Jetzt verwünschte er den Scirocco, der ihm das Hirn zerrütte, haderte mit dem traubenschweren Rebenspalier, das ihm schwül über dem Kopfe hing, und scharrte mit den Füßen im Sand, als könnte er hier die fehlenden Reime ausgraben, wie eine Henne ihr Futter. Endlich flüchtete er sich auf einen freien Rasenplatz in der Nähe des Parktores, wo in anmutigem, von Wasserrosen überwuchertem Becken ein Springquell plätscherte. Eine dunkle Wolkenbank hatte sich am Rande des Horizonts gesammelt und ließ, langsam heranschiebend, die abendliche Dämmerung noch düsterer erscheinen. Lucius schwang sich kühn auf den Schoß einer steinernen Najade und ließ seine Stirn von dem fallenden Wasserstaub benetzen, indes er fingernd auf dem Rand des Wasserbeckens den Takt schlug. Dabei kam ihm der Hufschlag eines trabenden Pferdes vom Tal herauf wunderbar zur Hilfe, und er brachte nun wirklich eine geistige Geburt zustande, die einige Ähnlichkeit mit dem Anfang eines freien Hymnus besaß.
In seinem Feuer beachtete er nicht, daß der Hufschlag immer näher kam, bis er durch die Gitterstäbe eine Reitergestalt auf dem breiten Lorbeergang erblickte, der außerhalb des Gartentores die Besitzung Marcantonios mit der Landstraße verband.
Sah er ein rächendes Gespenst oder war es wirklich der Junker Veit von Rechberg, der sich jetzt vom Pferde schwang und an das Gartenor pochte?
In heiligem Schreck, als hätte er sich durch seine dichterischen Mühen an dem Bruch der Verlobung mitschuldig gemacht, rannte Lucius in das Haus zurück, laut nach Herrn Bernardo rufend. Dort taumelte er gegen Marcantonio, dem bei der Schreckenskunde einen Augenblick gleichfalls die Knie versagten. Aber schnell besonnen legte der Florentiner dem Rothaarigen die Hand auf den Mund und zog ihn aus dem Bereich der Schlafgemächer.
»Den Mund gehalten, Deutscher!« herrschte er ihn an. »Und kein Geräusch im Hause! Das Fräulein und Herr Bernardo dürfen heute nacht nicht mehr gestört werden. Du kommst mit mir und führst das Pferd ganz stille in den Stall. Und ich will nicht hoffen, daß ein Deutscher an seinem Herrn zum Verräter wird.«
Lucius war so verblüfft von diesem Ton, daß er gar nicht wußte, wie ihm geschah. Nein wahrlich, er haßte ja den Verrat mehr als den Schlund der Hölle und hatte auch nicht die geringste Lust, in dem Kampf, der jetzt notwendig entbrennen mußte, Partei zu nehmen. Er war dem Junker zugetan, aber nur um des Fräuleins willen, nicht weil er ein Deutscher war, denn Lucius fühlte sich ganz als Florentiner. An Marcantonio dagegen war er gewohnt, mit Ehrfurcht emporzublicken, und vor allen Dingen durfte er es mit dem Manne nicht verderben, der im Haus Rucellai Regen und Sonnenschein machte. Er gönnte das Fräulein dem einen und hätte sie doch dem andern nicht gern entrissen gesehen. Aber mochte Herrn Bernardos Weisheit morgen die verschlungenen Fäden entwirren, er hatte kein Amt, als zu schweigen und zu gehorchen. Gedemütigt folgte er Marcantonio, der an das Tor eilte, um den Ankömmling zu begrüßen. Lucius empfing schweigend die Zügel und führte das dampfende Pferd nach dem Stall.
»Ihr kommt spät, Herr Ritter«, begann der Florentiner, »aber Ihr seid nicht minder willkommen.«
»Doch nicht zu spät?« stammelte Veit erschrocken.
»Für heute wohl«, entgegnete Marcantonio ausweichend, »denn Herr Bernardo und seine Tochter sind schon zur Ruhe.«
»Denkt Ihr, daß ich Eile hatte, edler Herr?« rief der Junker. »Ihr dürft es glauben. In Mailand ließ ich meine Knechte zurück, weil sie nicht schnell genug vorwärts kamen, in Bologna überholte ich den vorausgesandten Boten, aber Ihr müßt wissen, daß die Erlangung des Kodex –«
»Ihr habt also den Kodex wirklich?« unterbrach der Florentiner mit heimlichem Spott.
»Hier«, sagte Veit lächelnd und legte die Hand auf seine Brust, wo sich ein Gegenstand wie eine Pergamentrolle abzeichnete.
