»Hitlers Gier nach Blut blieb unvermindert, stieg vielleicht sogar mit der Zeit der Niederlagen. Obwohl er physisch Angst hatte, Blut zu sehen, erregte und berauschte ihn der Gedanke daran. Die bloße Zerstörung in allen ihren Formen schien auf den angeborenen Nihilismus seines Geistes zu wirken … Es war für ihn gleichgültig, wessen Blut vergossen wurde. Deshalb war das Ereignis, die nachsinnende Vorstellung über Ströme von menschlichem Blut, was ihn inspirierte, nicht der Gedanke an Sieg und der praktische Nutzen … Während des Krieges stellte Hitler kontinuierlich seine Gier nach Blut unter Beweis – diese physische Lust beim geistigen Nachempfinden der Schlachten zu seiner eigenen Befriedigung. Die Generäle – abgehärtete Automaten –, berüchtigt als entpersönlichte Männer von Blut und Eisen, waren schockiert über solche zum Ausdruck gebrachten Gefühle [Hitlers] und haben darüber zahlreiche Beispiele gebracht. Während der Schlacht gegen Polen bekräftigte [General Franz] Halder immer wieder, dass die Erstürmung Warschaus unnötig wäre; es würde von alleine fallen, seit die polnische Armee nicht mehr existierte. Doch Hitler bestand darauf, dass Warschau zerstört werden müsste.« (Hugh Trevor-Roper: The Last Days of Hitler . 1947, S. 117)
»Er sah aus wie der Knabenmörder von Hannover, dessen Prozess unlängst Sensation gemacht hatte. Ob er, der österreichische Operettenhabitué am Nebentisch, ebenso tüchtig war wie sein norddeutscher Doppelgänger? Dieser homosexuelle Blaubart hatte es fertiggebracht, dreißig bis vierzig junge Buben in seine gastliche Stube zu locken, wo er ihnen im Liebesakt die Kehle durchbiss und aus den Leichen schmackhafte Wurstware machte. Eine stupende Leistung! – Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Tatmenschen frappierte mich. Schnurrbart und Locke, der verhangene Blick, der zugleich wehleidige und rohe Mund, die sture Stirn, ja sogar die anstößige Nase. Es war alles dasselbe! … Schicklgruber, bei dir langt es höchstens zum Lustmord.« (Klaus Mann: Der Wendepunkt . 1930–1932, S. 349)
»Die besetzten Ostgebiete werden judenfrei. Die Durchführung dieses sehr schweren Befehls hat der Führer auf meine Schultern gelegt.« (Heinrich Himmler am 28. Juli 1942 – In: Peter Longerich 08, S. 933, Anm. 87) »Die Vorstellung bleibt hartnäckig, dass Hitler ein tief verborgenes, ihn beunruhigendes sexuelles Geheimnis hatte, das seine ansonsten unerklärliche Pathologie erklärt. Sogar der vorsichtige Alan Bullock erzählte mir, dass er glaube, dass da wahrscheinlich etwas Sexuelles in Hitlers Antisemitismus lag – ein verlorenes Echo auf Wilhelm Reichs Glaube: Der Ursprung des Bösen kann im Versagen einer ›normalen‹ orgastischen Reaktion gefunden werden.« (Ron Rosenbaum Explaining Hitler: The Search for the Origin of his Evil . 98, S. 135, 151)
«Die sexuelle Erregung ist in der Tat zerstörerisch und quälend, wenn die Entspannung nicht zugelassen ist. – Es ist aus Behandlungen kranker Priester bekannt, dass am Höhepunkt religiös extatischer Zustände unwillkürliche Samenentleerungen sehr häufig vorkommen. Die normale orgastische Befriedigung ist ersetzt durch einen allgemeinen körperlichen Erregungszustand, der das Genitale ausschliesst und der gegen den Willen, wie zufällig, Teilentspannung herbeiführt. Man kann den faschistischen Amokläufer nicht unschädlich machen, wenn man ihn, je nach politischer Konjunktur, nur im Deutschen oder Italienischen und nicht auch im Amerikanischen und Chinesischen sucht, wenn man ihn nicht in sich selbst aufspürt.« (Wilhelm Reich: Die Massenpsychologie des Faschismus . 1986, S. 15, 143)
3Direktiv-delegierender Serienkiller Hitler 2 1930er
4Praktizierender Serienkiller Fritz Haarmann 1920er
Introduktion – »Induziertes Irresein«
»Der Psychiater kennt eine Form der geistigen Erkrankung, die als induziertes Irresein bezeichnet wird. Es handelt sich dabei darum, dass ein psychisch Kranker seine Umgebung mit seinen Wahnbildungen so beeinflusst, dass sie selbst dem Wahne verfällt.
