Abends denke ich noch viel über diesen Einsatz nach. Bei all dem, was ich im Glauben verstanden habe, ist doch so wenig in meinem Herzen gelandet. Ob ich wirklich der Richtige in diesem Dienst als Prediger bin? Braucht es nicht Menschen, die sich nicht ständig selbst hinterfragen, um diese Aufgabe gut zu erledigen? Ist mein Zweifel nicht auch ein Zeichen, dass ich aus dem Dienst aussteigen sollte? Ist es für den Job in der Verkündigung nicht elementar wichtig, dass man einen auf die Bibel gegründeten, theologisch nicht hinterfragbaren Kanon hat? Bei mir ist ständig etwas im Wandel. Ich weiß nicht, ob ich morgen das noch glauben kann, was heute meinen Glauben definiert. Diese ständige Ungewissheit macht mich krank. Vielleicht führt mein Weg eher aus dem Dienst heraus als in den Dienst hinein. Vielleicht werde ich in absehbarer Zeit aufhören zu predigen und Texte über den Glauben und das Christentum zu schreiben. Die Angst ist unerträglich und vermiest mir den Dienst ganz und gar. Solange ich diese Fessel um meinen Hals habe, macht mir das Predigen keine Freude. Vermutlich brauche ich auch eine Auszeit. Ob ich dann jemals wieder zurückkommen werde, ich weiß es nicht.
WAS ICH VON DIESER REISE MITGENOMMEN HABE
Ich will mir merken, dass äußere Gegebenheiten nicht über mein Selbstwertgefühl entscheiden können. Dieser Gott hat mich so angenommen, wie ich bin, darüber predige ich und das gilt natürlich auch für mich. Dass meine Angst vollkommen unbegründet war, ist nichts Neues. Aber ich muss lernen, nicht zu sehr auf die Reaktionen der Zuschauer achtzugeben, sondern mehr in meinem eigenen Gedankenfluss bleiben. Dass ich mit Lampenfieber in der Kirche zu kämpfen habe, wusste ich bereits. Aber dass es auch ein Problem in der Schule werden kann, musste ich bei meinem nächsten Einsatz in Schneeberg ganz hart erleben.
Nachtrag: Einen Tag nach meinem Einsatz in Essen erzählt mir der Veranstalter, dass die Jugendlichen, die den Gottesdienst vorzeitig verlassen hatten, aus einer stationären Jugendeinrichtung kamen. Diese liegt fünfzig Kilometer entfernt, sodass sie den letzten Bus erwischen mussten, um einigermaßen rechtzeitig nach Hause zu kommen. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt so lange geblieben sind.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ] INHALT Über den Autor PROLOG: Hallo Angst! 1 CHEMNITZ November 2008 2 ESSEN November 2009 3 SCHNEEBERG Juni 2012 4 KENIA Juni 1998 5 WACKEN August 2014 6 NÜRNBERG Juli 2006 7 KÖLN August 2006 8 DÜREN Oktober 2011 9 DRESDEN Mai 2017 10 DENVER, USA Oktober 1985 11 ADELSHOFEN Oktober 2017 12 HAMBURG Mai 2016 13 KÖLN UND MÜNCHEN November 2014 14 OELSNITZ Juni 2019 15 DEUTSCHLAND-TOUR MIT ARNE KOPFERMANN März 2017 16 OFTRINGEN, SCHWEIZ November 2019 EPILOG ANMERKUNGEN
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SCHNEEBERG
Juni 2012
Angst auf einem Schuleinsatz in Schneeberg, ein Tagesseminar mit der Jugend und wie ich dem Satan übergeben wurde
Die Zugfahrt nach Schneeberg ist mal wieder ein Genuss. Grüne Landschaften, wunderschöne Waldstücke, bis man endlich die ersten Gipfel vom Erzgebirge erkennen kann. Ich freue mich schon sehr auf die Zeit bei den alten Freunden. Die freie evangelische Gemeinde Schneeberg lädt mich nun schon über einige Jahre immer Ende Januar für ein ganzes Wochenende ein. Ich weiß gar nicht mehr, wie der erste Kontakt zustande kam. Aber mittlerweile habe ich das Gefühl, es ist so, als käme ich nach Hause. In all den Jahren sind richtiggehend tiefe Freundschaften entstanden. Ein wenig hat mich die Gemeinde adoptiert und umgekehrt auch ich die Gemeinde. Die drei Tage in Sachsen sind jedes Mal sehr intensiv. Meist fangen wir bereits am Freitag mit einer Veranstaltung in der Schule an, abends gibt es ein Treffen mit den Leitern der Jugend. Samstag wird ein Tagesseminar angesetzt mit einem überregionalen großen Abschlussgottesdienst in der Kirche. Und Sonntagmorgen darf ich zum Abschluss noch einmal im Gottesdienst der Erwachsenen der Gemeinde predigen. Meine Veranstaltungen in Schulen haben immer mit meiner Volxbibel zu tun, die ich Anfang des neuen Jahrtausends schreiben durfte. Damals arbeitete ich in einem städtischen Jugendzentrum, und mir fiel auf, dass viele biblische Begriffe für junge Menschen eine vollkommen andere Bedeutung bekommen hatten. Sünde war etwas Positives geworden, der Heilige Geist ein anderes Wort für Schnaps und bei den Zehn Geboten gab es Assoziationen zur Straßenverkehrsordnung. Darum habe ich versucht, die ganze Bibel in einer Art Straßensprache zu übertragen, mit Worten und Bildern aus der heutigen Zeit. Mein Bibelbuch wurde von konservativen Kreisen damals stark kritisiert, war aber auf der anderen Seite ein richtig großer Verkaufshit. Es landete sogar in der säkularen Bestsellerliste unter den Top 20.
