Faktoren, die zum krestalen Knochenverlust führen
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Verständnis der pathogenen Mechanismen des krestalen Knochenverlusts von Bedeutung. Für das Phänomen des frühen krestalen Knochenverlusts wurden viele Erklärungen vorgeschlagen, wie Überlastung, Mikrospalte, ein polierter Implantathals usw. 6,16,17. Die Stabilität des krestalen Knochens wird jedoch weiterhin kontrovers beurteilt. Die Besprechung aller Faktoren, die zum Knochenverlust führen, würde den Rahmen dieses Buchs sprengen. Daher wird hier nur auf die Faktoren eingegangen, die für eine Behandlung ohne Knochenverlust wichtig sind und zu folgenden Kategorien gehören:
vom Operateur abhängige Faktoren;
Fehldiagnosen oder das Fehlen diagnostischer Faktoren;
Faktoren, die den Knochenverwlust auf Null reduzieren.
Vom Operateur abhängige Faktoren
Vom Operateur abhängige Faktoren oder seine technischen Fähigkeiten sind wichtig, weil eine fehlerhafte Durchführung der Operation (z. B. nicht korrekte Implantatposition, Operationstrauma, Exposition des Implantats, ungenügender interimplantärer Abstand) zum Knochenverlust führt (Kasten 1-1 und Abb. 1-12). Selbst bei idealen klinischen Bedingungen kann eine mangelhafte Durchführung zu ungünstigen Ergebnissen führen. Üblicherweise vermindert sich der vom Operateur ausgelöste Knochenverlust im Lauf der Zeit, weil er immer mehr Erfahrungen sammelt.
Kasten 1-1 Vom Operateur abhängige Faktoren mit Einfluss auf Knochenstabilität und -verlust
Implantatausrichtung
Dünner Knochen
Komplikationen bei der Augmentation
Operationstrauma
Interimplantärer Abstand
Belastungsprotokoll
Eindrehmoment
Trauma
Überlastung
Ungenügender Implantat-Zahn-Abstand
Falsches Bohrprotokoll
Nahttechnik
Immobile Lappen
Bukkale Position
Abb. 1-12Nicht korrekte dreidimensionale Position des Implantats. (a) Die Weichgewebe maskieren die Position des Implantats, das zu weit bukkal gesetzt wurde. (b) Bukkale Exposition des Implantats.
Zu dieser Gruppe von Faktoren gehört auch die Kompetenz des Operateurs beim Einsatz des gewählten Implantatsystems. So kommt es für gewöhnlich bei der Erstverwendung eines Implantatsystems zur Knochenkompression, die auch weiterhin als einer der wichtigsten Auslöser des frühen Knochenverlusts gilt. Man geht davon aus, dass beim Setzen des Implantats in sehr festen Knochen (Typ 1) Wärme entsteht und es zu einem deutlichen Knochenverlust kommt. Dieser Knochenverlust muss von anderen Formen der Knochenresorption unterschieden werden, da er bereits vor dem Einsetzen der Einheilkappe auftritt. Wird ein Implantat beispielsweise mit einem zu hohen Eindrehmoment gesetzt, sodass es zur Knochenkompression kommt, wird der Knochen nach der Implantation resorbiert, obwohl das Implantat mit Weichgewebe bedeckt und nicht exponiert ist ( Abb. 1-13und 1-14).
Abb. 1-13Die chirurgische Knochenkompression des mesialen Implantats kann zum Knochenverlust führen. Der Implantathals ist verbreitert und dadurch stark komprimierend.
Abb. 1-14Klassisches Beispiel eines Knochenverlusts aufgrund der Kompression. (a) Das Implantat im Unterkiefer mit Abdeckschraube. (b) Nach zweimonatiger Heilung und vor der Freilegung des Implantats besteht bereits ein krestaler Knochenverlust. (c) Beim zweiten Eingriff besteht ein starker Knochenverlust.
