Kurze Zeit vor Adrians Besuch in Cumberland legte der Erbe des Edelmannes, dem mein Vater seinen letzten Appell an seinen königlichen Herrn anvertraut hatte, diesen Brief, mit ungebrochenem Siegel, in die Hände des jungen Grafen. Man hatte festgestellt, dass er mit einer Masse alter Papiere beiseitegeschoben worden war, und der Zufall brachte ihn ans Licht. Adrian las ihn mit tiefem Interesse; und fand dort den lebendigen Geist des Genies und des Witzes, über den er so oft reden gehört hatte. Er entdeckte den Namen des Ortes, an den mein Vater sich zurückgezogen hatte, und an dem er starb; er erfuhr von der Existenz von dessen Waisenkindern; und während der kurzen Zeit zwischen seiner Ankunft in Ullswater und unserem Zusammentreffen im Park war er damit beschäftigt gewesen, Nachforschungen über uns anzustellen und eine Reihe von Plänen zu unserem Vorteil zu arrangieren, bevor er sich uns bemerkbar machen wollte.
Die Art, wie er von meinem Vater sprach, schmeichelte meiner Eitelkeit sehr. Der Schleier, den er zart über seine Güte warf, indem er sich auf eine pflichtbewusste Erfüllung des letzten Willens des Königs berief, beruhigte meinen Stolz. Andere, weniger zweideutige Gefühle wurden durch seine versöhnliche Art und die großzügige Wärme seines Ausdrucks ausgelöst. Respekt, wie ich ihn zuvor selten empfunden hatte, Bewunderung und Liebe – er hatte mein versteinertes Herz mit seiner magischen Kraft berührt, und ein Strom der Zuneigung brach unvergänglich und rein daraus hervor. Am Abend trennten wir uns, er drückte meine Hand: »Wir werden uns wiedersehen, komm morgen zu mir.« Ich umklammerte diese gütige Hand; ich versuchte zu antworten; ein eifriges »Gott segne dich!«, war alles, was ich in meinem Unvermögen aussprechen konnte, ehe ich, aufgewühlt von meinen neuen Emotionen, davonstob.
Ich fand keine Ruhe. Es trieb mich in die Hügel; ein Westwind umbrauste sie, und über mir funkelten die Sterne. Ich lief weiter, sorgte mich nicht um äußerliche Gegenstände, sondern versuchte, meinen ringenden Geist durch körperliche Erschöpfung zu ermüden. »Dies«, dachte ich, »ist Macht! Nicht stark in den Gliedern, nicht hart im Herzen und wagemutig sein, sondern gütig und mitfühlend.« – Ich blieb stehen, faltete meine Hände und rief mit der Inbrunst eines Neubekehrten: »Zweifle nicht an mir, Adrian, auch ich werde weise und gut werden!«, und dann, von meinen Empfindungen überwältigt, weinte ich laut.
Als dieser leidenschaftliche Ausbruch vorüber war, fühlte ich mich gelassener. Ich legte mich auf die Erde und begann, indem ich meinen Gedanken freien Lauf ließ, Schicht um Schicht die vielen Fehler meines Herzens aufzudecken, und ich erkannte, wie viehisch, wild und wertlos ich bisher gewesen war. Ich konnte damals jedoch keine Reue empfinden, denn ich dünkte mich neu geboren; meine Seele warf die Bürde vergangener Sünde ab, um ein neues Leben in Unschuld und Liebe zu beginnen. Nichts Schroffes oder Grobes blieb übrig, das es vermocht hätte, die sanften Gefühle, welche die Erlebnisse des Tages ausgelöst hatten, zu erschüttern. Ich war wie ein Kind, das seiner Mutter die Gebete nachlispelte, und meine nachgiebige Seele wurde von einer Meisterhand neu geformt, nach der ich weder verlangte noch ihr widerstehen konnte.
Dies war der erste Beginn meiner Freundschaft mit Adrian, und ich muss dieses Tages als des glücklichsten meines Lebens gedenken. Ich begann jetzt, ein Mensch zu sein. Mir wurde das Überschreiten jener heiligen Grenze gewährt, die die intellektuelle und moralische Natur des Menschen von dem trennt, was Tiere charakterisiert. Meine besten Gefühle waren gefordert, um die Großzügigkeit, die Weisheit und die Geschenke meines neuen Freundes angemessen zu erwidern. Ihm, mit seiner ganz eigenen edlen Güte, bereitete es unendliche Freude, dem lange vernachlässigten Sohn des Freundes seines Vaters, dem Abkömmling jenes begabten Wesens, von dessen Vorzügen und Talenten er von seiner Kindheit an hatte erzählen hören, die Schätze seines Verstandes und seines Vermögens zu schenken.