Der Pastor hat die Kirche in Schneeberg nicht selbst gegründet, er kam erst später dazu. Dennoch steckt er mit seinem ganzen Herzen mitten in der Arbeit.
Endlich kommt mein Zug am Bahnhof an und der Pastor begrüßt mich wie immer sehr herzlich. Seine Kinder hatten zufällig schon in jungen Jahren Kontakt mit den »Jesus Freaks«, daher gibt es schnell ein gutes Einstiegsthema. Für ihn ist es eine positive Entwicklung, dass seine Kinder mit meinem geistlichen Werk zu tun haben. Schon bei einem unserem ersten Zusammentreffen vor vielen Jahren erzählte er mir, dass nach seiner Einschätzung die Töchter wohl nichts mehr mit dem Glauben an Gott zu tun haben würden, wenn es nicht die »Jesus Freaks« gegeben hätte. Das finde ich schön.
Nach einer längeren Fahrt kommen wir in der Mittelschule in Schneeberg an. Die Lehrerin wartet schon vor dem Eingang auf uns. »Guten Tag, Herr Dreyer, schön, dass Sie da sind!« Ich grüße zurück.
Um ehrlich zu sein, fallen mir solche Schuleinsätze immer sehr schwer. Ich habe damit einmal eine sehr schlechte Erfahrung gemacht. Schüler sind ab einem gewissen Alter unberechenbar. Eine Schulstunde über die Volxbibel kann eine wunderbare Sache sein. Sie kann sich aber auch zu einer absoluten Horrorveranstaltung entwickeln, zumindest für den Pädagogen, also für mich.
Vor Jahren sollte ich einmal in einer Kölner Gesamtschule die Volxbibel als Projekt vorstellen. Vor den drei elften Klassen lief es noch hervorragend. Die Schüler stellten die richtigen Fragen, ich war locker und entspannt, die Sitzung war ein voller Erfolg. Dann kamen drei zehnte Klassen und hier lief es sogar noch etwas besser. Am Ende der Unterrichtsstunde hob ein junges Mädchen die Hand und fragte: »Sagen Sie, so wie Sie über diesen Jesus reden, hat man das Gefühl, Sie glauben wirklich, dass es den gibt, oder?« Was für eine Steilvorlage. »Ja, natürlich glaube ich das!«, antwortete ich freudestrahlend. »Ich habe vorhin noch mit ihm gesprochen!« Anschließend konnte ich ausführlich das Evangelium erklären und die staunenden Schüler hörten mir dabei aufmerksam zu.
Aber dann kamen die neunten Klassen. Und das war der reine Horror. Bereits nach fünf Minuten spürte ich eine große Unruhe im hinteren Teil des Raumes. Dort saßen vier Jugendliche, die sich aus meiner Lesung einen Spaß machen wollten. Ich war pädagogisch vollkommen überfordert. Mit allem hatte ich gerechnet, auf alles war ich vorbereitet, aber nicht darauf, verlacht zu werden. Die vier hoben nacheinander immer zu einem falschen Zeitpunkt die Hände und stellten nicht ernst gemeinte Fragen, die mich vollkommen aus der Fassung brachten. »Würde Jesus auch Fußball spielen?« Oder: »Was für Kleidung trug Jesus?« Das waren noch die leichter zu beantwortenden Fragen.
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