Einfluss von Fehldiagnosen
Eine weitere Gruppe von Faktoren mit Einfluss auf die krestale Knochenstabilität hängt mit Fehldiagnosen zusammen. Sofern beim Patienten bestimmte Krankheiten vorliegen, die nicht oder nur unzureichend behandelt wurden, ist eine periimplantäre Knochenresorption die Folge. Selbst wenn der Behandler ausgezeichnete Operationsfähigkeiten hat, sind dann die Ergebnisse ungenügend. Zu diesen Faktoren gehören der Parodontalstatus des Patienten, zu schmaler Knochen und fehlende befestigte Weichgewebe ( Abb. 1-15). Eine Parodontitis muss beispielsweise vor einer Implantatversorgung behandelt werden. Werden Implantate bei einem Patienten mit unbehandelter Parodontitis gesetzt, tritt aufgrund der Infektion ein früher oder verzögerter krestaler Knochenverlust auf ( Abb. 1-16).
Abb. 1-15 (a) Bei fehlender befestigter Gingiva an Implantaten sind die periimplantären Gewebe mobil. (b) Die Folge ist ein Knochenverlust.
Abb. 1-16 (a und b) Eine unbehandelte Parodontitis prädisponiert den Bereich – unabhängig von anderen Faktoren, die zum Knochenremodeling beitragen –, für einen ausgedehnten krestalen Knochenverlust.
Faktoren, die den Knochenverlust auf Null reduzieren
Die dritte Gruppe von Faktoren kommt in idealen klinischen Situationen zum Tragen. Diese Faktoren verursachen einen Knochenverlust, sind dem Operateur aber oft nicht bewusst. So kann eine ideale klinische Situation mit ausreichender Knochenhöhe und -breite, mindestens 2 mm befestigten Geweben und einem Implantat in korrekter dreidimensionaler Position bestehen und trotzdem ein krestaler Knochenverlust auftreten ( Abb. 1-17). Wenn sich bei der ersten Kontrolle bereits Probleme zeigen, ist das wenig wünschenswert. Vielleicht erklärt der Zahnarzt dem Patienten dann, dass sich der Knochen oft anpasst und die Resorption zum Stillstand kommen wird, was jedoch nicht immer der Fall ist. Es gibt belegte Fälle, in denen das initiale Knochenremodeling fortschritt und zum Implantatversagen führte. Es wäre angenehmer, wenn sich bei der Kontrolle eine uneingeschränkte Knochenstabilität zeigen würde, sodass sich weder Behandler noch Patient Sorgen machen müssen. Die angestrebte klinische Situation ähnelt derjenigen, die in Abbildung 1-18gezeigt ist. Wie im vorherigen Beispiel sind die Grundvoraussetzungen perfekt, um Knochenstabilität zu entwickeln: eine Knochenbreite von mehr als 7 mm, sodass bukkolingual mindestens 1,5 mm Knochen neben dem Implantat verbleiben, ausreichende befestigte Gewebe, ein Implantat mit Platform-Switching und konischer Verbindung sowie eine verschraubte Restauration. Nun ist die Knochenstabilität fantastisch – aber warum?
Abb. 1-17 (a bis h) Dieser Fall zeigt eine ideale klinische Situation: breiter Knochen, ausreichende befestigte Gewebe, eine korrekte apikokoronale Position des Implantats und eine direkt verschraubte Restauration. Allerdings zeigt die Röntgenaufnahme (h), die beim Einsetzen der Restauration angefertigt wurde, bereits einen krestalen Knochenverlust. Wie hätte er sich vermeiden lassen?
Abb. 1-18 (a) Initiale klinische Situation. (b) Das in das Implantatbett gesetzte Implantat. (c) Einzeitige Operation mit Einheilkappe in situ. (d) Perfekte Heilung vor der prothetischen Behandlung. (e) Definitive direkt verschraubte zirkonoxidbasierte Krone. (f) Röntgenaufnahme nach der Implantation. (g) Die Röntgenaufnahme nach der Restauration zeigt keinen Knochenverlust.
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