Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich noch im Tode individuell auszudrücken und in einer bestimmten Form in Erinnerung zu bleiben:
Weltraumbestattung
Ballonbestattung
Asche an individuellen Orten verstreuen
Erinnerungsporzellan
Waldbestattung
Urne im Grab bestatten
Urne aufstellen
Kolumbarium
Feuerwerk aus Asche der Verstorbenen
Asche als Nährstoff für einen Baum
Bleistifte aus der Asche der Verstorbenen
Ascheabfüllung in ein Amulett
Anonyme Bestattung
Asche als Baumaterial für ein Korallenriff
Asche in ein Memorial Piece einarbeiten
Mit dem Wandel der Bestattungskultur in den vergangenen Jahren sind in Deutschland viele neue Anlagen zur Feuerbestattung erbaut sowie staatliche Krematorien privatisiert worden. Moderne Krematorien sind Häuser der offenen Tür und alles, was dort geschieht, von der Anlieferung über das Einfahren in den Ofen bis hin zur Asche in der Urne, ist transparent. Man kann seine Bestattung vor dem Tod selber planen und alle offenen Fragen klären. Moderne Krematorien sind hell und freundlich eingerichtet. Es besteht die Möglichkeit, vor der Einäscherung eine Trauerfeier in Krematoriumsräumen in sehr individuellem Rahmen auszurichten. Besonders geschulte einfühlsame Mitarbeiter klären auch über Mythen oder Befürchtungen auf und versichern einem zum Beispiel, dass nur ein Sarg pro Ofen eingeäschert wird und die richtige Asche in die Urne kommt.
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und manche Bestattung bekommt durch Musik, humorvolle Reden, Gesang und Tanz Festivalcharakter, ganz wie es der Persönlichkeit des Verstorbenen entspricht.
Bitterböse Gedanken
Nicht alle Witwen trauern
Gegen zwei Uhr morgens kam der Anruf aus dem Krankenhaus: »Aus unerklärlichen Gründen ist soeben Ihr Mann verstorben.« Ich war schockiert. Damit hatte keiner gerechnet. »Ich komme sofort.« In erster Panik versuchte ich noch, meine beste Freundin anzurufen, vergeblich um diese Uhrzeit. Ich zog mich an, lief zum Auto, fuhr los. Wie fremdgesteuert. Durcheinander. Wieso war er plötzlich tot? Im Krankenhaus angekommen fand ich keinen Parkplatz, weil überall Baustelle war. Ich parkte einfach schnell in einer Lücke zwischen einem Bauwagen und einer Absperrung und suchte dann im Dunkeln den Eingang. Alles war etwas unübersichtlich. Ich nahm den Aufzug direkt hinauf zu seiner Station. Zimmer 356, dritter Stock. Der Flur war menschenleer. Dafür standen ein paar Bahren und ein fahrbares Tropfgerät herum. Links ging es zur Isolierstation. Rechts zur Chirurgie. Ich desinfizierte meine Hände. Eigentlich Quatsch, denn infizieren konnte ich ihn ja nicht mehr. Aus einem der Krankenzimmer hörte ich ein leises, verwirrtes Rufen: »Schwester!« Die alten Menschen finden oft nicht die richtige Klingel. Oder sie wissen häufig nicht, wo sie sind. Leises Huschen auf leisen Gesundheitsschlappen über den Flur.
Vorsichtig und in banger Erwartung, was ich zu sehen bekäme, öffnete ich die Tür zu seinem Zimmer. Man hatte eine Kerze angezündet. Es roch wie Krankenhaus. Steril. Er lag noch in seinem Bett, die Augen geschlossen, als würde er schlafen. Alle Kanülen entfernt, die Bettdecke ordentlich gerade gezogen. Hände übereinandergelegt auf der Bettdecke. Mit einem Kamm war sein Haarkranz ordentlich zur Seite gelegt worden. Ich sollte wohl bei seinem Anblick keinen Schock bekommen. Ich berührte seine Wange. Sie war noch nicht ganz kalt. Die Nachtschwester kam und nahm mich in den Arm. »Embolie«, sagte sie nur. »Mein herzliches Beileid.«
Karl hatte einen Darmtumor. Im Frühstadium bei einer Darmspiegelung entdeckt. Er war nach einer Operation auf dem Weg der Besserung. Alle rechneten damit, dass er sich erholen würde. Es gab keinen Hinweis darauf, dass wir um sein Leben fürchten mussten. Der Krebs war noch nicht weit fortgeschritten, hatte noch nicht gestreut.
