Der Drei-Sterne-General saß in einer Hängeschaukel unter einer dichtgewachsenen Linde im parkähnlichen Garten einer beschlagnahmten Industriellen-Villa in Solln bei München. Er schlenkerte mit den Beinen, und noch im Schatten glänzte sein Helm, überzogen mit mindestens 17 Goldschichten eines Lacks, der eigens für ihn aus den Staaten eingeflogen werden mußte. George S. Patton besaß drei solcher Helme, von denen zwei jeweils in Behandlung waren. Den Kampfanzug hatte Amerikas Panzer-Held Nummer eins mit ledernen Reithosen und zwei gewaltigen ziselierten Texas-Pistolen vertauscht. Er nannte seine Aufmachung selbst »a little fancy dress« und meinte, daß sie seine Autorität fördern würde. Er hätte in dieser Phantasieuniform ohne weiteres am Rosenmontagszug in Köln teilnehmen können, doch am Rhein, den er im Vorfrühling an der Spitze seiner Truppen beim Lorelei-Felsen mit Bravour übersprungen hatte, war beim Kehraus des Tausendjährigen Reiches an Karneval nicht zu denken.
Der Befehlshaber der 3. US-Armee und Hochkommissar von Bayern war überraschend in Bad Tölz abgefahren und in München eingetroffen. Es gehörte zu seinen Spezialitäten, unerwartet aufzutauchen, um seine Offiziere auf Trab zu halten. Für 15 Uhr hatte er eine Besprechung im Garten der Villa im südlichen Stadtteil Münchens angesetzt, die für Colonel Craig W. Rigby vom Counter Intelligence Corps (CIC) requiriert worden war.
Der Intimus des Generals, ein Spitzenmann des Geheimdienstes, war hochgewachsen. Er hatte ein junges Gesicht und graue, kurzgeschnittene Haare. Er war soeben nach einem Blitzbesuch mit dem Helikopter aus dem neuen Zonengrenzgebiet nach München zurückgeflogen und erst vor einer halben Stunde angekommen.
»It was terrible, George«, berichtete er. »Wirklich zum Knochenkotzen. Ich habe es bei Hof erlebt und dann in der Nähe von Coburg: Weinende Frauen, schreiende Kinder, alte Männer, kurz vor dem Zusammenbrechen. Sie trugen Koffer, Rucksäcke oder zogen ihre gesamte Habe in Handwagen hinter sich her oder schleppten sie auf dem Fahrrad mit. Sie versuchten, mit den US-Einheiten nach Bayern weiterzukommen, und die Angst vor den Russen saß ihnen im Nacken. Unsere Boys mußten brutal gegen sie vorgehen, gegen Leute, mit denen sie sich zum Teil längst angefreundet hatten, oder gegen die eigenen Girlfriends. Du weißt ja, George, daß dieses Fraternisierungs-Verbot hinten und vorne nicht klappt. What a shitty time in which we ’re living.«
»Was für eine beschissene Politik, die wir machen«, erwiderte Patton gereizt. »Die Sowjets rüsten auf, wir rüsten ab. Sie verstärken fortgesetzt ihre Kräfte in Mitteleuropa, wir wollen unsere Leute nach Hause schicken. Unser Land hat 280 Milliarden Dollar für den Sieg ausgegeben – und das fliegt uns jetzt um die Ohren. Stalin spuckt uns bei jeder Gelegenheit ins Gesicht. Wir sind mit dem braunen Halunken fertiggeworden und haben dafür jetzt den roten Schurken am Hals. Roosevelts lieben ›Uncle Joe‹, den neuen Adolf Hitler.«
»Don’t be such a pessimist«, versuchte Colonel Rigby seinen Freund zu bremsen, obgleich er Pattons Meinung weitgehend teilte.
»A pessimist?« konterte der General mit den schmalen Augen, die schlau blinzeln und in der nächsten Sekunde zornig blitzen konnten. »Wir haben den Sowjets den Balkan überlassen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien. Wir haben ihnen die Tschechoslowakei und Polen ausgeliefert. Sie haben sich Estland, Lettland und Litauen unter den blutigen Nagel gerissen. Sie stehen in Berlin und in Wien.« Patton hatte einen mächtigen Schädel, eine kräftige Nase und volle Lippen. Wiewohl der ›Lucky Forward‹ des Zweiten Weltkrieges, Amerikas berühmtester General, über einsachtzig groß war, wirkte er stämmig, fast ein wenig korpulent. Offensichtlich war er nicht nur ein Eisenfresser, sondern auch ein Feinschmecker. »Wir sind mit den Japsen noch nicht ganz fertig, da braut sich hier schon eine neue Konfrontation –«
Er sah den GI, der aus dem Haus kam, und brach ab.
