden die Struktur des demokratischen Bundesstaats erfasste, er ließ, ebenso wie sein Lehrer Zaccaria Giacometti, 11den unterschiedlichen Ausgestaltungen der Kantonsverfassungen Raum. Dabei bot für Basel damals auch eine eigenständige Presse Diskussionsforen.
Daher nahm ich auch Berlin als Stadtstaat wahr, erst 1957 als Student, dann seit 1964 als Assistent und seit 1970 als Hochschullehrer. Früh interessierte ich mich für die Zweistufigkeit der Zentral- und der Bezirksebene und begann zu ahnen, dass hier der damalige ehrenamtliche Stadtrat Hugo Preuß aus seinem Konzept städtischer Selbstverwaltung und städtischen Amtsrechts eine für die Reichshauptstadt passende Verfassungsform zu entwickeln versucht hatte. 12Allerdings schreckte mich schon damals die bürokratische Aufblähung des Verwaltungsapparats, und nach den politisch spannungsreichen Jahren, im weltpolitischen wie im universitären Bereich, lockte ein Wechsel.
In der Tat wirkte Bremen auf mich als besser funktionierendes städtisches Gemeinwesen. Ich nahm die jahrhundertealte reichsstädtische und die – vielleicht, auch unter dem Eindruck von 1848, zu optimistisch gesehene – republikanische Tradition im Deutschen Bund und Deutschen Reich wahr, 13erfuhr von deren Entwicklung zur Räterepublik, aber auch zu deren Unterdrückung durch die an sich doch auch die Republik bejahende Reichsregierung, schließlich von der bis 1933 standhaften Verteidigung gegen den Nationalsozialismus. 14Insofern sah ich im heutigen Bundesland Bremen weniger die Neugründung, als die Anknüpfung an die Tradition, und dass diese jetzt mit einer Universität verbunden wurde, betonte die Verwandtschaft mit Basel und erleichterte mir, heimisch zu werden.
1Begründet deshalb das Desiderat bei Peter Häberle, Die Zukunft der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen im Kontext Deutschlands und Europas, JZ 1998, S. 57 (65 mit Fn. 61), nach einer Stadtstaaten-Theorie; zu den dort gegebenen Literaturhinweisen ist namentlich Konrad Hummler/Franz Jaeger (Hrsg.), Stadtstaat – Utopie oder realistisches Modell?, Zürich 2011 nachzutragen.
2Dabei versteht sich, dass weitere Vergleichsgesichtspunkte von Interesse sind, etwa das Staatskirchenrecht und das städtische Baurecht.
3Dazu Peter Kalmbach/Christoph Schminck-Gustavus, in: Fischer-Lescano/Rinken u.a. (Hrsg.), Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, Baden-Baden 2016, E 1 Rdnr. 4, 10, S. 77, 81. Aufschlussreich auch die Beiträge in Konrad Elmshäuser (Hrsg.), Der Stadtstaat. Bremen als Paradigma, Bremen 2005.
4Dazu Ernst R. Zivier, Berlin: Stadtstaat, kreisfreie Stadt oder Bundesbezirk? Recht und Politik 39, 2003, S. 81 ff. und dann die Neufassung des Art. 22 GG durch die Föderalismusreform, Gesetz vom 28.8.2006 (BGBl. I, S. 2034) und die daran anschließenden Überlegungen, dazu Wolfgang Bey/Thomas Flierl (Hrsg.), Die neue Hauptstadtdebatte, Berlin 2007 (mein Beitrag S. 40 ff.).
5Dazu Kurt Eichenberger, Die Lage des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons Basel-Stadt, in: Eichenberger u.a. (Hrsg.), Handbuch des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons Basel-Stadt, Basel 1984, S. 1 (14 f. mit Fn. 25), der Basel als Stadtstaat im Sinn einer Stadt ohne Umland, aber nicht als historische Stadtrepublik versteht.
6Werner Hegemann, Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt (1930), Ausgabe: Ullstein Bauwelt Fundamente, Berlin 1963.
7Dazu Eduard His, Basler Gelehrte des 19. Jh., Basel 1941, S. 307, fußend auf Johannes Stroux, Nietzsches Professur in Basel, Jena 1925.
8Adolf Gasser, Gemeindefreiheit als Rettung Europas, Basel 1943, 2. Aufl. 1947, kommentierte Neuausgabe durch Ulrich Mentz unter dem Titel „Gemeindefreiheit in Europa“, Baden-Baden 2004.
9Vgl. die umfassende Biographie von Werner Kaegi, Jacob Burckhardt, 7 Bde. Basel 1947-1982, wo im abschließenden Band 7 (1982) auf die Ausführungen zur Griechischen Kulturgeschichte S. 111 ff. ein Kapitel über „Das Leben im Stadtstaat“ folgt. Kaegi betont auch, gestützt namentlich auf Emil Dürr, Jacob Burckhardt als politischer Publizist, Zürich 1937, die Verbindung von historischer und politischer Darstellung durch Burckhardt.
10Carl Jacob Burckhardt, Städtegeist, in: Vier historische Betrachtungen, Zürich 1953, S. 74-105.
11Zaccaria Giacometti, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, Zürich 1941.
12Eindrücklich insofern die Widmung Hegemanns (zit. Fn. 6) „Dem Andenken von Hugo Preuß“, S. 7 f., dazu Christoph Müller, Einleitung, in: Hugo Preuß, Gesammelte Schriften, Bd. 5, Tübingen 2012, S. 52 mit weiteren Nachweisen in Fn. 268.
13Dian Schefold, Hundertfünfzig Jahre Bremische Verfassung, in: Jahrbuch der Juristischen Gesellschaft Bremen 2000, S. 7 ff., jetzt auch in: Dian Schefold, Bewahrung der Demokratie. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 2012, S. 406 ff.
14Dazu Holger G. Hasenkamp, Die Freie Hansestadt Bremen und das Reich 1928-1933, Bremen 1981, und meine Rezension AÖR 108, 1983, S. 462 ff.
II.VERGLEICHSGESICHTSPUNKTE
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