Will Berthold
Roman
SAGA Egmont
Krisenkommando
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass,
represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de).
Originally published 1980 by Heyne Verlag, Germany.
All rights reserved
ISBN: 9788711727041
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Der Tag hatte sich auf dem richtigen Bein erhoben. Ich schob in meinem Hotelzimmer die Vorhänge beiseite und blinzelte gegen die Sonne. Etwas Schönwetter für den Privatgebrauch könnte nicht schaden, aber so leicht war das bei mir nicht, wiewohl sich inzwischen meine freien Tage mindestens zu Wochen, wenn nicht schon zu Monaten gehäuft haben mußten.
Ich setzte mich in einen Mietwagen und fuhr los. Zu einem eigenen Auto habe ich es so wenig gebracht wie zu einer eigenen Persönlichkeit. Beides muß ich mir von Fall zu Fall ausleihen. Die Namen, die ich dabei führe, sind so falsch wie die Seufzer einer Hure, nicht wertvoller, als das Papier, auf dem sie stehen, und Papier ist geduldig.
Nach jedem Einsatz wandert mein Reisepaß ohnedies in den Reißwolf, der meine Identitäten zerfleischt und auffrißt.
Während ich mich ziemlich gewaltsam durch Münchens verstopfte Straßen zwängte, schaute ich auf mich zurück, nicht im Zorn, und nicht im Mitleid: Gefühle kann ich mir in meiner Branche so wenig leisten wie auffällige Anzüge oder schnittige Sportwagen. Oder schöne Frauen.
Der Gegenverkehr drohte mich in die Stadt zurückzuwerfen, der Süden pumpte pausenlos Freiwillige der Tretmühle in die Isar-Metropole. Kurz vor Solln fand ich eine Telefonzelle nebst Parkplatz. Ich hielt an, stieg aus, um das Unvermeidliche hinter mich zu bringen.
Mein Zeigefinger kannte die Nummer unserer Zentrale auswendig.
»Ferry«, meldete ich mich mit meinem Code-Wort. »Liegt etwas für mich vor?«
»Bis jetzt nicht«, antwortete die Stimme am anderen Ende, so monoton und mechanisch, als liefe sie vom Band.
»Dann haken Sie ’mal einen Tag von meinem Freizeit-Konto ab.«
»Wohin fahren Sie?« fragte dieser Kehlkopf-Automat.
»Ins Blaue«, erwiderte ich.
»Drücken Sie sich bitte präziser aus.«
»Gut«, versetzte ich gereizt: »Ins Grüne.«
Es war natürlich sinnlos, gegen die Regeln meines Berufes anzugehen, und Bürokratie ist nun einmal das Gewissen der Ordnung. »Ich werde mich im Isartal aufhalten«, lenkte ich ein.
»Melden Sie sich gegen Mittag wieder«, befahl der Mann am anderen Ende; ich mußte ihm noch die Nummer meines Leihwagens durchgeben, dann erhielt ich grünes Licht für die nächsten drei Stunden.
Mein Bezintank war schon ziemlich leer, aber kurz vor Pullach fand ich eine Tankstelle und reihte mich in eine lange Schlange ein. Zwar wurde in der Bundesrepublik noch nicht mit der Pistole um den Kraftstoff gekämpft, aber die Wartezeit hier war bereits ein – völlig unnötiger – Auswuchs der Ölkrise. Am Vorabend hatte im Fernsehen der Spitzenmanager eines Weltkonzerns mitgeteilt, daß er – angeblich – die Kontingente für seine Tankstellen kürzen müßte. In absurder Panik wollte jeder noch einmal den Tank auffüllen. Während ich fluchte, wußte ich noch nicht, daß mein nächster Auftrag eng mit der Energiekrise verbunden sein sollte.
»Super?« fragte mich der Tankwart.
»Ja«, antwortete ich. »Voll bitte.«
»Von mir aus«, entgegnete er unfreundlich. »Wenn das so weitergeht, erhalten ab heute Mittag bei mir nur noch meine Stammkunden Sprit. Die anderen können sich dann bei Oberst Gaddafi oder sonst einem Ölscheich beschweren.« Er quittierte das Trinkgeld mit einem Kopfnicken und setzte hinzu: »Zwei Bataillone Fallschirmjäger, und diese Kameltreiber könnten in der Nase bohren statt in der Wüste.«
»Sie sind mir ja ein schöner Imperialist«, versetzte ich lachend.
