1 ...6 7 8 10 11 12 ...34 Ich fühlte mich wie der Seemann, der vom Mastkorb aus als Erster die Küste Amerikas entdeckte; und wie er beeilte ich mich, meinen Gefährten von meinen Entdeckungen in unbekannten Gebieten zu erzählen. Doch ich war nicht in der Lage, in der Brust anderer den gleichen Appetit auf Wissen zu erregen, der in meiner bestand. Selbst Perdita konnte mich nicht verstehen. Ich hatte in einer Welt gelebt, die gemeinhin als die reale Welt bezeichnet wird, und erwachte nun in einem neuen Land, in dem ich entdeckte, dass es in allem, was ich sah, eine tiefere Bedeutung gab, abgesehen von dem, was meine Augen mir vermittelten. Die träumerische Perdita sah darin nur einen neuen Glanz einer alten Lektüre, und ihre eigene war unerschöpflich genug, um sie zufriedenzustellen. Sie hörte mir zu, wie sie es bei der Erzählung meiner Abenteuer getan hatte, und interessierte sich zuweilen für diese Art von Wissen, doch sie sah es nicht als einen integralen Teil ihres Wesens an, so wie ich es tat, der ich es, nachdem ich es gewonnen hatte, ebenso wenig ablegen konnte wie den Tastsinn.
Wir beide liebten Adrian einmütig, wenngleich sie, die sie der Kindheit noch nicht ganz entwachsen war, weder das Ausmaß seiner Verdienste wie ich schätzen noch die gleiche Übereinstimmung mit seinen Beschäftigungen und Meinungen fühlen konnte. Ich war stets bei ihm. Da war eine Empfindsamkeit und Sanftheit in seiner Art, die unserem Gespräch einen zarten und überirdischen Ton gab. Dann war er heiter wie eine Lerche, die von ihrem himmlischen Turm herab sang und in Gedanken wie ein Adler aufstieg, unschuldig wie die sanftäugige Taube. Er konnte den Ernst Perditas zerstreuen und der quälenden Umtriebigkeit meiner Natur den Stachel nehmen. Ich blickte auf meine rastlosen Wünsche und schmerzhaften Kämpfe mit meinen Mitmenschen wie auf einen unruhigen Traum zurück und fühlte mich so verändert, als wäre ich in eine andere Daseinsform übergegangen, deren neues Empfinden das Abbild des scheinbaren Universums im Spiegel des Geistes verändert hatte. Aber dem war nicht so; ich war noch immer ebenso kräftig, empfand das starke Bedürfnis nach Zuneigung und sehnte mich nach aktiver Betätigung. Meine männlichen Tugenden verließen mich nicht, denn die Hexe Urania verschonte Samsons Locken, während er zu ihren Füßen ruhte; doch es wurde alles gemildert und menschlicher gemacht. Adrian unterrichtete mich nicht allein in den Tatsachen der Geschichte und Philosophie. Zu gleicher Zeit, als er mich auf seine Weise lehrte, meinen leichtsinnigen und unkultivierten Geist zu beherrschen, öffnete er meinem Auge die wahre Seite seines eigenen Herzens und ließ mich seinen bewunderungswürdigen Charakter erkennen und verstehen.
Die ehemalige Königin von England hatte sich schon in der Kindheit ihres Sohnes bemüht, ihm verwegene und ehrgeizige Pläne einzupflanzen. Sie sah, dass er mit hohen Geisteskräften und überragendem Talent ausgestattet war; diese kultivierte sie, um sie später zur Förderung ihrer eigenen Ansichten zu verwenden. Sie bestärkte sein Verlangen nach Wissen und seinen ungestümen Mut; sie tolerierte sogar seine unbezähmbare Freiheitsliebe, in der Hoffnung, dass diese, wie dies allzu oft geschieht, in eine Liebe zur Macht münden würde. Sie bemühte sich, in ihm ein Gefühl des Grolls und des Verlangens zu erwecken, sich an denjenigen zu rächen, die dazu beigetragen hatten, die Abdankung seines Vaters herbeizuführen. Dies gelang ihr nicht. Die ihm übermittelten Berichte, so verzerrt sie auch sein mochten, einer großen und klugen Nation, die ihr Recht geltend machte, sich selbst zu regieren, erregte seine Bewunderung: Er wurde bereits in jungen Jahren durch und durch republikanisch. Dennoch verzweifelte seine Mutter nicht. Der Liebe zur Herrschaft und dem hochmütigen Standesbewusstsein fügte sie entschlossenen Ehrgeiz, Geduld und Selbstbeherrschung hinzu. Sie widmete sich dem Studium des Charakters ihres Sohnes. Durch Lob, Tadel und Ermahnung versuchte sie die passenden Akkorde zu finden und zu treffen; und obschon die Melodie, die ihrer Berührung folgte, ihr unharmonisch erschien, baute sie ihre Hoffnungen auf seine Talente und war sich sicher, dass sie ihn schließlich gewinnen würde. Die Verbannung, die er jetzt erlebte, hatte eine andere Ursache.
