Er schämte sich so sehr, dass der Wein auf seiner Zunge zu Essig wurde.
Der 3D-Drucker summte, während er ein braunes Plastikteilchen modellierte. Jordan hatte die Zunge zwischen die Zähne geklemmt, trotz der Lupe an seinem Stirnband die Augen verengt und balancierte eine Pinzette zwischen Daumen und Zeigefinger. Das Stück Kunststoff zwischen den Zangen war kaum einen Zentimeter lang, hauchdünn und sanft gebogen, um die Wölbung eines Schiffsrumpfes nachzuahmen.
Unendlich behutsam ließ Jordan die Pinzette nach vorn gleiten, direkt auf die feuchte Stelle auf dem Unterbau zu. Langsam, ganz langsam senkte sich die vermeintliche Holzbohle an ihren Platz, saugte sich an die Konstruktion an – Jordan atmete zittrig aus, sein Zeigefinger zuckte – und rutschte ab. Quer über die bereits verarbeiteten Bauteile und eine Spur aus halb angetrocknetem Kleber hinterlassend.
»Scheiße!«, fluchte Jordan und ließ sich auf seinem Stuhl so heftig nach hinten fallen, dass die Rollen in Bewegung gerieten und ihn gegen die nahe Wand katapultierten. Prompt erbebten die Modelle auf den umliegenden Regalen und erinnerten ihn daran, dass kein Klebstoffrest und nicht einmal ein verdorbenes Modell es wert waren, seine Schätze zu ramponieren.
Er zwang sich zur Ruhe, entfernte hastig mit einem Q-tip und einem Tropfen Lösungsmittel das Malheur und brachte die nachgebildete Bohle auf einem Glastellerchen in Sicherheit. Erst dann riss er sich die Handschuhe herunter und raufte sich ausgiebig die Haare.
Der 3D-Drucker kam zum Stillstand, auf der Ausgabefläche ruhte ein winziger Teil eines der drei Masten des Linienschiffs Dunbar. Es war nicht das erste Mal, dass Jordan ein Segelschiff zusammensetzte. Hinter ihm auf den Regalen standen bereits Nachbauten der Santissima Trinidad, die in der Schlacht zu Trafalgar von den Briten erobert und einen Tag später gesunken war, ihrer Gegnerin, der HMS Victory, sowie einer historisch wenig korrekten Adler von Lübeck, einem Hansekriegsschiff.
Aber Jordan beschränkte sich nicht auf Schiffe. Schon unter seinen ersten Modellsätzen als Kind hatten sich sowohl U-Boote als auch Flugzeuge, sowohl Raumschiffe nach realen Vorbildern als auch solche aus Star Wars und Star Trek befunden. Es ging ihm nicht darum, sich eine museumswürdige Sammlung von dieser oder jener Art zuzulegen, auch wenn er selten eines seiner Modelle hergab. Er hatte Spaß am Entstehungsprozess. Je mehr winzige Teile er zusammenfügen konnte, desto glücklicher war er. Und seitdem er dank des 3D-Druckers und entsprechender Software seine Fantasie spielen lassen konnte, statt auf das Programm der Spielwarenhersteller beschränkt zu sein, war er seinem Hobby endgültig verfallen.
Es tat ihm gut. Es beruhigte ihn. Es entsprach am ehesten dem, was Katy flapsig als Meditation bezeichnet hatte.
Aber heute zeigte die Arbeit mit Pinzette und Wattestäbchen keine Wirkung. Er war immer noch genauso unleidlich und aus dem Takt wie bei seinem Aufbruch aus dem Club. Unfähig, nichts zu tun, weil er nicht müde war, und gleichzeitig nicht in der Lage, auf Katys Ratschläge zu pfeifen und sich an den Computer zu setzen, um zu arbeiten. Inzwischen fand er seine Stimmung genauso seltsam wie seine Freundin.
Er hatte nicht erwartet, dass ihn die Trennung von Henry so mitnehmen würde. Und es war wahrscheinlich ein mieser Zug von ihm, dass er nicht um den Mann trauerte, der nicht länger Teil seines Lebens war, sondern eher um die verpasste Gelegenheit, sich etwas Langfristiges mit ihm aufzubauen. Sollte Jordan in den letzten Tagen ab und zu einen Kloß im Hals oder feuchte Augen gehabt haben, dann aus Enttäuschung; nicht aus Liebeskummer.
Und Katy? Hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als zu versuchen, ihm einen Frischling aufs Auge zu drücken. Sie hatte es bestimmt gut gemeint, aber verdammt, ein erfahrener, vielseitiger Dom, der ihm half, zur Ruhe zu kommen, wäre ihm lieber gewesen.