Im Grunde schlug der Mann nur vor, was längst von einigen bekannten US-Politikern gefordert worden war. Auch der Leitartikel einer Münchener Zeitung hatte in dieses Horn gestoßen und sich dabei die Lippen verbrannt. Ölkrise: Die alte Leier. Viel Lärm um wenig, denn die Geschäfte mit dem Schwarzen Gold liefen wie geschmiert. Das Öl ernährte seinen Mann, beziehungsweise seine Herkunftsländer, Multikonzerne und Finanzämter. Jeder füllte sich die Taschen. Zuerst bedienten sich die OPEC-Länder, auf dem Fuße folgten ihnen die Ölmächte, die nicht an das Kartell angeschlossen waren. Die »weißen Scheichs« waren nicht minder begehrlich als alle anderen; das Nordsee-Öl zum Beispiel war nicht einen Cent billiger als der Wüstensaft. Dann kamen die Konzerne und beschäftigten sich mitunter als Spekulanten und Wucherer: Sie wiesen in Europa ungeheuere Verluste vor, während ihre Mutterfirmen in Amerika gleichzeitig Riesengewinne einsteckten.
Jeder wußte, daß die vorgewiesene Buchführung falsch war, aber keiner kannte die Tricks so gut wie Energie-Manager, die immer wieder bewiesen, daß das Erdöl eine schmierige Substanz ist.
Last not least kam der Staat, und hiermit meine ich nicht einen bestimmten, sondern alle, am wenigstens freilich die USA, die sich auch heute noch am bescheidensten geben. Bei Benzin zum Beispiel kassiert der Fiskus schlicht weit über die Hälfte aller Einkunfts- und Erstellungskosten und heizt damit die Gier der Ölproduzenten an, die nicht ganz zu unrecht darauf hinweisen, daß die Preiserhöhung in Raten von jeweils 3, 5, und 7,5 Prozent nicht das ganze Wirtschaftsgefüge der Industriestaaten zum Einsturz bringen können, wenn sich ihre Finanzämter an den übrigens gar nicht so raren Saft so bereicherten, daß die Scheichs und Emire schon beinahe wieder zu Wundertätern der Selbstbescheidung werden.
Der Dumme war – wie immer – das Volk, laut Heinrich Heine der »große Lümmel«, heutzutage eine Gemeinschaft von Verbrauchern. Der Konsument schimpft und zahlt – und zahlt immer drauf. Und das nicht nur bei Petroleum, aber nicht nur Blut, auch Öl ist ein ganz besonderer Saft.
Man hatte mich über Nacht aus Buenos Aires abberufen, wo sich gerade um die Falkland-Inseln eine höchst überflüssige Krise zusammenbraute. Statt das Kulissenspiel der Militär-Diktaturen weiter zu beobachten, saß ich nun in München herum. Auf Abruf. Keiner sagte mir warum. Erklärungen sind in meiner Branche weder üblich noch nötig.
Ich hatte so eine Vorahnung, daß es nach Nahost gehen könnte, wo die Krise gewissermaßen krisenfest war. Hier lag für meine Organisation eine Aufgabe und auch eine Herausforderung, und deshalb sah ich mich schon in Oman oder Abu Dhabi, in Katar oder Kuwait, jedenfalls da, wo der Kuskus wächst, und dabei schmeckt mir weder Hammel, noch Reis – aber das wäre noch lange nicht das Übelste an der Sache.
Ich rollte weiter, in die Arme des Frühlings. Ein Tag wie aus dem Bilderbuch, eine Rarität aus der meteorologischen Schatztruhe. Die Sonne vergoldete auch noch die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Pullach, an der ich eben vorbeifuhr. Ich dachte nicht an meine Kollegen und Rivalen, schon weil ich uns für besser hielt. Unser Job war leichter, oder auch schwerer, je wie man es betrachtete.
Unbegrenzte Mittel – dafür kein Fangnetz.
Natürlich hatte das Kind auch einen Namen, aber ich möchte ihn hier so wenig nennen wie interne Einzelheiten. Unsere Organisation arbeitet international mit dem stillen Einverständnis des amerikanischen und des deutschen Geheimdienstes, und wir werden auch von parlamentarischen Sicherheits-Ausschüssen kontrolliert. Der Unterschied liegt darin, daß wir, wenn wir unangenehm auffallen, Privatleute sind, ohne jede Rükkendeckung. Deshalb können und müssen wir mehr riskieren und Kastanien aus dem Feuer holen, an denen sich zum Beispiel CIA und BND nicht die Finger verbrennen wollen. Natürlich gibt es, bei aller Rivalität, Kontakte zwischen den verschiedenen Diensten, und in der Bundesrepublik arbeiten wir mit Vorliebe mit den GSG-9- Männern zusammen, die in Mogadischu einen glänzenden Einstand in der Terror-Bekämpfung gehabt hatten und den Pfusch beim Olympia-Massaker vergessen machen konnten. Freilich waren hier hochkarätige Einzelkämpfer mit Verve und Mut am Werk gewesen und nicht ein redseliger Innenminister und ein wichtigtuerischer Polizeipräsident.
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