Der Soldat grüßte militärisch exakt.
Der CIC-Colonel nahm die Meldung entgegen.
»Just a moment, George«, entschuldigte er sich, ging ins Haus und ließ den Haudegen mit seinem Zorn allein.
Der General war nicht nur verbal mit den von ihm als ›Red Bastards‹ Titulierten aneinandergeraten. Schon während des Frankreich-Feldzugs war er zwischen die Schlagzeilen der Weltpresse geraten, als er festgestellt hatte, daß der Lohn des Sieges über Hitler den Amerikanern und Engländern zufallen müsse. Nach dem großdeutschen Zusammenbruch erfuhr der alte Kavallerie-Offizier, daß die Russen in Österreich die Lipizzaner-Pferde erbeutet hätten. Unverzüglich entführte er in einer Kommando-Aktion seiner Panzer die wertvollen Tiere aus dem sowjetischen Machtbereich nach Piper in der Steiermark. Die berühmten Schimmel der spanischen hofreitschulefielen dem Westen zu.
Patton hatte eine Bilderbuch-Karriere durchlaufen, er war erstmals bei der Landung in Nordafrika aufgetaucht, dann in Sizilien, wo er in zehn Tagen von der Südspitze bis Palermo durchgestoßen war. Dort, im Lazarett Holi, ohrfeigte er GIs, deren Nerven versagten, was einen Milhonen-Aufschrei amerikanischer Mütter auslöste. Patton wurde nach England verbannt, wo er tatenlos und verärgert herumsitzen mußte.
Für die Invasion 1944 erhielt George S. Patton zunächst kein Kommando, er war nur als eine Art Pappkamerad eingesetzt, als Lockvogel für die deutsche Spionage. Er mußte sich bei Paraden und Aufmärschen auf der Insel zeigen, um die Deutschen zu bluffen. Tatsächlich hatte man in der Wolfsschanze angenommen, daß keine Landung in Frankreich bevorstünde, solange der erfolgreichste und bissigste US-General vor Teegesellschaften und Kaffeekränzchen patriotische Reden hielt.
Patton blieb der ›Underdog of Overlord‹, bis es an den alliierten Brückenköpfen kritisch wurde. Dann erst schickte Eisenhower den strafversetzten Rehabilitierten auf den Kontinent, aber unter der Bedingung, bei jedem Tobsuchtsanfall erst bis zehn zu zählen, bevor er explodierte. Doch noch ehe die Strategen auf der Insel bis drei gezählt hatten, war ›Lucky Forward‹, wie ihn seine Soldaten nannten, der Panzerdurchbruch bei Avranches geglückt, der praktisch die Entscheidung in Frankreich vorwegnahm. Patton raste im Siegeszug durch Frankreich, schlug als erster Hitlers verzweifelte Weihnachtsoffensive zurück, war auch als erster US-General auf dem rechten Rheinufer und rollte gleich durch bis Eger und dann weiter im stürmischen Vormarsch nach Prag und am liebsten gleich bis Moskau. Der Haudegen hatte vor allen anderen begriffen, daß ›Uncle Joe‹ Amerikas neuer Feind werden würde.
Vorgesetzte, die noch lange nicht soweit waren – aber bald soweit wären –, pfiffen den Hitzkopf nach Bayern zurück, wo er, vergöttert von seinen Soldaten, gefürchtet bei seinem Oberkommando, wie eine Art Sonnenkönig regierte, freilich mit einem kommunistischen deutschen Entnazifizierungs-Minister, den er befehlsgemäß einsetzen mußte; ein General, der es selbst Pazifisten schwermachte, ihn kritisch zu beurteilen. Die Frage stellte sich freilich, wie ein Panzer-Held, immer an der Spitze, immer da, wo es am mulmigsten ist, ein Amerikaner, dem man eine heimliche Bewunderung deutscher Soldatenleistungen nachsagte, die Besetzten vom Militarismus kurieren sollte.
»Da ist diese newsweek-Reporterin schon wieder, George«, sagte Colonel Rigby, der Gastgeber, nach seiner Rückkehr in den Garten. »Sie behauptet, dein Presse-Offizier hätte ihr versprochen, du würdest dich heute von ihr fotografieren lassen.«
»Dear me«, erwiderte Patton. »Ist sie wenigstens häßlich?«
»Hübsch«, entgegnete der Intelligence-Offizier und sein besonderer Vertrauter. »Bildhübsch, sogar. Eine kühle Neu-Engländerin, an die fünfundzwanzig, genau das, was mir der Arzt verschreiben sollte.«
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