Axel Rudolph
Maghena
Kriminalroman
Saga
Maghena (Die Leopardenkralle)
Christoph Kind, Afrikareisender
Dr. Damm, Wissenschaftler
Imma Damm, seine Frau
Ursula Helbis, Laborantin des Dr. Damm
Quimbo, ein Negerartist des Zirkus Banta
Tillolois, genannt Cherry, Clown des Zirkus Banta
Die Lorry-Sisters, Kunstreiterinnen
Direktor Banta
Frank Giles, mysteriöse Amerikaner
Mr. Butt, mysteriöse Amerikaner
Mr. Salden, mysteriöse Amerikaner
Dr. Mohr, Berliner Kriminalkommissar
Gneidel, Münchner Kriminalkommissar
Breitschütz, Hamburger Kriminalassistent
Orte der Handlung:
Berlin, München, Hamburg
Zeit: 1932
I
Ein sonderbares Telefongespräch
Christoph Kind war doch etwas „schwer“ nach Hause gekommen. Er nahm zwar jeden Abend an seinem Stammtisch in der kleinen Weinstube am Breitenbachplatz seinen gewohnten Trunk und palaverte mit einigen alten Freunden, aber heute hatte sich die Sitzung ungewohnt in die Länge gezogen. Zumhoff hatte eine Filmidee verkauft, und das wurde gefeiert. Aus der einen Flasche Gin waren drei und vier Flaschen geworden. Genau hatte Christoph Kind sie dann nicht mehr gezählt. Er war jedenfalls heilfroh, als er endlich seine Wohnung erreicht hatte. Während er mit einem Seufzer der Erleichterung den Rock abwarf, klingelte der Fernsprecher. Kinds erster Gedanke war, ihn ruhig klingeln zu lassen. Wahrscheinlich war es Zumhoff, der ihn zurücklotsen wollte. Dann fiel ihm ein, daß es auch Peter Kowitz sein konnte. Peter, der ihm heute abend Nachricht geben wollte, ob eine gewisse Hamburger Firma gewillt war, den alten Afrikaner Christoph Kind als Häuteaufkäufer an die Elfenbeinküste zu schicken. Es war sehr wichtig, zu wissen, ob aus dieser Sache etwas wurde oder nicht. Auf nicht ganz sicheren Beinen wankte Christoph Kind zum Schreibtisch, ließ sich der Sicherheit halber im Sessel nieder und hob den Hörer ab.
Es war nicht Peter Kowitz. Eine dunkle Frauenstimme kam aus dem Apparat.
„Guten Abend, Herr Kind. Ich nehme an, daß Sie selbst am Apparat sind?“
„Allerdings –“
„Sehr gut. Ich hatte schon Angst, Ihre Frau könnte an den Apparat kommen.“
Christoph Kind war unverheiratet. Jeder, der ihn kannte, wußte das und kannte seine Abneigung gegen die Ehe. Er stutzte und räusperte sich. „Verzeihung, aber ich glaube, Sie sind falsch verbunden, mein Fräulein.“
„Wieso? Ist dort nicht Oliva 8522?“
„Doch. Und Kind heiße ich auch. Aber – – entschuldigen Sie, mit wem spreche ich denn eigentlich?“
„Das tut vorläufig nichts zur Sache. Ich bitte Sie nur herzlich, mir ein paar dringende Fragen zu beantworten. Haben Sie etwas von der Geschichte mit Doktor Damm gehört? Natürlich haben Sie das! Alle Zeitungen schrieben ja darüber.“
Christoph Kind hielt die Hand vor den Mund, um ein Gähnen zu verbergen. Er war zwar allein im Zimmer, aber er telefonierte mit einer Dame. „Meinen Sie den Doktor Damm, der seine Frau – – —“
„Ja. Den Doktor Damm, der vor drei Tagen verhaftet worden ist unter dem Verdacht, seine Frau ermordet zu haben. Den meine ich. Aber Doktor Damm ist bestimmt unschuldig.“
Die Sache begann Christoph Kind zu belustigen. „Sie sind anscheinend doch falsch verbunden, mein Fräulein“, sagte er gutmütig. „Hier ist weder das Polizeipräsidium noch die hohe Staatsanwaltschaft, denen gegenüber die Versicherung von Doktor Damms Unschuld angebracht wäre, sondern nur ein harmloser alter Afrikaner namens Christoph Kind.“
„Das weiß ich doch. Gerade den Afrikareisenden Kind wollte ich sprechen.“
„Sehr erfreut. Aber vielleicht sagen Sie mir nun endlich, wer die hübsche Stimme am andern Ende der Leitung ist?“
„Eine alte Frau. Wenn es Sie interessiert: ich bin einundfünfzig Jahre alt, mittelgroß, gesund, noch ziemlich wohlerhalten, in Berlin geboren, berufstätig und nicht ohne Ersparnisse.“
„Famos. Wenn das ein Heiratsantrag sein soll, – bitte, sprechen Sie mit meiner Wirtin, ich bin nämlich noch unverheiratet.“
