Der Kaufmann zeigte mir mehrere hübsche Sachen, darunter zwei große, schöne Kaffeetassen mit vergoldetem Rand. Sie kamen aus Dänemark. Auf der einen stand mit goldenen Buchstaben: Til Fader, auf der anderen: Til Moder.
Sie gefielen mir so gut, daß ich sie gleich mitnahm.
Einige Tage hielt ich die kostbaren Geschenke sorgfältig verborgen. Am Sommertag überreichte ich sie dann feierlich Vater und Mutter.
Das alles kam mir wieder in Erinnerung, als ich die Tasse betrachtete, in der die Mutter mir eben den Kaffee gebracht hatte. Wie lieb und aufmerksam das doch war von ihr!
Dafür schmeckte mir aber auch heute das Frühstück besonders gut.
Als ich fertig war, ging ich zur Mutter hinab. Sie saß im Wohnzimmer und ließ mich neben sich Platz nehmen.
»Mein lieber Nonni, du kannst dir wohl denken, welchen Schmerz eine Mutter fühlt beim Abschied eines ihrer Kinder. Wenn ich dich trotzdem fortreisen lasse, so tue ich es nur deshalb, weil ich überzeugt bin, daß es zu deinem Besten ist.
Ich möchte dir einiges sagen, was mir sehr am Herzen liegt.
Sei immer ehrlich und aufrichtig. Ich kann mich, Gott sei Dank, nicht erinnern, daß du jemals vor mir gelogen hast. Nun bitte ich dich, mein Kind, bleibe dabei, sei wahrheitsliebend und lüge niemals, auch nicht, um einer Strafe oder Beschämung zu entgehen. Das mußt du mir von ganzem Herzen versprechen.«
»Liebe Mutter, ja, ich verspreche es dir. Ich werde nie die Unwahrheit sagen. Du kannst dich drauf verlassen, Mutter.«
»Glaubst du auch imstande zu sein, alle deine guten Vorsätze zu halten?«
»Ja, Mutter, das glaube ich ganz bestimmt. Ich werde sie alle halten, mein ganzes Leben lang.«
Diese Worte sprach ich mit Nachdruck und Kraft. In meiner kindlichen Unerfahrenheit fühlte ich mich so sicher!
Die Mutter lächelte, sah mich voller Liebe an und erwiderte:
»Was du da sagst, ist gewiß ehrlich gemeint. Aber glaube mir, es wird nicht so leicht sein, wie du jetzt meinst. Du wirst Schwierigkeiten begegnen, von denen du keine Ahnung hast. Durch eigene Kraft kannst du dein Versprechen nicht halten.
Daher achte darauf, was ich dir jetzt sage; es ist das Allerwichtigste. – Ich will dir ein Mittel angeben, das dir ganz sicher hilft, trotz deiner Schwachheit und Unerfahrenheit die Vorsätze zu halten. – Und was für ein Mittel ist das? Kannst du es erraten?«
Da ich nicht antworten konnte, sprach sie weiter:
»Es besteht darin, daß du keinen Tag vorübergehen läßt, ohne dich mit deinem Herzen, deiner Seele, deinen Gedanken an Gott zu wenden und ihn zu bitten, er möge dir beistehen.«
Sie faßte meine Hände, sah mir in die Augen und sagte:
»Versprichst du deiner Mutter, daß du dich an Gott halten und jeden Tag zu ihm beten willst?«
Mit voller Bestimmtheit antwortete ich:
»Ja, Mutter, das verspreche ich dir von ganzem Herzen.«
Die Mutter stand auf, drückte nochmals meine Hände und sagte:
»Sei guten Mutes, mein lieber Nonni. Du brauchst dich nicht zu fürchten. Gott wird mit dir sein.«
Es waren einige Tage vergangen, seitdem Kapitän Foß mich als Passagier auf seinem Schiff angenommen hatte. Bereits war nach dem Wunsch des Kapitäns mein Bett in seine Kajüte gebracht und von meiner Mutter selbst zurechtgemacht worden.
Von unserer Seite aus war alles fertig zur Reise.
Von Manni und Bogga, die jetzt verreist waren, hatte ich einige Tage vorher Abschied genommen.
Ich war nun allein mit meiner Mutter zu Hause. Mit unbeschreiblicher Spannung wartete ich auf die Ankunft des Boten.
Endlich an einem Nachmittag kam er.
Es war der Schiffskoch, der nicht viel älter war als ich.
Ich ging ihm entgegen, öffnete die Tür und ließ ihn eintreten.
Die Mütze in der Hand, grüßte er und sagte, noch bei der Tür stehend, zu meiner Mutter:
»Kapitän Foß läßt Ihnen melden, Ihr Sohn möchte an Bord kommen, wenn möglich, jetzt gleich.«
Bei dieser Meldung fühlte ich, wie meine Brust sich zusammenschnürte.
