Dann fällt meiner Tochter doch noch was ein: »Mama, du hast darin versagt, uns Ordnung beizubringen.« Stimmt. Hätte ich mich ohne das Einverständnis meiner Kinder nicht getraut, ins Buch zu schreiben. Mir liegt Ordnung selber nicht im Blut, obwohl ich es mittlerweile schon recht ordentlich bei mir zu Hause habe. Aber dafür muss ich mich echt überwinden. Wozu ich mich nie überwinden konnte, war das Aufräumen der Kinderzimmer.
Mit vier kleinen Kindern war ich froh, wenn die Küche einigermaßen sauber war, die Wäsche gewaschen und ich mindestens einmal die Woche das Haus gesaugt hatte. Von den Kindern hatte ich schon recht früh erwartet, dass sie ihre Zimmer selber aufräumen, und das leider zu inkonsequent kontrolliert. Mittlerweile sind sie alle erwachsen, mein Erziehungsauftrag ist vorbei. Aber hin und wieder läuft mir eine Träne übers Herz, wenn ich das Chaos in den Zimmern der Kinder sehe, die noch zu Hause wohnen.
Wenn ich an die Kindererziehung denke, dann gab es noch ein bisschen mehr als das Scheitern beim Aufräumen. Wie viele Erziehungsratgeber habe ich verschlungen, um alles richtig zu machen, und bin an meiner eigenen Überforderung gescheitert. In der Reflexion hätte ich sehr gerne vieles anders gemacht. Als Mutter fühlte ich mich oft als Versagerin. Zu wenig Zeit, zu wenig konzentrierte Aufmerksamkeit, zu streng, zu inkonsequent. Würde ich all mein Versagen als Mutter aufschichten, der Scheiterhaufen wäre riesig.
Aber genau an dieser Stelle bin ich einmal mehr glücklich und dankbar, dass es Vergebung gibt. Wir haben mit allen unseren Kindern ein gutes Verhältnis. Sie vermitteln uns immer wieder, dass sie eine gute Erziehung genossen haben. Gnadenamnesie nennt man so etwas. Dieser Scheiterhaufen ist restlos runtergebrannt und es bleibt nur noch etwas Asche, die sich hin und wieder mal in meine Erinnerung schmuggelt.
Das Thema des Scheiterns beschäftigt mich den ganzen Tag. Und dann fallen mir doch noch ein paar Dinge ein.
1998 hatte ich mich als Ernährungsberaterin mit der Firma Weight Watchers selbstständig gemacht. »Frau Malisic, Sie werden es ziemlich weit in dieser Firma bringen«, versicherte mir meine damalige Ausbilderin. Und so war es auch. Ich wurde sehr erfolgreich, leitete mehrere große Gruppen und sonnte mich in meinem Erfolg. Ich brachte gutes Geld nach Hause und hatte die Anerkennung meiner Teilnehmer. Ich wuchs förmlich über mich hinaus.
Als dann die Stelle einer Gebietsbeauftragten in meiner Region ausgeschrieben wurde, war für mich klar: »Den Job nehme ich.« Ich schrieb eine Bewerbung und wurde zum Vorstellungsgespräch nach Düsseldorf eingeladen. Es gab nur eine Konkurrentin. Ich war mir meiner Fähigkeit so sicher, dass ich mir keine großen Gedanken darum machte, die Stelle nicht zu bekommen. Drei Wochen später kam die Absage.
Absagen fühlen sich nie gut an. Auch diese nicht. Sie vermitteln dir: »Du warst nicht gut genug. Jemand anderes kann es besser als du.« So ganz locker schüttelte ich diese Ablehnung nicht ab, aber ich veränderte meine Sichtweise: »Welche positive Konsequenz hat diese Situation?«
Ich hätte meinen Job zu 100 Prozent gut gemacht. Aber meine Karriere hätte einen großen Stellenwert in meinem Leben eingenommen. Ich hätte viel weniger Zeit für meine Kinder, meinen Mann und die Gemeinde gehabt. Und wer weiß, ob ich den Absprung geschafft hätte, um mich mit Beate mit Lebe leichter selbstständig zu machen.
»Verstehen kann man das Leben rückwärts; leben muss man es aber vorwärts«, schrieb der dänische Philosoph Søren Kierkegaard.
Schmerzlich erinnere ich mich an zwei finanzielle Verluste, die ich zu verantworten hatte. Ein paar Aufgabengebiete sind in unserer Ehebeziehung ziemlich klar aufgeteilt. Während mein Mann für alles Handwerkliche im Haus zuständig ist, kümmere ich mich um Finanzen und den Bürokram.
Als gelernte Verwaltungsfachangestellte weiß ich, wie man Briefe formuliert, Anträge stellt und Unterlagen ordnet. Auch mit Geld kann ich gut umgehen. Ich habe unsere Finanzen im Blick, weiß, wann was bezahlt werden muss, wie viele Rücklagen notwendig sind und bin ein Gegner von Konsumschulden und Kreditkarten.
