Ich beschließe, beim nächsten Mal genau an dieser Stelle auszusteigen, eine Piccoloflasche Sekt zu öffnen und mit dem Erstbesten, der vorbeigeht, 42 Jahre nachträglich auf meinen Erfolg anzustoßen und ein Foto davon zu schießen. Ich möchte neue Bilder in meinem Kopf!
Wie gut, dass ich das Geld und einen weiteren Anlauf nicht gescheut habe. Allerdings bekam ich kaum Fahrpraxis. Zum einen hatte ich ja meine Vespa. Die genügte mir für die täglichen Wege und meine Spritztouren. Und wenn es für den Roller zu weit war, gab es genug Freunde, die mich mitnahmen.
Am 16. Mai 1984 bekam unsere frischgebackene Familie ein Auto. Unser erstes Kind war einen Tag vorher auf die Welt gekommen und mein Mann besuchte mich im Krankenhaus – mit einem Kleinbus. Mein Wunsch, ihn selber zu fahren, hielt sich in Grenzen. Das zweite Kind kam, das dritte und bestimmt auch das zweite und dritte Auto. Mit dem vierten Kind schwanger wurde mir bewusst, wie viel leichter es sein würde, wenn ich mich traute, Auto zu fahren.
Zu dieser Zeit wohnte eine norwegische junge Frau bei uns, deren Name mir so gut gefiel, dass ich das kleine Menschlein in meinem Bauch nach ihr benannte. Birgitta. Mit Engelsgeduld half sie mir, meine Scheu zu überwinden, und übte mit mir Autofahren. Eine ziemlich große Delle am Garagentor war das einzige Lehrgeld, das wir bezahlen mussten. Birgitta ging nach Norwegen zurück, unsere Birgitta kam auf die Welt und seit 30 Jahren fahre ich täglich Auto, weitaus mehr als mein Mann.
Von außen sieht es vielleicht so aus, als ob Türen grundsätzlich vor mir aufgegangen wären. Dass ich jeden Vorsatz umsetzen konnte und alles gelungen ist, was ich angefangen habe.
Die Momente, in denen ich mich hinterfragt habe, sind nicht öffentlich. Die Momente, in denen ich nicht aus Leidenschaft, sondern aus purem Wissen, dass es richtig ist, weitergemacht habe, hat kein Außenstehender mitbekommen. Die Nächte, die ich mir um die Ohren geschlagen habe, auch nicht und ebenso wenig die, in denen ich vor Müdigkeit geweint habe.
Eine große Demütigung war meine Kündigung. Ich hatte jahrelang in der Firma gearbeitet und mich richtig reingekniet. Ein bisschen dachte ich, ich wäre »das beste Pferd im Stall«. Natürlich wusste ich, dass ich auch Fehler mache, aber als ich die Kündigung erhielt, dachte ich, in den Boden versinken zu müssen oder zu sterben. Bin ich nicht. Das Leben ging weiter – und wäre diese Kündigung nicht gewesen, wären weder Lebe leichter noch Body Spirit Soul entstanden.
Ein Rätsel, das ich auch nach Jahren nicht gelöst habe, ist das Scheitern einer Kleingruppe in unserer Kirche. Gruppen, Kurse, Teams zu leiten ist für mich ein Selbstläufer. Freizeiten, Wochenenden, ich erinnere mich nicht, jemals Probleme beim Leiten einer Gruppe gehabt zu haben. Es wird immer gut. Die Atmosphäre ist gut. Ich leite mit leichter Hand und die Leute gehen gerne mit.
Ich war sicher, ich bin die richtige Person. Mein Mann ebenso. Ich liebte die Thematik und war voller Vorfreude. Eine gute Truppe mit Menschen, denen das Thema genauso am Herzen lag wie mir, hatte sich eingefunden. Ich kannte alle seit Jahren. Ich war sicher im Thema. Aber es ging nicht. Jeder Abend war eine Katastrophe. Wochenlang schlug ich mich tapfer durch, dann ließ ich die Kleingruppe auslaufen.
Irgendwann wird sich mir erschließen, was da los war. Ich will nur, dass du weißt: Es gibt Situationen, die wollen dir das Selbstvertrauen rauben. Wollen dir einreden, dass du der Fehler bist. Weil ich so viele positive andere Erfahrungen gemacht habe, habe ich dieses Scheitern nur als »Rätsel« abgespeichert. Aber was wäre gewesen, wenn ich bis dahin keine positiven Erfahrungen gesammelt hätte?
Ein paarmal war ich beim Lokalradio eingeladen. Im Rahmen unserer Freundinnenabende hatten wir einige Themen an die Presse weitergegeben und im Radio die Gelegenheit, ein bisschen neugierig auf das Thema zu machen. Na ja, das war ein wenig Small Talk mit dem launigen Moderator und es machte Spaß. Ihm auch. So kam er auf die Idee, dass ich eins der Themen doch auch mal im Lokalfernsehen bringen könnte. Ich weiß noch das Thema. »Stress, lass nach.« Mein eigener Vortrag darüber, dass es positiven und negativen Stress gibt.