Doch ließ ich mir nichts anmerken, sondern fragte den Jungen ruhig:
»Wann fahren wir ab?«
»Noch heute nachmittag«, lautete die Antwort. »Sobald du an Bord kommst, lichten wir die Anker und segeln ab nach Dänemark.«
Ich schaute die Mutter an. Unsere Blicke begegneten sich, doch nur eine Sekunde. Gott allein weiß, was ich in diesem Augenblick litt.
Aber auch die Mutter beherrschte sich und redete den kleine Boten freundlich an:
»Ich glaube, wir haben Gegenwind. Will der Kapitän nicht warten, bis der Wind günstiger ist?«
»Nein«, antwortete der Junge. »Er meint durch Kreuzen aus dem Fjord hinauszukommen. Deshalb will er lieber sofort abfahren.«
»Gut«, sagte die Mutter, »Nonni wird gleich bereit sein. Aber erst setze dich an den Tisch; ich will dir eine Tasse Kaffee bringen.«
Schnell holte ich einen Stuhl. Der Junge setzte sich bescheiden auf die Kante und hielt die Mütze in der geschwärzten Hand.
Der arme Junge! Er sah so freundlich aus, aber so vernachlässigt und schwarz von Ruß und Rauch; sein abgetragenes Hemd war noch schwärzer als Gesicht und Hände.
Ich bekam Mitleid mit meinem künftigen Reisekameraden; denn ich hatte den Eindruck, daß er ein hartes Leben habe.
Er war ja noch so jung und allein und verlassen zwischen den Matrosen – und so weit fort von seiner Mutter.
Der letzte Gedanke ging mir am meisten zu Herzen. Ich ging nahe an ihn heran und fragte leise:
»Wo wohnt deine Mutter?«
Verwundert über diese Frage, schaute er mich groß an und antwortete langsam und bedächtig:
»Meine Mutter wohnt in Rönne auf der Insel Bornholm.«
Zugleich traten Tränen in seine Augen und liefen die rußigen Wangen herab.
Tröstend sagte ich:
»Aber jetzt fährst du ja heim zu ihr.«
»Ja«, antwortete er zögernd. »Aber das ist eine weite und gefährliche Reise. Das habe ich erfahren. Beinah hätten wir auf der Fahrt hierher Schiffbruch erlitten. Auch fürchte ich immer, ich komme nicht wieder zu meiner Mutter zurück.«
»Davor sei doch nicht bange«, tröstete ich ihn. »Du wirst sie schon wiedersehen. Ich dagegen werde die meine nicht wiedersehen!«
Als ich dies aussprach, wurde mir nun ganz weich ums Herz. Ich versuchte meine Tränen vor dem fremden Jungen zu verbergen; aber es gelang mir nicht.
Er bemerkte es und fragte:
»Wirst du denn nicht von deiner Reise zurückkommen?«
»Ich glaube nicht«, sagte ich, »ich reise so weit fort.«
»Fährst du denn nicht nach Kopenhagen?«
»Ja, aber nur vorläufig. Von da geht es weiter nach Süden durch ganz Frankreich zu einer Stadt, die Avignon heißt.«
»So weit? Dann verstehe ich, daß du traurig bist. Es ist wirklich kein Spaß, seine Mutter zu verlassen, zumal wenn man noch so jung ist wie wir beide. Ich wünschte, ich wäre nie von zu Hause fortgegangen.«
Bei diesen Worten sah er mich traurig an.
Da ging die Tür auf. Meine Mutter trat herein und brachte Kaffee und Kuchen für uns beide.
Wir setzten uns an den Tisch. Aber sonderbar: während ich sonst Mutters Kuchen, den es freilich nur selten gab, sehr gern aß, konnte ich jetzt kaum ein Stückchen hinunterbringen; jeder Bissen blieb mir im Halse stecken.
Ich tat, was ich konnte, damit wenigstens der kleine dänische Gast tüchtig zugreife. Die Mutter hatte uns ja so gute Sachen zum Abschied vorgesetzt.
Aber der Kleine war sehr bescheiden. Da er sah, daß ich so wenig aß, glaubte er meinem Beispiel folgen zu müssen. Wir waren deshalb schnell fertig.
Meine letzte Mahlzeit im Hause meiner Mutter!
Der kleine Bornholmer stand auf und sagte zunächst der Mutter den gewöhnlichen dänischen Dank: Tak for Mad; dann gab er mir die Hand: »Auf Wiedersehen an Bord!«
Beim Abschied sagte die Mutter: »Gruß an Herrn Kapitän Foß; melde ihm, wir würden gleich kommen.«
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