„Im Ernst, Herr Kind, es ist natürlich ungehörig, daß ich Sie so spät einfach anrufe, aber die Sache eilt.“
„Welche Sache denn, zum Donner ... entschuldigen Sie, aber ich habe immer noch keine Ahnung, wer Sie sind und was Sie denn eigentlich von mir wollen.“
„Nur fragen, ob Sie einem Menschen helfen können, der unschuldig in einen furchtbaren Verdacht geraten ist.“
„Etwa diesem Herrn Doktor Damm?“
„Ja. Ich kann beschwören, daß er die entsetzliche Tat, die man ihm vorwirft, nie und nimmer begangen hat.“
„Schön, mein Fräulein. Aber ich bin weder Detektiv noch Rechtsanwalt und begreife absolut nicht, wie ich dem Manne helfen könnte.“
„Vielleicht können Sie es doch. Darf ich ein paar Fragen stellen?“
„Wenn’s nicht zu lange dauert?“
„Ich werde kurz sein, Herr Kind. Sie waren doch lange in Afrika?“
„Na, im ganzen so an die fünfzehn Jahre.“
„Ja, ich weiß. Ich habe auch Ihr Buch gelesen.“
„Wenn man telefonisch Autogramme geben könnte, würde ich ja – – –“
„Ich bin kein Backfisch, Herr Kind. Darf ich weiter fragen?“ seine Frau – – –“
„Bitte!“
„Also hören Sie zu: In meiner Wohnung habe ich einen ausgestopften Leopardenkopf, ein altes Familienstück. Nein, ich war nicht in Afrika, wie Sie vielleicht vermuten. Das Stück stammt ganz prosaisch von einer Leipziger Pelzfirma. Aber nun sagen Sie mir bitte: Was an so einem Leopardenkopf kann einen Menschen, der in Afrika war, erschrecken?“
„Ich verstehe nicht recht, wohinaus Sie wollen ...?“
„Ich werde etwas deutlicher sein. Eine Bekannte besuchte mich vor einiger Zeit in meiner Wohnung. Sie war zum erstenmal bei mir. Als wir uns unterhielten, wurde sie plötzlich kreidebleich. Ihre Augen starrten mit einem entsetzten Ausdruck nach der Wand. Aber dort, wohin sie sah, war nichts als mein alter Leopardenkopf.“
„Vielleicht hat die Dame gefürchtet, das gute Tier könnte lebendig sein und sich auf sie stürzen? Oder sie hat den Kopf für ein Gespenst gehalten?“
„Schwerlich, Herr Kind. Meine Bekannte hat in ihrer Jugend selber drei Jahre in Afrika gelebt. Außerdem ist sie noch heute eine waidgerechte Jägerin.“
„Und warum haben Sie Ihre Bekannte nicht nach dem Grund ihres Erschreckens gefragt?“
„Das tat ich natürlich. Aber sie behauptete, ihr sei nur plötzlich schlecht geworden. Ich hätte der Sache auch keine Bedeutung beigemessen, wenn nicht inzwischen Dinge eingetreten wären, die ... also, ich kann’s Ihnen ebensogut gleich sagen: jene Bekannte ist Frau Imma Damm, die Gattin des vorhin erwähnten Doktor Damm. Sie werden aus der Zeitung wissen, daß Imma Damm vor kurzem auf einer Reise in die Lüneburger Heide spurlos verschwunden ist und daß man ihren Mann unter dem Verdacht des Gattenmordes festgenommen hat.“
Christoph Kind rieb sich die Augen mit der freien Hand. Das war ja ein reichlich sonderbares Gespräch. Einen Augenblick hatte er das Gefühl, als läge er in seinem Bett und sein schwerer Kopf gaukle ihm Phantasien vor. Er mußte sich zusammennehmen, um sich zu erinnern, daß er wirklich hier am Telefon saß und eine sonderbar dunkle, wohlklingende fremde Stimme hörte.
„Eine seltsame Geschichte, meine Gnädigste. In der Lüneburger Heide gibt es ja nun bestimmt keine Leoparden. Aber ... wollen Sie nicht, bevor wir weiter sprechen, mir nun endlich Ihren Namen sagen?“
„Nachher, Herr Kind. Wenn es Ihnen möglich ist, dann beantworten Sie mir doch bitte die Frage, die mich Tag und Nacht quält. Warum erschrak Frau Damm so fürchterlich, als sie den Leopardenkopf sah? Von wem konnte sie sich bedroht fühlen? Denn das war es, wie ich glaube, was sie so entsetzt zur Wand starren ließ: sie fühlte sich bedroht! Aber wie ist das möglich? Sie ist ihrer Natur nach absolut nicht furchtsam und kennt Afrika aus eigener Anschauung. Es muß irgendein Erlebnis aus dieser Zeit sein, unter dessen Eindruck sie stand.“
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