Was für eine Chance. Aber sie stresste mich auch. Ich hatte zugesagt, aber war es nicht so, dass eins meiner Kinder gerade ein bisschen fieberte? Sollte ich nicht lieber zu Hause sein, als im Lokalfernsehen aufzutreten? Ach, du ahnst es schon. Ich hatte einfach Schiss. Ich rief den Moderator an, der in Windeseile eine neue Besetzung für den Themenbeitrag finden musste, und schäme mich noch heute, wie der Moderator vom Fernsehstudio aus Frau Nordstrand grüßte, die leider, leider wegen ihres kranken Kindes zu Hause bleiben musste. So krank war es wirklich nicht.
Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen.
»Würde dich interessieren, was meine beiden schlechtesten Vorträge überhaupt waren?«, fragt mich Beate. Natürlich! Ich will ALLES von ihr wissen, immerhin ist sie meine Freundin. Sofort erinnere ich mich an meinen schlechtesten Vortrag. Der war nicht wirklich schlecht, aber mittendrin stand eine Frau auf und meinte, sie hätte etwas anderes erwartet. Stille im Raum, nur das tiefe Einatmen der Veranstalterin war zu hören. Alle Augen auf mich gerichtet. Die Stimmung kippte. Ich reagierte so souverän wie möglich, aber fuhr anschließend Rotz und Wasser heulend nach Hause. Was für eine Blamage, nie wieder wollte ich einen Vortrag halten!
Noch bevor ich die Geschichte zu Papier bringe, kommt eine Mail von Beate: »Es ist vielleicht selbstverständlich, aber gut wäre, wenn unsere Beispiele möglichst verschieden sind, damit wir mehrere Bereiche des möglichen Scheiterns abdecken … Durch die Führerscheinprüfung bin ich gefallen … Brauchst du dann nicht mehr.«
Den Vortrag behalte ich also für mich und den Führerschein hab ich in Theorie und Praxis beim ersten Anlauf geschafft. Ich krame in Erinnerungen und schreibe ein paar Sachen auf. Da trudelt gleich noch eine Mail meiner Freundin ein: »Mit Scheitern muss auch eigenes Versagen rüberkommen, nicht wenn was Blödes passiert ist, wo jemand anders schuld ist.«
Die Suche nach dem Scheiterhaufen
Während ich die Mail von Beate lese, stehe ich zusammen mit meinem Mann in der Küche. Wir bereiten unseren samstäglichen Familienbrunch vor. Ich frage ihn, ob es okay wäre, wenn ich unsere Geschichte von vor 13 Jahren erzähle. Damals wurde uns unser Dienst in der Gemeinde quittiert und damit der Boden unter den Füßen weggezogen. Wir standen vor extrem emotionalen und existenziellen Herausforderungen und hatten keine Ahnung, wie unser Leben weitergehen sollte. »Das war weder dein noch mein Versagen, das ist uns widerfahren. Wir haben dafür Jahre später mehrere Entschuldigungen bekommen.« Stimmt, hatte Beate ja gerade erst geschrieben.
»Dann sag mir mal ein paar Sachen, bei denen ich gescheitert bin«, fordere ich ihn auf. »Es gibt nichts. Du bist noch nie durch eine Prüfung gefallen, alle Projekte, die du durchgeführt hast, sind gut gewesen, du hast ein Händchen für gewinnbringende Geschäftsideen und wenn du von einer Sache begeistert bist, setzt du sie auch erfolgreich um.« Natürlich bin ich geschmeichelt, aber ich brauche doch ein paar Scheiterhaufen für unser Buch. Wir gehen zusammen ein paar meiner vermeintlichen Misserfolge durch, aber mein Mann hält mir vor Augen, dass nicht ich die Schuld daran getragen habe, sondern die Umstände oder andere Personen.
Echt jetzt? Es gab tatsächlich keine Misserfolge in meinem Leben? Das kann ja nicht wirklich sein. Meine Kinder kommen zum Brunch und mein Mann fordert sie auf: »Sagt mal eurer Mama, wann in ihrem Leben sie versagt hat.« Fragezeichen in den Augen meiner Kinder. Ich erkläre ihnen, dass ich ein paar Pleiten fürs neue Buch brauche, und lese die Geschichte von Beate vor. Sie schauen mich ratlos an. »Mama, es gibt nichts.« Ich werde bisschen ungeduldig. »Ihr braucht euch nicht zurückzuhalten. Überlegt mal weiter, bestimmt fällt euch noch was ein.« Mein Mann ist mittlerweile fast ein bisschen genervt, weil er meint, dass ich nicht irgendwelche Erlebnisse dramatisieren müsse, nur damit das Buch spannend wird. Natürlich nicht, wir wollen ja ehrlich sein.
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