Das war es, was ihm fehlte. Innere Ruhe. Seine Haut war zu eng, seine Hände zu ungeschickt, sein Kopf durcheinander. Deswegen war er neidisch auf Wayne gewesen, der sich Anthonys Händen ausliefern durfte. Es war nicht nur darum gegangen, dass Jordan nichts dagegen gehabt hätte, selbst die Berührung einer behandschuhten Hand auf den Hoden zu spüren. Es war die Losgelöstheit, um die er Wayne beneidet hatte. Die er brauchte.
Und zwar bald…
Jordan rollte auf dem Schreibtischstuhl zum Regal neben der Tür und nahm sein Smartphone vom Brett. Er rief die Raumbelegung fürs Wochenende auf und stieß bald auf eine Reservierung, die ihn aufmerken ließ. Duncan und Wayne. Raum 2. Dazu der kleine Hinweis: E.
Er schwankte zwischen Lachen und Aufstöhnen. Natürlich Wayne. Es war derzeit immer Wayne. Er wohnte praktisch im Club und nahm gefühlt an mehr Sessions teil als alle anderen zusammen, Belegschaft eingeschlossen. Jordan hatte nichts dagegen. Und gegen Duncan erst recht nicht. Er war noch jung, aber ein verlässlicher und aufmerksamer Spielgefährte. Und jemand, der Dreiern nicht abgeneigt war.
Jordan dachte an kribbelnde Haut, schnalzende Stiche, Blitzeinschläge in die Nervenzellen und die Befreiung, die damit einherging. Kurz entschlossen lud er Duncan und Wayne in eine WhatsApp-Gruppe ein, um sie zu fragen, ob sie bei ihrem kommenden Termin Lust auf einen dritten Mann hatten.
Sie antworteten zeitgleich und so schnell, dass sie sich unmöglich abgesprochen haben konnten. »Klar!« Dann schrieb Duncan: »Gefällt mir verdammt gut, die Idee. Ich weiß genau, was ich mit euch beiden mache. Stellt euch schon mal aufs Schreien ein.«
Ein schöneres Versprechen hätte er Jordan nicht geben können. Als Wayne auch noch vorschlug, die Türen für ausgewählte Gäste offen zu halten, ließ er zufrieden den Kopf gegen die Rückenlehne sinken und rieb durch den Stoff seiner Jeans seinen langsam anschwellenden Schwanz.
***
Phoenix war zurückgekehrt. Es hatte nur zwei Tage gedauert, bis sich das Wirrwarr aus Scham, Unsicherheit und Versuchung in seinem Bauch gelöst und die Neugier wieder die Oberhand gewonnen hatte.
Kaum, dass er an diesem Abend den Club betreten hatte, war er abgefangen worden. Im ersten Augenblick hatte er Katy nicht wiedererkannt. Erst, als ihn der gut aussehende Mann, in den sie sich verwandelt hatte, angesprochen hatte, war ihm klar geworden, wem er gegenüberstand. Er hatte die Überraschung kaum verwunden, als Katy oder Ben, wie er sich heute mit leisem Nachdruck vorgestellt hatte, ihn einlud, an einer Vorführung teilzunehmen.
Er hatte bisher nicht einmal gewusst, dass der Club auch eine Art Entertainment anbot. Aber nun stand er mit klopfendem Herzen und trockenem Mund in einem schwarz gefliesten Raum und konnte den Blick nicht von dem Schauspiel abwenden, das vor seinen Augen zelebriert wurde.
Sie waren zu dritt. Ein orangefarbener Scheinwerfer zeichnete einen Kreis aus weichem Licht um sie. Der Rest des Raums lag im Dunkeln, sodass sich alle Blicke unwillkürlich auf die Vorgänge im Zentrum richteten.
Zwei Männer lieferten sich einem dritten aus. Sie waren bis auf kurze schwarze Boxershorts nackt und lehnten jeweils an einer Stützvorrichtung, die an einen aufgerichteten OP-Tisch erinnerte. Sie schwitzten, ihre entblößten Bäuche hoben und senkten sich hastig, von Zeit zu Zeit stöhnte einer von ihnen auf oder zerrte an seinen Fesseln. Dabei berührte sie niemand und überhaupt geschah nicht viel.
Aber da war der Mann, der mit dem Rücken zu den Gästen zwischen ihnen stand und sie nicht aus den Augen ließ. Seine Hände lagen an zwei Geräten, die Phoenix nicht genau erkennen konnte, die aber zweifelsohne mit den Elektroden und Klammern an den Körpern der Subs verbunden waren. Manchmal fragte er leise etwas. Wenn die Antwort nicht schnell genug kam, tat er irgendetwas, das ein neuerliches Keuchen auslöste.
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