1 ...7 8 9 11 12 13 ...32 Verdrossen greift der Leutnant zum Hörer.
„Ich habe ein schlechtes Gewissen“, sagt Vera. „Ich konnte Sie gestern nicht mehr erreichen. Ich hatte eine dringende Verabredung. Bitte, seien Sie nicht böse.“
„Können Sie gleich hierherkommen?“
„Gibt es etwas Neues?“
„Kommen Sie, sobald es geht“, erwidert der Leutnant knapp.
Vera schafft es in einer Viertelstunde. Der eilige Marsch hat ihr Gesicht gerötet. Sie sieht frisch aus. Ihre Augen sind klar und unbefangen. Sie trägt eine lange Flauschjacke zum dunkelgrauen, hautengen Rock. Sie wirkt natürlich wie immer. Nicht eine Spur verlegen.
„Was war denn hier los?“ fragt sie verdutzt.
„Setzen Sie sich“, erwidert der Leutnant. „Passen Sie auf, Vera“, fährt er fort, „ich will nicht lange um die Sache herumreden. Heute nacht ist hier eingebrochen worden. Die Täter haben ausgerechnet die Akten Ihres Bruders mitgenommen.“ Der Leutnant geht mit großen Schritten im Zimmer hin und her, bleibt stehen, betrachtet Vera ausgiebig.
„Und nun habe ich eine Frage an Sie: Haben Sie … haben Sie mit der Geschichte etwas zu tun?“
„Nein. Bestimmt nicht“, antwortet Vera fest.
„Hören Sie zu, Vera. Ich könnte es vielleicht verstehen. Es wäre eine Dummheit gewesen. Aber die Sorge um Ihren Bruder … Ich muß es genau wissen. Verstehen Sie mich?“
„Ja“, entgegnet das Mädchen, „das verstehe ich. Und ich sage Ihnen ganz genau, ich habe nichts mit dieser Geschichte zu tun.“
„Wo waren Sie gestern?“
„In einem Soldatenclub.“
„Mit wem?“
Vera zögert.
„Mit wem waren Sie im Soldatenclub?“ fragt Leutnant Morris noch einmal.
„Mit einem Amerikaner … Mit Leutnant Tebster von der CIC.“
„Und deswegen haben Sie mich versetzt?“
„Ich beginne es zu bereuen“, erwidert Vera. Sie lächelt, verzieht den Mund ein bißchen dabei, als ob sie sich über sich selbst lustig machen wollte.
„Es hat nicht lang gedauert“, fährt sie fort. „Nun, machen Sie nicht auf böse, Henry. Es ging nur um meinen Bruder.“
„Es geht immer nur um Ihren Bruder“, erwidert Morris kalt. „Wie heißt Ihr neuer Freund?“
„Tebster.“
Der Leutnant nimmt den Hörer, läßt sich mit der CIC verbinden und erreicht beim dritten Versuch den Offizier.
Tebster verspricht, sofort zu kommen.
„Werden Sie mich das nächste Mal wieder versetzen?“
„Nein. Ich will es nicht endgültig mit Ihnen verderben“, entgegnet Vera.
Sie berichtet, wie sie mitten auf der Straße in einen Wagen „gebeten“ und zur CIC gefahren wurde, daß sie dann im Gebäude des amerikanischen Geheimdienstes Tebster kennenlernte und ihre Chance gleich wahrnahm.
„Ich habe auch eine Neuigkeit für Sie“, unterbricht sie Morris, „der Colonel ist heute nach Schwäbisch-Hall gefahren. Wenn er zurückkommt, hat er mit Ihrem Bruder bereits gesprochen.“
In diesem Augenblick reißt Leutnant Tebster ungestüm die Tür auf. Er begrüßt Vera, betrachtet sich die Unordnung, schüttelt den Kopf.
„Anfänger“, sagt er, „wenn die Burschen wieder aufgeräumt hätten, wären Sie vermutlich nicht gleich daraufgekommen, was fehlt. Stimmt’s?“
„Natürlich“, erwidert Morris.
„Haben Sie einen Verdacht?“
„Den habe ich.“ Er deutet auf Vera. „Hier, unsere nette, junge Freundin.“
„Nonsens“, entgegnet Tebster. „Oder haben Sie es getan?“ fragt er Vera.
„Nein.“
„Oder tun lassen?“
„Nein.“
Tebster zündet sich eine Zigarette an, läßt sich auf einen Stuhl fallen, schlägt die Beine übereinander.
„Vera lügt nicht“, sagt er zu Morris.
Morris nickt.
„Na, ist ja alles in bester Ordnung. Ich werde mal bei meiner Dienststelle etwas Wirbel machen. Mal sehen, wer hier Akten klaut.“
„Wer hat eigentlich Vera bei Ihnen angezeigt?“ fragt Morris.