Ich setzte mich an sein Bett und bat die Schwester, mich mit ihm allein zu lassen. Die currygelben Vorhänge vor dem Fenster waren bis auf einen kleinen Schlitz in der Mitte zugezogen. Als ich nach der ersten Verwirrung meine Gedanken ein wenig sortiert hatte und in mich gegangen war, spürte ich nicht Trauer, sondern Dankbarkeit, dass der liebe Gott es so für mich gefügt hat. Dass diese Kampfbeziehung ein natürliches Ende gefunden hat. Nun war ich ihn endgültig los, diesen garstigen kleinen Bären, der mich tyrannisiert und meine Gefühle verletzt hatte. Ich war irritiert, dass ich so reagierte. Ich erinnerte mich an die Worte meiner Mutter: »Mein Gott, Kind, tu dir das doch nicht an. Verlass ihn. Du bist todunglücklich.« Wie recht sie hatte! Einmal sagte sie: »Ich bete jeden Tag, dass dir die Vorsehung noch einmal einen lieben Menschen schickt.« Meine Mutter hat gespürt, wie sehr Karl mich unterdrückt hat.
Bei dieser Erinnerung überkamen mich bitterböse Gedanken, und ich ließ sie kommen. Da saßen wir zwei nun im Halbdunkel bei Kerzenschein. Sein Mund für immer verschlossen. Die Verbissenheit, die ihn stets ausgezeichnet hatte, wollte selbst im Tod nicht aus seinen Zügen weichen. Seine Starre löste bei mir nur ein sachliches Registrieren aus. Ich betrachtete ihn, wie man ein totes Meerschweinchen betrachten würde. Oder eine tote Ratte. Nicht eine Träne wollte kommen. Auch kein Hass. Dafür das Gefühl der Erleichterung. Ich schämte mich nicht einmal. So also war das Ende für uns vorgesehen. Und ich war dankbar.
Er hat mich während der vielen Jahre unserer Ehe derart unter Druck gesetzt, dass ich sogar Depressionen bekommen hatte und psychologischen Beistand suchen musste, was er völlig überflüssig fand. Zeitverschwendung. Wo ich es doch so gut bei ihm hatte. Wie oft hatte ich mir vorgenommen, ihn zu verlassen. Dann traute ich mich wieder nicht. Angst vorm Alleinsein. Angst, allein zu bleiben. Aus Ängstlichkeit nimmt man so viel in Kauf. Wieder eine Gehässigkeit geschluckt. Wieder einen fiesen Satz eingesteckt. Wieder abends in den Schlaf geheult. Ins Kissen gebissen. Wenn ich allein war, habe ich manchmal Wutschreie ausgestoßen. Beim Kartoffelschälen eine Kartoffel vor die Tür gepfeffert. Weil ich nicht wusste, wohin mit meinem Zorn. Was habe ich Tränen vergossen in dieser Ehe. Für all die Demütigungen, die ich ausgehalten habe. Ihn ließen meine Tränen kalt. Nie wurde ich in den Arm genommen. Ich kann mich an kein einziges verständnisvolles Gespräch erinnern. Nur immer blöde, unpassende Kommentare. Ich habe mich auch gewehrt, für meine Rechte in der Partnerschaft gekämpft. Eigentlich bin ich eine Kämpfernatur. Habe mich ihm widersetzt. Es kam nur Spott.
Jetzt in der Stille der Nacht kam alles hoch. Da lag er vor mir, so wehrlos anzusehen in seinem ordentlichen hellblauen Schlafanzug, den Mutti bei C&A gekauft hatte. Karl war ein Muttersöhnchen. Einzelkind. Vater Tyrann, Mutter geknechtet. Beide ließen den Sohnemann nicht aus ihrem festen Griff. Er war 38, als er mich kennenlernte. Ich war seine erste Frau und mich wundert noch heute, dass die Eltern ihre Zustimmung zu unserer Hochzeit gegeben haben. Zumal ich geschieden war, also mit einem Makel behaftet. Heute weiß ich, sie machten gute Miene ... Schließlich sollte der Junge nicht ewig Single bleiben. »Karl soll kein einsames Leben führen, wenn wir mal nicht mehr sind«, sagte Mutti, und damit hätte sie in »Schwiegertochter gesucht« auftreten können. Loslassen wollten sie ihn aber auch nicht. Jahrzehntelang habe ich jeden Abend um Punkt 19 Uhr ihren Anruf ertragen. »Was machst du, Karl, wie war dein Tag, hat deine Frau dir was Leckeres gekocht?«
Hier in der Dunkelheit des nächtlichen Krankenhauses erstanden wieder Szenen unserer Ehe vor meinem inneren Auge. Die immer gleichen Dialoge. »Karl, bitte führe ein klärendes Gespräch mit deinen Eltern. Ich ertrage es nicht, dass sie dich jeden Abend einnorden.« – »Kommt nicht infrage. Ich bin Einzelkind. Die haben sonst niemanden.« – »Aber ich bin deine Frau und müsste dir doch näher stehen. Sind dir meine Gefühle egal?« – »Du siehst das falsch. Du müsstest viel lockerer sein.« – »Es stört mich. Es verletzt unsere Intimsphäre. Werde endlich erwachsen und löse dich von deinen Eltern.« – »Habe ich doch längst. Das stimmt so gar nicht.« – »Bin ich verkehrt?« – »Scheint so. Du machst Probleme, wo keine sind.« So war das. Ich war schuld. Ich war diejenige, die nicht richtig tickte.
Читать дальше