Was Adorno in einem Brief an Walter Benjamin nebenbei erwähnt, halte ich für eine essenzielle Grundregel für unsere mentale Revolution. Ein wichtiges Ziel wäre eine Gesellschaft ohne Angst! Glaubst du, die kann es geben? Schauen wir uns die Gegenwart an, kommen auf jeden Fall Zweifel auf.
Die Systeme, die wir in der Vergangenheit erschaffen haben und die jetzt kollabieren, sind die Ursache dafür, dass Menschen aktuell in Angst leben.
Wir haben Angst davor, nicht mehr genug abzubekommen. Wir fürchten um unsere Sicherheit und glauben, dass wir ums Überleben kämpfen müssen. Wir haben Angst um unseren Wohnraum, unsere Arbeitsplätze, unseren Lebensunterhalt, die Altersvorsorge, um unsere Gesundheit, vor anderen Menschen und vor noch vielem mehr. Was meinst du wohl, was die Konsequenz daraus ist? Da brauchst du gar nicht viel zu spekulieren. Ein Blick ins Internet reicht, um zu sehen, dass ganz offensichtlich richtig viel Angst im Umlauf ist. Und die Angst der Menschen wird größer und größer und schlägt immer häufiger in Hass um.
Gruppenbildung mit Feindbild
Also fangen wir an, Grüppchen oder »Lager« zu bilden und uns gegenseitig zu misstrauen und anzugreifen. Du kannst dir sicher vorstellen, dass uns das nicht guttut. Im Gegenteil! Indem wir Andersdenkende zum Feindbild aufbauen, haben wir uns in eine handfeste Bewusstseins- und Beziehungskrise manövriert, in der wir selbst unsere Moralvorstellungen und Werte über Bord werfen. Wohin führt das? Ganz klar, zu einer negativen Grundhaltung.
Das Gegenteil von Angst ist Freiheit.
Hinzu kommt, dass wir uns permanent weiter mit Negativem aufladen. Das können Nachrichten sein, ebenso wie traurige oder gewalttätige Filme, Gespräche, die wir nicht freundlich oder nicht ehrlich führen, oder auch destruktive Kommentare in den sozialen Medien. Da ist es doch kein Wunder, dass wir, anstatt mutig in die Zukunft zu schauen, immer kritischer und zerknirschter werden und unsere Befürchtungen und Ängste immer mehr schüren. Denn all das Negative, das wir aufsaugen wie ein Schwamm, verändert unsere Haltung zu uns selbst und zu den anderen. Wie willst du in dieser Lage noch positiv in die Zukunft schauen? Indem du deine Ängste bekämpfst, anstatt sie auf andere zu projizieren, und indem du dich von einem trügerischen Gefühl der Sicherheit verabschiedest. Denn das Gegenteil von Angst ist nicht Sicherheit. Auch wenn viele das glauben. Es ist Freiheit.
ÜBRIGENS:Während dieses Buch entsteht, erleben wir eine Real-Life-Bestätigung dessen, was ich eben geschrieben habe. Der weltweite Feind heißt zurzeit Covid-19 oder Coronavirus. Eine Situation wie diese hat es zu unseren Lebzeiten noch nicht gegeben. Überall herrscht Panik und viele können gar nicht mehr unterscheiden zwischen echten Nachrichten, Verschwörungstheorien und Fake News. Die halbe Welt sitzt zu Hause und ist in ihrer Bewegungsfreiheit ziemlich eingeschränkt. Und zwar nicht nur räumlich, sondern auch finanziell. Von heute auf morgen wurden ganzen Branchen die Einkunftsmöglichkeiten entzogen.
Versteh mich nicht falsch. Ich möchte hier auf keinen Fall das Virus oder gar die Konsequenzen verharmlosen. Trotzdem steckt auch in so einer Katastrophe eine Menge Potenzial. In Situationen wie diesen kommt es mehr denn je auf das eigene Mindset an. Es gibt keinen Platz mehr für eine Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Mentalität. Denn eine solche Situation haben wir zu unseren Lebzeiten einfach noch nicht erlebt. Wir müssen uns verändern, an die Situation anpassen und schnell Neues entwickeln. Und zumindest dieser Teil der Krise ist gut.
Wenn du das hier liest, werden wir, obwohl Ausgangs- und Kontaktsperren inzwischen hoffentlich der Vergangenheit angehören, wahrscheinlich immer noch die Nachwirkungen der Pandemie spüren. Im Schlechten, aber auch im Guten. Denn unsere Gesellschaft wird aus der Not heraus eine mentale Revolution erlebt haben – weil sie musste. Und wenn es gut gelaufen ist, haben wir viel gelernt, was uns bei der nächsten Pandemie, die sicher kommen wird, helfen wird, mit weniger Angst und mehr Weitsicht zu agieren.