Die einstige Königin hatte auch eine Tochter, die jetzt zwölf Jahre alt war; seine feenhafte Schwester, wie Adrian sie zu nennen pflegte; ein reizendes, lebhaftes, kleines Ding, empfindsam und freiheraus. Mit diesen ihren Kindern wohnte die adlige Witwe ständig in Windsor; und sie ließ außer ihren Gefolgsleuten, Reisenden aus ihrer Heimat Deutschland und einigen Gesandten keine Besucher zu. Unter jenen, und von ihr hochgeschätzt, befand sich Prinz Zaimi, Botschafter der freien Staaten von Griechenland in England; und seine Tochter, die junge Prinzessin Evadne, die einen Großteil ihrer Zeit auf Schloss Windsor verbrachte. In der Gesellschaft dieses lebhaften und klugen griechischen Mädchens fand die Gräfin Zerstreuung von ihrem gewöhnlichen Zustand. Ihrer Ansichten in Bezug auf ihre eigenen Kinder wegen, erlegte sie sich in allen ihren Worten und Handlungen in Bezug auf sie Zurückhaltung auf. Aber Evadne war ein Spielzeug, das sie in keiner Weise fürchten musste; auch boten ihre Begabungen und ihre Lebhaftigkeit der Gräfin eine Abwechslung in der ewigen Gleichförmigkeit ihres Lebens.
Evadne war achtzehn Jahre alt. Obschon sie viel Zeit gemeinsam in Windsor verbracht hatten, hatte die Jugend Adrians jeden Verdacht im Hinblick auf die Natur ihres Umgangs gehemmt. Doch sein überaus glühendes und zärtliches Herz hatte bereits gelernt zu lieben, während die schöne Griechin den Jüngling noch freundlich belächelte. Es war seltsam für mich, der ich, obschon älter als Adrian, noch nie geliebt hatte, Zeuge des ganz hingegebenen Herzens meines Freundes zu sein. Es lag weder Eifersucht, Unruhe noch Misstrauen in seinem Gefühl; es war Hingabe und Treue. Sein Leben wurde von der Existenz seiner Geliebten vereinnahmt, und sein Herz schlug nur im Einklang mit dem Takt, der das ihre belebte. Dies war das geheime Gesetz seines Lebens – er liebte und wurde wiedergeliebt. Das Universum war für ihn eine Wohnstatt, in der er mit seiner Auserwählten lebte, und kein vorgegebener Entwurf der Gesellschaft oder eine Verkettung von Ereignissen, die ihm Glück oder Elend vermitteln könnten. Und das, obwohl das Leben mit den Regeln des gesellschaftlichen Umgangs eine Wildnis, ein von Tigern heimgesuchter Dschungel war! Inmitten seiner Irrwege, in den Tiefen seiner wildesten Winkel, gab es einen begehbaren und blumenbekränzten Pfad, auf dem sie sicher und vergnügt wandeln könnten. Ihr Weg würde wie die Passage durch das Rote Meer sein, das sie trockenen Fußes durchqueren mochten, obschon eine Mauer der Zerstörung zu beiden Seiten drohte.
Ach! Weshalb obliegt es mir, die unglückselige Verirrung dieses unvergleichlichen Exemplars der Menschheit aufzuzeichnen? Was liegt nur in unserer Natur, das uns immer wieder zu Schmerz und Elend drängt? Wir sind nicht zum Vergnügen geformt; und sosehr wir auch auf den Genuss angenehmer Empfindungen eingestimmt sein mögen, so ist doch die Enttäuschung der nie versagende Steuermann unserer Lebensbarke, der uns unbarmherzig in die Untiefen lenkt. Wer wäre besser als dieser begabte Jüngling dazu geeignet gewesen, zu lieben und wiedergeliebt zu werden und die grenzenlose Freude einer untadeligen Liebe zu ernten? Hätte sein Herz nur ein paar Jahre länger geschlafen, wäre er vielleicht verschont worden; doch es erwachte in seiner Jugend; es hatte Kraft, aber kein Wissen; und es wurde ebenso abgetötet, wie eine zu früh austreibende Knospe im beißenden Frost erfriert.
Ich warf Evadne weder Heuchelei noch den Wunsch vor, ihren Verehrer zu täuschen; doch der erste Brief, den ich von ihr sah, überzeugte mich, dass sie ihn nicht liebte. Er war mit Eleganz geschrieben und dafür, dass sie eine Ausländerin war, mit einem guten Sprachvermögen. Die Handschrift selbst war ausgesprochen schön, es war etwas in jenem Papier und in seinen Falten, das sogar ich, der ich nicht liebte und in solchen Dingen unerfahren war, als geschmackvoll erkennen konnte. Es lag viel Freundlichkeit, Dankbarkeit und Anmut in ihrem Ausdruck, aber keine Liebe. Evadne war zwei Jahre älter als Adrian – und wer liebte jemals mit achtzehn einen so viel Jüngeren? Ich verglich ihre milden Briefe mit den flammenden Adrians. Seine Seele schien sich in die Worte zu verwandeln, die er schrieb, und sie atmeten auf dem Papier und übertrugen einen Teil des liebeserfüllten Inneren, das sein Leben war. Das bloße Schreiben genügte bereits, um ihn zu erschöpfen, und er vergoss wegen der Überfülle von Gefühlen, die es in seinem Herzen erweckte, Tränen darüber.
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