Nach seiner Abdankung hatte sich der verstorbene König aus der Politik zurückgezogen, doch sein häuslicher Kreis verschaffte ihm wenig Zufriedenheit. Die vormalige Königin verfügte über keine Tugenden des häuslichen Lebens, und jene des Mutes und der Verwegenheit, die sie besaß, verloren durch die Absetzung ihres Mannes ihren Wert: Sie verachtete ihn und war nicht darauf bedacht, ihre Gefühle zu verbergen. Der König hatte, in Übereinstimmung mit ihren Forderungen, seine alten Freunde verstoßen, aber unter ihrer Führung keine neuen gewonnen. In diesem Mangel an Zuneigung griff er auf seinen noch sehr kleinen Sohn zurück; und die frühe Entwicklung seines Talents und seiner Sensibilität machte Adrian zu einer geeigneten Person für das Vertrauen seines Vaters. Er wurde es nie müde, den oft wiederholten Berichten aus alten Zeiten zu folgen, in denen mein Vater eine herausragende Rolle gespielt hatte. Seine kühnen Bemerkungen wurden dem Knaben wiederholt und von ihm in Erinnerung behalten, sein Witz, sein Zauber, seine Fehler wurden durch reuevolle Zuneigung geheiligt, sein Verlust wurde aufrichtig bedauert. Selbst die Abneigung der Königin gegenüber dem Liebling konnte ihn nicht der Bewunderung ihres Sohnes berauben: Sie war bitter, sarkastisch, verächtlich – doch indem sie ihre Tadel gleichermaßen über seine Tugenden wie seine Fehler ergoss, über seine hingebungsvolle Freundschaft und seine unguten Leidenschaften, über seine Uneigennützigkeit und seine Verschwendungssucht, über seine einnehmenden Manieren und die Leichtigkeit, mit der er der Versuchung nachgab, erwies sich ihr Doppelschuss als zu schwer und verfehlte das Ziel. Auch verhinderte ihre zornige Abneigung nicht, dass Adrian sich meinen Vater, wie er gesagt hatte, als ein Sinnbild alles Galanten, Liebenswürdigen und Faszinierenden im Menschen vorstellte. Es war daher nicht verwunderlich, dass er, als er von der Existenz der Nachkommen dieses gefeierten Mannes hörte, den Entschluss fasste, ihnen alle Vorteile zu gewähren, die ihm sein Rang ermöglichte. Auch als er mich als einen vagabundierenden Hirten der Hügel, einen Wilderer, einen ungebildeten Wilden fand, versagte seine Freundlichkeit nicht. Er vertrat nicht nur die Ansicht, dass sein Vater sich in gewissem Grade der Vernachlässigung uns gegenüber schuldig gemacht habe und ihm jede mögliche Wiedergutmachung obliege, sondern freute sich überdies, sagen zu können, dass unter all meiner Grobheit eine Kultiviertheit des Geistes hervorschimmerte, die sich vom bloßen viehischen Mut unterschied, und dass ich eine äußere Ähnlichkeit mit meinem Vater aufwies, die bezeugte, dass nicht alle seine Tugenden und Begabungen mit ihm gestorben waren. Was auch immer auf mich gekommen sein mochte, beschloss mein edler junger Freund, sollte nicht aus Mangel an Kultur zugrunde gehen.
Indem er diesen Gedanken bei unseren folgenden Zusammentreffen verfolgte, weckte er in mir den Wunsch, an der Verfeinerung teilzuhaben, die seinen eigenen Intellekt zierte. Einmal dieses neuen Gedankens bemächtigt, haftete mein reger Geist mit äußerster Begierde daran. Zuerst war es das große Ziel meines Ehrgeizes, mit den Verdiensten meines Vaters zu konkurrieren und mich der Freundschaft Adrians würdig zu erweisen. Aber bald erwachten die Neugier und die ernsthafte Liebe zum Wissen, die mich Tag und Nacht zum Lesen und Studieren antrieb. Ich kannte bereits, was ich als Panorama der Natur bezeichnen möchte, den Wechsel der Jahreszeiten und die verschiedenen Erscheinungen von Himmel und Erde. Aber ich war erschrocken und verzaubert von der plötzlichen Erweiterung meiner Sicht, als der Vorhang, der vor der geistigen Welt herabhing, zurückgezogen wurde und ich das Universum sah, nicht nur, wie es sich meinen äußeren Sinnen präsentierte, sondern wie es den Weisesten unter den Menschen erschienen war. Die Poesie und ihre Schöpfungen, die Philosophie und ihre Forschungen und Klassifikationen weckten die in mir ruhenden Gedanken und hauchten mir neue ein.
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