Jetzt aber zu meinen beiden Scheiterhaufen.
Unser ältester Sohn beantragte während seines Studiums BAföG. Wir wussten, dass unser Einkommen von vor zwei Jahren für diese Berechnung zugrunde gelegt wird. Da mein Mann in dem Jahr der Antragstellung einen erheblichen Gewinneinbruch hatte, stellte ich einen Antrag, bei dem das aktuelle Einkommen zugrunde gelegt wurde.
Es hätte gereicht, das Einkommen meines Mannes neu zu berechnen. Das wusste ich nicht. Ich hatte den Aktualisierungsantrag für uns beide gestellt. Mein Einkommen hatte sich erheblich erhöht. Als ich diesen Fehler bemerkte, war die Widerspruchsfrist des Bescheids bereits abgelaufen. Unserem Sohn hätte richtig viel BAföG zugestanden. Ich hatte den Gesetzestext einfach falsch verstanden.
Zwei Jahre später bekamen wir eine Betriebsprüfung. Die Dame vom Finanzamt fand heraus, dass mein Mann einem Subunternehmer, mit dem er eine Zeit lang zusammengearbeitet hatte, einige Tausend Euro zu viel gezahlt hatte. Der Subunternehmer hätte ihm die Mehrwertsteuer nicht in Rechnung stellen dürfen. Ich wusste das nicht, habe ihm sogar noch bei der Rechnungsstellung geholfen und das Geld ausgezahlt. Nach der Betriebsprüfung mussten wir diesen Betrag nochmals an das Finanzamt zahlen, weil der Subunternehmer die Mehrwertsteuer anscheinend nicht abgeführt hat.
Zwei riesige Fehler, die uns viel Lehrgeld und mich ein paar schlaflose Nächte gekostet haben. Ich habe richtig mit mir gehadert. Gerade weil ich sonst so hundertprozentig richtig rechne.
In solchen Situationen bin ich für meinen Mann dankbar. Er kümmert sich sonst eher wenig ums Geld. Nur in solchen Fällen zuckt er mit der Schulter und meint, was nicht zu ändern sei, akzeptieren wir so. »Wer weiß, wozu es gut ist. Und alles das, was uns zu Unrecht genommen wurde, werden wir an anderer Stelle wieder erstattet bekommen.«
Unser Familienbrunch ist längst vorüber, da treffe ich meine Tochter nachmittags in der Küche und sage ihr, dass mir doch noch etwas eingefallen sei, bei dem ich versagt habe. »Ich wünschte, meine Beziehung zu Oma Marija wäre anders gewesen.«
Die Beziehung zu meiner Schwiegermutter war nicht immer einfach. Wir hatten ziemliche Hochs und Tiefs miteinander. Ich könnte jetzt behaupten, sie sei schwierig gewesen, aber offen gesagt habe ich auf ihre Art auch nicht immer super reagiert. Ich bin dankbar, dass wir versöhnt waren, bevor sie für immer die Augen schloss. Ihre letzten Worte damals am Telefon waren: »Ach, Heikitsch (so nannte sie mich immer), ich freue mich ja so.«
Ich war der Meinung, sie meinte damit ihre neu bezogene Wohnung in Bremen, in der sie seit zwei Wochen wohnte. Aber das war es nicht. »Ich freue mich, nach Hause zu gehen, zu Jesus, und dann auch Julian wiederzusehen.« Den Tod ihres Enkels hatte sie nie überwunden. Aber sie wusste, dass sie ihn wiedersehen wird. Das ist der Glaube und die Hoffnung der Gläubigen. Wir führten noch ein sehr emotional bewegendes Gespräch. Ich erzählte ihr, dass ich bereits den Zug gebucht hatte, um sie im nächsten Monat zu besuchen.
Eine Woche später ist sie noch einmal umgezogen. In ihre himmlische Wohnung. Immer wenn ich an sie und unser letztes Gespräch denke, bin ich traurig, dass ich es nicht besser mit ihr hinbekommen habe. Dass wir uns oft gestritten und missverstanden haben.
»Mama, hör jetzt auf, das tut dir nicht gut«, fordert meine Tochter mich auf, während mir die Tränen übers Gesicht laufen. Recht hat sie. Mir wird bewusst, dass die Dinge, bei denen ich gefühlt wirklich gescheitert bin, nichts mit durchgefallenen Prüfungen, verpatzen Vorträgen oder Fehlern in Buchhaltung zu tun haben. Ich bin eher an der einen oder anderen Beziehung gescheitert. Eine Freundschaft ist zu Bruch gegangen, das Verhältnis zu meiner Schwiegermutter war oft angespannt, das zu meinem Vater auch. Unabhängig davon, welchen Teil der Schuld die anderen getragen haben: Für mein Verhalten bin und war ich selber verantwortlich.
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