»René zum Beispiel.«
»Du meinst, dass niemand, überhaupt niemand, wissen darf, was ich mache? Was ihr macht?«
»Am liebsten nicht. Wir brauchen keine Reklame.«
»Wie um alles in der Welt kommt ihr dann an eure Kunden?«
Er lachte. »Wir stehen im Branchenverzeichnis unter Detektivbüros und mach nicht so ein Gesicht! Zum einen sagt das nichts darüber aus, was wir wirklich machen. Die Anzeige ist äußerst diskret, da steht nur Nachforschungen – Überwachung. Und zum anderen sehen die Leute nur in diese Spalte, wenn sie uns brauchen.«
Ich sah ihn skeptisch an. »Ja, aber ...«
Er unterbrach mich. »Und du hast Recht. Natürlich machen wir auch Reklame. Aber nur durch Direktmailings an größere Betriebe.«
»Ach so.«
Aus dem Vorzimmer waren Stimmen und Lachen zu hören und einen Moment später schellte eins der Telefone auf Henriks Schreibtisch. Das war bestimmt seine Sekretärin. Er nahm den Hörer ab und lauschte einen Moment.
»Gut«, sagte er dann. »Send in the clowns!« Er lauschte wieder. »Nein, das tue ich nicht«, lachte er.
»Was hat sie gesagt?«, fragte ich.
»Dass ich mich das nicht zu sagen traue, wenn sie es hören können.«
Das freute mich.
Es klopfte leicht an der Tür und meine drei zukünftigen Kolleginnen kamen herein. Ich sah sie verblüfft an. Ich hatte mir drei Frauen meines Alters vorgestellt, vielleicht etwas älter, mir jedenfalls ähnlich, eine Art Tick, Trick und Track, aber diese drei konnten nicht unterschiedlicher sein. Von mir und von einander. Die Älteste war eine große, ältere Dame mit dezent blaustichigem Haar. Um die sechzig, schätzte ich, und sehr distinguiert. Die Jüngste war eine Frau mittleren Alters, weder blond noch braun, die aussah, als hätte sie das Haus heute Morgen ein bisschen zu schnell verlassen. Die dritte entsprach so genau der Personenbeschreibung einer Ladendetektivin, die ich Henrik am Vortag geliefert hatte, dass ich beinahe lachen musste. Ich warf ihm einen schnellen Blick zu, aber sein Gesicht verriet nichts.
»Ich möchte euch eure neue Kollegin vorstellen, Beatrice ... äh ...« Er sah mich leicht verlegen an. »Wie heißt du eigentlich?«
Was für eine Vorstellung! Jedenfalls heiße ich nicht Beatrice Äh.
»Jantz«, sagte ich. Ich hatte meinen Mädchennamen wieder angenommen, als ich geschieden wurde. »Beatrice Jantz. Aber sagt einfach Bea.«
»Und wir sind also die Clowns«, sagte die hübsche, ältere Dame und gab mir die Hand. »Aber unser Gehör ist in Ordnung. Ich heiße Ruth.«
Ihre klugen, braunen Augen sahen mich forschend an. »Siehst du immer so aus?«
Ich lächelte. »Nicht wenn ich morgens aufstehe.«
»Das tut sie nicht«, sagte Henrik. »Ich habe sie gestern gesehen, und wüsste ich es nicht besser, würde ich nicht glauben, dass das dasselbe Mädchen ist.«
»Ausgezeichnet«, sagte Ruth. »Ganz ausgezeichnet. Du kannst das da hin und wieder brauchen, aber nicht zu oft.«
Die beiden anderen gaben mir auch die Hand. Sie hießen Inge und Karin. Inge war die ›Ladendetektivin‹.
»Passt auf«, sagte Henrik, als er uns um den Tisch herum platziert hatte. »Ich habe einen vorläufigen Plan erstellt, wann wer wo sein soll, damit wir euch zum einen an möglichst vielen verschiedenen Stellen einsetzen und zum anderen den größten Teil der Öffnungszeit abgedeckt haben. Wenn ihr Einwände habt, könnt ihr sie jetzt vorbringen. Übrigens treffen wir uns hier jeden Morgen um neun, um eure Beobachtungen zu vergleichen und zu sehen, ob wir uns auf jemanden besonders konzentrieren müssen. Das heißt auch, dass es zwischenzeitlich zu Änderungen kommen kann. Irgendwelche Kommentare?«
Die hatten alle drei, weshalb die Besprechung eine halbe Stunde dauerte. Sie waren alte Hasen, sodass ich nur schweigend zuhörte.