Der Leutnant zuckt mit den Schultern.
„Anonym“, erwidert er dann. Über sein Gesicht streicht der Schatten des Ekels.
„Anonym auch für Sie?“
„Mal sehen“, antwortet der Leutnant.
Die beiden jungen Offiziere haben in diesem Augenblick den gleichen Gedanken: wenn nun Amerikaner hinter der Sache stünden? Wenn eine bestimmte amerikanische Dienststelle Wert darauf legte, ein bestimmtes Schriftstück verschwinden zu lassen … ausgerechnet jetzt, da der Malmedy-Prozeß in wenigen Tagen anlaufen wird?
„Was war denn eigentlich in den Akten?“ fragt Leutnant Tebster.
„Geständnisse … das Übliche.“
„Und sonst nichts?“
„Doch. Ein Brief des Angeklagten an seine Schwester, der uns eigentlich erst auf die ganze Sache gebracht hat. Vorwürfe gegen die Methoden der Untersuchung. Es war schon der zweite Brief, der aus der Zelle geschmuggelt worden war.“ Leutnant Morris richtet sich auf. „Keine schönen Vorwürfe“, sagt er, „wenn sie stimmen, kann der Ankläger etwas erleben.“
Tebster nickt zerstreut, steht auf.
„Gehen wir frühstücken?“ sagt er abrupt. „Kommen Sie mit, Vera?“
Sie antwortet mit einem Lächeln.
Sie gehen zu dritt. Vera in der Mitte, Vera zwischen zwei jungen, sympathischen Männern, die die gleiche Uniform tragen und die gleichen Gefühle für sie haben. Aber diese Gefühle bleiben im Schatten des Falles Malmedy stecken. Drei Menschen werden sich Tag und Nacht den Kopf zerbrechen, wie sie das Netz von Mord, Lüge, Betrug und Verbrechen aufrollen können.
Indessen aber wird ein junger, unschuldiger Mensch namens Werner Eckstadt auf den Henker warten …
„Ich kann Ihnen nicht viel sagen“, beginnt der Major, „ich bin erst seit einer Woche hier. Mein Vorgänger ist bereits in den Staaten.“
Evans nickt.
„Der Betrieb hier ist korrekt. Die Häftlinge erhalten anständiges Essen, werden zweimal täglich an die frische Luft geführt und dürfen lesen. Wir sind kein KZ.“
Wiederum nickt der Colonel.
„Die Strafanstalt ist mit 468 Insassen besetzt … Die Gefängnisverwaltung hat mit der Untersuchung nichts zu tun. Die einzelnen Untersuchungskommissionen rufen die Leute auf, sie werden in eigenen Vernehmungszimmern zusammengebracht.
„Und Sie haben nie Unregelmäßigkeiten festgestellt?“ unterbricht ihn der Oberst.
„Wissen Sie“, erwidert er, „ich bin ja auch in den USA in der Gefängnisverwaltung tätig. Eine Strafanstalt ist schließlich kein Sanatorium. Immer werden die Häftlinge behaupten, daß sie mißhandelt worden sind. Ich habe es mir abgewöhnt, diese … Aussagen wörtlich zu nehmen.“
„Ich bin Rechtsanwalt“, antwortet Evans, „Sie brauchen mir das nicht zu erklären … Es handelt sich auch nicht um gewöhnliche Mißhandlungen.“ Der Oberst steht auf, geht im Zimmer hin und her. „Wenn es stimmt, was man mir sagte“, fährt er fort, „dann wurden hier, in Ihrer Anstalt, die größten Scheußlichkeiten verübt, die sich je eine amerikanische Untersuchungskommission zuschulden kommen ließ.“
„Sprechen Sie mit den Leuten“, versetzt Wheeler betroffen.
„Gut“, erwidert der Colonel, „zunächst hätte ich gern den Häftling Eckstadt. Werner Eckstadt.“
Der Major drückt auf einen Klingelknopf auf seinem Schreibtisch. Ein Sergeant tritt ohne Eile ein. Wheeler hat den Namen auf einen Zettel geschrieben und übergibt ihn dem Unteroffizier.
„Diesen Mann will ich haben“, sagt er, „sobald wie möglich.“ Er wendet sich wieder dem Colonel zu: „Man soll sich mit diesen verdammten Krauts nicht einlassen. Die meisten lügen, und die nicht lügen, sagen nur die halbe Wahrheit … Oder haben Sie schon einmal einen getroffen, der zu seinem Verbrechen stand?“
„Nein“, entgegnet der Colonel ruhig. „Aber schließlich … alle Deutschen können keine Verbrecher gewesen sein.“
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