Die Aufgabe ist in einem solchen Falle im Interesse der Therapie zunächst, den primär Erkrankten festzustellen, was keineswegs immer ganz einfach ist wegen der oft weitgehenden Identität der Wahnidee und der Übereinstimmung des Affektes.
Weiterhin sind die Besonderheiten der Psyche, die die Übernahme des Wahns verursacht haben, bei beiden Beteiligten zu klären. Es zeigt sich dabei, dass es sich bei dem Übertragenden meist um stark affektbetonte Vorstellungskomplexe handelt, die mit großer Überzeugungskraft vorgetragen werden, und dass für den Inhalt bei dem Induzierten ein für die Suggestion empfänglicher Boden vorliegt.
Es ist nun kein Zweifel, dass sich auch im Leben von Völkern – vor allem in revolutionären Zeiten – Erscheinungen finden, die in ihrem psychischen Mechanismus diesem Vorgang beim Einzelindividuum entsprechen.
Auch bei einer solchen, weite Volkskreise erfassenden psychischen Masseninfektion hat sich die Untersuchung auf die beiden Seiten zu erstrecken – die aktive führende Persönlichkeit und die psychische Zusammensetzung der geführten Masse.«
Die Sätze des Einleitungszitats schrieb 1947 der 79-jährige Karl Bonhoeffer. Er war von 1912 bis 1938 Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie und Neurologie an der Berliner Universität und Direktor der psychiatrischen und Nervenklinik der Charité .
Zwei Jahre zuvor, am 9. April 1945, hatte Bonhoeffer seinen Sohn Dietrich verloren und am 23. April seinen Sohn Klaus, die wegen Widerstandes gegen die Naziherrschaft hingerichtet worden waren – wenige Wochen und Tage vor dem Selbstmord Adolf Hitlers und damit der Beendigung des zwölf Jahre anhaltenden Staatsterrors.
Karl Bonhoeffers klinisches Resumee zur Hitler-Diktatur wurde zu Lebzeiten des Psychiaters nicht gedruckt. Er starb 80-jährig 1948. Seine Schüler Heinrich Scheller, Erwin Straus und Jürg Zutt publizierten den Bonhoeffer-Text erst 22 Jahre später in ihrem Buch zu Ehren von Bonhoeffers 100. Geburtstag. (Bonhoeffer , S. 108 ff.)
Beide Beteiligte in den zwölf Jahren Massenmordzeit, der Wahn-Produzent Adolf Hitler und die Mehrheit der Wahn-korrespondierenden Deutschen, wurden in den vergangenen 70 Jahren nach dem Ende des induzierten Irreseins von »Führer« und Volk weltweit ausgiebigen Forschungen unterzogen.
Die Forschung über die Wahn-Mitschwingenden, die »Induzierten«, kann im Wesentlichen als abgeschlossen angesehen werden. Von Adornos Autoritärer Persönlichkeit über Arendts Eichmann in Jerusalem , Brownings Ganz normale Männer , Kershaws Hitler-Mythos / Hitlers Macht , Goldhagens Willige Vollstrecker , Matussek/Marbachs Hitler – Karriere eines Wahns , Herbsts Hitlers Charisma , Pauls Die Täter der Shoah , Saul Friedländers Das Dritte Reich und die Juden bis zu Welzers Täter: Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden ist das Verhalten der »namenlos« untersten Wahn-Vollziehenden analysiert, seziert und schlüssig summiert worden: Männerbünde wüteten im Destruktions-Delirium.
Auch konnten die oberen Etagen, die namentlich hervorgetretenen »Hände« und »Füße« des Mordkopfes Adolf Hitler, mit einer Vielzahl von oft pro Täter verschiedenen Biografien entschlüsselt werden. So erging es den Görings, Goebbels’, Heydrichs, Himmlers, Speers …
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