»Bea?«, sagte Henrik auffordernd. »Hast du noch Fragen?«
»Ja, was ist mit den ganz normalen Ladendieben?«
»Die sind nicht eure Aufgabe. Wenn ihr so etwas seht, merkt es euch zum späteren Gebrauch. Wer, was und wie. Dann reden wir bei unserer Morgenbesprechung darüber und nehmen es in unsere Kartei auf. Aber mischt euch nicht ein, auf keinen Fall. Das ist für unser eigentliches Vorhaben zu riskant.«
»Hast du Bea von Frau Back-Hansen erzählt?«, fragte Inge.
Henrik schüttelte den Kopf. »Nee, die hatte ich in der Tat vergessen. Gut, dass du mich daran erinnerst.«
»Ja, denn es wird sich kaum vermeiden lassen, dass Bea sie in Aktion sieht«, sagte Karin.
»Wer ist das?«, fragte ich. »Die Ladendetektivin?«
Alle vier brachen in Gelächter aus.
»Nicht ganz, nicht ganz!«, lächelte Ruth.
»Eher das Gegenteil«, fügte Inge hinzu.
Ich war nichts als ein lebendiges Fragezeichen.
»Frau Back-Hansen, sie heißt Marion, ist mit I. C. Back-Hansen verheiratet«, erklärte Henrik.
»Das sagt mir nichts«, räumte ich ein. »Wer ist das?«
»Entschuldige, ich habe vergessen, dass du lange im Ausland gelebt hast und nicht ganz up to date bist«, fuhr er fort. »In der letzten Zeit ist übrigens einiges über ihn in der Presse erschienen. Aber I. C. ist eine der Säulen der Stadt. Noch. Er ist Ende sechzig – soweit ich mich erinnere, wird er nächstes Jahr siebzig – und, wie gesagt, Marion ist mit ihm verheiratet.«
»Und was ist mit dieser Marion?«
»Sie ist Kleptomanin! Es wird nicht offen darüber geredet, aber im Grunde wissen es alle. I. C. ist Mitglied des Vorstands von K & L und hat eine Regelung durchgesetzt, dass niemand sich in ihr Tun und Lassen einmischt. Das Personal hält ein Auge auf sie, hat jedoch den strikten Befehl, nicht einzugreifen, falls oder wenn sie sehen, dass sie etwas klaut. Sie sollen einfach I. C.s Konto damit belasten, dann wird es bezahlt. Und offenbar hat er Marion so gut im Griff, dass sie ihre Diebstähle auf K & L beschränkt.«
»Heißt das, dass sie lediglich eine Rechnung an ihren Mann schicken und er bezahlt?«
»Ja«, nickte Henrik.
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Das erfordert wirklich Vertrauen!«
»Sie vertrauen ihm natürlich voll und ganz.«
Das war eigentlich nicht gerade das, woran ich gedacht hatte. Mein Blick begegnete Ruths und sie sandte mir ein kleines mitwisserisches Lächeln. Sie jedenfalls hatte verstanden, was ich gemeint hatte.
»Wie sieht sie aus?«, fragte ich.
»Sie ist Anfang dreißig«, begann Henrik.
»Erst Anfang dreißig?«, rief ich. »Hast du nicht gesagt, dass ihr Mann fast siebzig ist?«
»Doch. Der Altersunterschied ist ziemlich groß.«
»Ja, und ob!«, sagte ich verwundert.
»Und sie sieht gut aus. Groß, blond, sehr elegant. Ich glaube, wir haben irgendwo ein Foto von ihr, das du dir ansehen kannst.«
Ich warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. Mir ging langsam auf, dass NSC mehr mit K & L zu tun hatte, als ich zuerst angenommen hatte.
Warum sollten sie sonst ein Bild von Marion Back-Hansen haben und warum sollten wir uns mögliche Ladendiebe notieren, um gegebenenfalls später darauf zurückgreifen zu können?
»Wie viele Angestellte hast du eigentlich?«, fragte ich ein wenig später, als ich mit Henrik allein war.
»Noch immer genauso neugierig, was?«, sagte er zufrieden. »Damit habe ich auch gerechnet.«
Aber ich bekam keine Antwort auf meine Frage.
Wir verließen das Büro nacheinander mit einem zeitlichen Abstand von einigen Minuten.
»Wir können es kaum vermeiden, uns bei K & L zu begegnen«, sagte Ruth, als sie ging. »Vergiss nicht, dass wir uns nicht kennen.« Sie sah auf meine Schuhe. »Und kauf dir Badesalz für die Füße. Du ahnst nicht, wie anstrengend das ist und wie weh dir die Füße tun werden.«
Ich lächelte und dachte nachsichtig, dass zwischen sechzig und dreißig trotz allem ein Unterschied war, aber das Lächeln war steif geworden, als ich sieben Stunden später mit einem Paket Fußbadesalz unter den vielen anderen Einkäufen und pochenden Kopfschmerzen nach Hause hinkte.
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