Eine ganze Weile war nichts als Stille. Eine ganze Weile. Dann murmelte auf einmal der alte Chefinspektor. »Hallo, hallo«, murmelte er, »was lese ich denn da: Der Mann lag auf dem Bauch mit dem Gesicht nach unten. Er blutete aus einer Platzwunde an der Stirn. Rock und Hose waren stark verschmutzt… He, Pernell, fehlt dir denn da nichts?« Pernell wußte nicht, was da fehlen sollte und das sagte er auch.
»Rock und Hose, stark verschmutzt«, wiederholte der Alte eigensinnig, aber Pernell wußte damit nichts anzufangen. Schließlich war es ganz normal, daß das Zeug stark verschmutzt war. Das Pflaster der Rue de Cac war kein Laufsteg für Mannequins, und einen roten Teppich hatte man für den Herrn Botschaftsrat dort sicher nicht ausgelegt. In der Rue de Cac.
Der alte Chefinspektor konnte ätzend zynisch werden, niemand erlebte das schmerzlicher als Inspektor Pernell. Jetzt war es wieder einmal so weit. Ob denn da wirklich nichts fehlte, fragte der Alte im Tone eines gütigen Vaters, der seinem vertrottelten Sohn die Relativitätstheorie erklärt. Was denn eigentlich aus dem Mantel geworden wäre? Dem gelben Kamelhaarmantel, den der honorige Diplomat bei Verlassen des Hotels ja angehabt hatte.
»He Pernell, wo ist denn der verdammte Mantel? He?… Im Streifenbericht steht nichts davon. Sieht so aus, als ob unser Diplomat den Mantel gar nicht mehr anhatte, als er aufs Pflaster fiel und einschlief!«…
»Sieht so aus«, sagte Inspektor Pernell erschrocken. »Vielleicht hat man den Mantel mitsamt der Brieftasche geraubt«, sagte der Kommissar. Aber es war ihm nicht so ganz wohl dabei. Irgendwie kam es sogar ihm unlogisch vor, daß Straßenräuber einem liegenden Opfer den Mantel ausziehen. Den geringschätzenden Blick des Chefinspektors schluckte er deshalb ohne Kommentar.
Der Chefinspektor ging nun mit langen Schritten im Zimmer auf und ab und summte dabei das Liedchen vom »Mariechen im Walde«. Das tat er immer, wenn er vergnügt war. Das Liedchen war womöglich noch älter als er selber und hatte einen unglaublich obszönen Text. Die Sekretärin begann lauter zu tippen und hustete. Der Kommissar wollte eisig wissen, was denn auf einmal so lustig wäre.
»Die Kneipe«, sagte der Chefinspektor laut. »Pernell, er muß noch in irgend so einem Tingel-Tangel gewesen sein, unser Botschaftsrat! Was hat ihm denn der Portier empfohlen!? Der Portier vom Interabnorm, als unser Kretin wissen wollte, wo in der Gegend noch was los sei?«
»Das Etablissement der Madame Rosa«, sagte Pernell und klatschte sich auf die Stirn. Er war auch schon auf dem Wege zur Tür, als der Alte bellte: »Also los, auf zu Madame Rosa!« – Und die beiden waren draußen, ehe der Kommissar noch Pap sagen konnte. »Nicht einmal einen Mantel hat er angezogen«, sagte die Sekretärin. »Bei diesem Sauwetter. Er wird sich erkälten…«
Es war kurz vor Mittag, als die beiden wieder zurückkamen. Mit nassen Haaren, pfiffigen Gesichtern wie Lausbuben und der Chefinspektor trug einen Mantel, der ihm um drei Nummern zu klein war. Einen gelben Kamelhaarmantel.
»Das kann ja nicht wahr sein!« schrie der Kommissar. »Jetzt sagen Sie bloß, die geraubte Brieftasche…«
Sie war tatsächlich im Mantelsack, die Brieftasche. Samt Diplomatenpaß und Geld. Der Betrag war nicht mehr vollzählig, der Chefinspektor hatte damit die offene Rechnung an Madame Rosa bezahlt. Die der Herr Diplomat vergessen hatte. So wie seinen Mantel. »Der Kerl hatte einen Vollrausch«, sagte der Chefinspektor sachlich.
So wütend hatte man den Kommissar schon lange nicht gesehen: »Dieses Schwein besäuft sich wie ein Latrinentschick«, schrie er, »wacht im Spital auf und macht eine Raubanzeige!« Und er würde diesen Diplomaten anzeigen, schimpfte er weiter. Wegen Vortäuschung einer strafbaren Handlung. Schließlich hätte man eine Verfassung und vor dem Gesetz wären alle gleich. Da gäbe es keine Ausnahmen… Der Chefinspektor wurde immer vergnügter.
Das würde er lieber nicht tun, meinte er, so eine Gerichtsanzeige wegen Vortäuschung einer strafbaren Handlung. Schließlich hätte ja nicht der Botschaftsrat, sondern seine Frau die Anzeige gemacht und… »Aber seiner Frau hat er vorgelogen, er wäre beraubt worden!« schrie der Kommissar.
»Seiner Alten kann er erzählen, was er will«, meinte der Chefinspektor.
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