Marcantonio empfand ein gewisses Unbehagen, obwohl er sich nichts anderes vorstellen konnte, als der Ritter habe durch irgendwelchen deutschen Gelehrten eine mehr oder minder geschickte Fälschung anfertigen lassen.
Doch ganz anders erschrak er, als ihm nun der Jüngling, gerührt durch seine lebhaften Glückwünsche, bekannte, daß er gar nicht die Urschrift bringe, die vor Jahren nach Italien verkauft worden sei, sondern nur eine sauber geschriebene Kopie.
Marcantonio wurde bleich wie der Tod, und um seine Bestürzung zu verbergen, ließ er sich von dem Ankömmling die ganze Jagd auf den Kodex ausführlich erzählen.
»Ihr müßt wissen«, begann der Junker seinen Bericht, »daß ich bei meiner unerwarteten Rückkehr auf Schloß Stauffeneck zu meinem Schrecken die Truhe leer fand, denn der Schatz war schon vor mehreren Jahren durch einen Zufall zutage getreten. Meine Mutter hatte ihm wenig Beachtung geschenkt und die Bücher dem Gemeindepfarrer überlassen, mit Ausnahme eines einzigen, das ein auf dem Schloß herbergender Mönch sich zum Geschenk erbat. Natürlich war es mein erstes, den Gemeindegeistlichen aufzusuchen, und von ihm erfuhr ich – Heil und Unheil in einem Atem – daß die weggeschenkte Handschrift wirklich der ciceronianische Kodex war.
Der Pfarrherr entsann sich dieses Umstandes genau, denn an den Titel des Buches knüpfte sich eine schauerliche Erinnerung, die er damals auf Schloß Stauffeneck zum besten gegeben und die er jetzt auch mir mit aller Breite wiederholte.
Vor ungefähr dreißig Jahren nämlich, da er eben erst als ganz junger Mann zu der Gemeinde versetzt worden, sei im Dorfe das Gerücht ausgekommen, ein fremder Zauberer und Schatzgräber habe sich in den Ort geschlichen und treibe in den nahen Ruinen des etliche Wochen vorher niedergebrannten Blasiusklösterleins sein Wesen. Der Schwarzwälder Führer, welcher den Unhold begleitete, habe selber die Anzeige gemacht, daß der fremde schwarze Mann, der ihm schon unterwegs unheimliche Dinge von einem Zauberbuch gesprochen, die Brandstätte durchwühlte und wie außer sich in unverständlicher Sprache wilde Beschwörungen murmle. Die Bauern seien mit Knütteln und Heugabeln an den Ort gerannt, der Pfarrer hinterher, um den übelangekommenen Fremdling, in welchem er nach den Aussagen des Führers einen wandernden Büchermaulwurf vermutete, mit seinem eigenen Leibe zu decken. Doch sei der Fremde, ein hagerer Mann mit schwarzem Bart und Haar, von den Stichen und Hieben der wütenden Bauern, die seine Gebärden und Sprache für Zauberformeln hielten, schon so unmenschlich zugerichtet gewesen, daß die Hilfe zu spät kam. Es sei ihm zwar gelungen, den Schwerverwundeten lebend den Händen seiner Peiniger zu entreißen, aber noch desselben Tages habe der Unbekannte in dem Asyl der Pfarrei den Geist aufgegeben, ohne mehr seinen Namen und Herkunft nennen zu können. Aber noch im Todeskampf habe der Unglückliche von einem Manuskript gesprochen, das er im Kloster holen gesollt, ja, das letzte vernehmbare Wort, das er zu sprechen vermocht, sei der Name jenes Buches gewesen, der sich ihm, dem armen ungelehrten Dorfpfarrer, auf ewig in die Seele geprägt habe.«
Der Junker hielt ein wenig inne, um Atem zu schöpfen, und betrachtete teilnehmend seinen Wirt, dessen verstörtes Aussehen er der Erschütterung über das schreckliche Ende seines Verwandten zuschrieb.
»Der Pfarrer wollte das Opfer christlich bestatten«, fuhr er fort, »doch die erregte, abergläubische Gemeinde ließ es nicht zu, und die Leiche mußte an der Kirchhofecke bei Vagabunden und Selbstmördern eingescharrt werden. Ich will hoffen, daß die Nähe seines Schatzes dem unglücklichen Märtyrer nie den Schlummer gestört hat, wie wir es uns einst in kindischer Einbildung vorstellten. Denn solltet Ihr nach dem allem zweifeln, daß der so grausam Erschlagene wirklich Euer edler Verwandter war, so habe ich aus den Händen des Pfarrers den einzigen Wertgegenstand des Toten, seinen Siegelring, erhalten, der die eckigen Querbalken Eures Wappens trägt und der, wie ich gewiß bin, alle Zweifel beseitigen wird.
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