An dieser Stelle möchte ich einen kleinen Exkurs mit dir unternehmen. Denn um die Dringlichkeit und absolute Notwendigkeit der mentalen Revolution zu verinnerlichen, musst du verstehen, wie wir als Menschen denken. Es gibt drei Denkebenen, auf denen wir uns bewegen: die Entwicklungsebene, die Bewahrungsebene und die Zerstörungsebene.
Jeder Mensch, auch jede Organisation, jedes Team, jedes Unternehmen, jede Nation – schlicht: Alle befinden sich auf diesen drei Denkebenen. Der Unterschied ist die Gewichtung. Denn eine dieser Ebenen dominiert immer. Das bedeutet, auf einer dieser drei Ebenen ist jeder von uns mehr zu Hause als auf den beiden anderen. Welche das ist und wie stark die Unterschiede sind, variiert natürlich.
Befinden wir uns auf der Entwicklungsebene, wachsen wir. Hier entwickelt sich etwas weiter und es kann Neues entstehen. Auf dieser Ebene befinden wir uns zum Beispiel immer dann, wenn wir eine neue Beziehung beginnen. Das kann eine Liebesbeziehung, aber auch eine Freundschaft oder eine Geschäftsbeziehung sein. Es ist, wie verliebt zu sein. Plötzlich scheint alles möglich und Sprüche wie »the sky is the limit« bekommen eine schier wörtliche Bedeutung. In solchen Zeiten gewinnen Unternehmen neue Marktanteile oder Kunden. Der Umsatz wächst und auch das Wissen. Hier werden neue Systeme entwickelt. Diese Ebene ist also wachstumsorientiert.
Auf dieser Ebene geht es um Gewohnheiten und Routinen. Hier fangen wir an, bestimmte Zustände – im Persönlichen zum Beispiel eine Ehe und ein eigenes Vermögen oder im beruflichen Kontext Erfolg am Markt oder gar die Marktführerschaft in der Branche – zu verwalten. Das Schöne an der Bewahrungsebene ist der Genuss. Auf dieser Ebene lehnen wir uns zurück und lassen geschehen. Sie ist alles andere als aktiv. Denn unsere Aktion erstreckt sich lediglich darauf, etwas oder jemanden festzuhalten. Klar, dass hier die Angst vor Verlust groß ist. Wir wollen all das, was wir haben, bewahren. Diese Ebene ist also sicherheitsorientiert.
Auf der Denkebene der Zerstörung geschieht genau das, wonach es klingt: Es wird zerstört. Altes und Bisheriges wird beendet, eingestampft und kaputt gemacht und damit auch ein Stück weit erneuert. Diese Ebene ist schmerzhaft. Denn wir lehnen Bekanntes ab. Sie ist negativ, destruktiv und beinhaltet auch ein gewisses Maß an Aggression. Doch sie ist auch ganz klar erneuerungsorientiert.
Auf welcher Ebene wärst du am liebsten?
Wenn du jetzt darüber nachdenkst, auf welcher Ebene du am liebsten wärst, dann ist das wahrscheinlich die Bewahrungsebene. Da ist es ja so schön gemütlich – und laaaangweilig! Viel spannender ist doch die Entwicklungsebene. Hier sind wir kreativ, erschaffen etwas Neues, denken positiv und finden Lösungen, anstatt die Probleme der Bewahrungsebene zu wälzen oder die Aggression der Zerstörungsebene auszuleben.
In meinen Seminaren und bei meinen Vorträgen erlebe ich immer wieder, dass die meisten Menschen die Zerstörungsebene für die »schlimmste« halten. Ja, sie ist sicherlich die schmerzhafteste. Das ist ganz klar. Auf dieser Ebene geht es ja ums Loslassen und darum, sich von Altem zu trennen. Das fällt uns Menschen schwer. Auf der Zerstörungsebene geht immer etwas zu Ende. Das ist aber nicht wirklich gefährlich.
In Wahrheit ist die gefährlichste Ebene diejenige, auf der zu sein am wenigsten wehtut – die Bewahrungsebene. Hier spürst du keine oder kaum Schmerzen. Höchstens den Schmerz des Durchhaltenmüssens, des Nichtaufgebens und des Immer-weiter-Festhaltens, damit dir nichts aus den Fingern gleitet.
Читать дальше