Noch einmal drückte sie die Feder auf, und das Mädchengesicht auf der Elfenbeinplatte sah sie mit seinen halb stolzen, halb melancholischen Augen an. Lächelnd schob sie die schmale Kapsel tief in das Herz des Straußes, und die Zittergräser schlugen harmlos darüber zusammen – sie wußten ja nicht, daß der Schluß einer weiten Umkehrstrecke, das Reuebekenntnis eines in all seinen Tiefen gewandelten weiblichen Herzens zwischen ihnen ruhe – – –
Das war nach Wunsch ausgefallen – ihr strahlender Blick glitt befriedigt über das Tischchen; – und nun ging sie umher und bückte sich, um da ein Pantherfell näher und bequemer an den Lehnstuhl zu rücken, dort einen, vermutlich am Kleidersaum hereingetragenen feinen Holzsplitter von der blanken Fußbodenmosaik zu nehmen, und bei diesem Bücken fiel ihr die gelöste Flechte vornüber. Sie hob den Arm, um sie festzustecken –
»Mein süßes Weib, wie entzückst du mich!« scholl es plötzlich in hervorbrechender Leidenschaft durch das Atelier.
Sie stieß einen Schrei aus und taumelte, aber schon fühlte sie sich innig umschlungen, und braungebrannt von Luft und Sonne, aber tiefgeistigen Ausdruck in jeder seiner unregelmäßigen Linien, beugte sich das Gesicht mit der eckigen Stirn über sie, und die blauglänzenden Augen tauchten beseligt in die ihren... Ihrer nicht mehr mächtig, schlang sie die Arme um seinen Hals und ließ es geschehen, daß er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte.
Dann aber strebte sie zu entfliehen. »Böser Mann!« schalt sie, »das ist eine unerlaubte Überrumpelung! – Im ersten Schrecken –«
»Im ersten Schrecken, Mercedes?« fragte er, ohne sie freizugeben. »Im ersten Schrecken bist du mein geworden?« Er lachte. Wie klang das voll und frisch und herzbezwingend von den Wänden! »Verlangst du ernstlich, daß ich in aller Form das ausspreche, was wir längst zwischen den Zeilen unserer Briefe gelesen haben?«
»Nein, das sollst du nicht! Ich weiß, daß du mich liebst mit deutscher Innigkeit und Treue,« sagte sie tiefernst, und das Feuer ihres Blickes milderte sich zu jenem sanften Licht, welches die Hingebung des Weibes so unwiderstehlich bekundet.
»Mercedes!« – Er zog sie erschüttert tiefer in das leuchtende Viereck, welches das Oberfenster hereinwarf. »Laß sehen – du bist es nicht, die mir einst tolle Liebesleidenschaft und Haß und Abscheu zugleich eingeflößt hat, die Frau, die Engel und Teufel in ihrem unbegreiflichen Wesen vereinigte, die schlimme Worte mit todbringenden Blicken aussprechen konnte –«
»Still! – Ich sagte und tat gar vieles einzig und allein aus Trotz, aus Notwehr gegen den siegreichen, abscheulichen, ›fischblütigen‹ Germanen!« – Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.
»O, meine arme, geblendete Madonna!« rief er lächelnd mit einer Wendung nach dem Schranke, in welchem er einst das zusammengerollte Ölbild verschlossen hatte. »Nun sind die Augen doch wahr gewesen!«
Sie sah ihm erstaunt in das Gesicht.
»Ja, deine Augen, Mercedes. Das kleine Bild auf der Elfenbeinplatte...« – jetzt huschte ihr Blick verstohlen nach dem Feldblumenstrauß – »o, ich weiß schon, wo ich mir mein Eigentum wieder zu holen habe!« unterbrach er sich lachend. »Zuerst sah ich dich vom Glashause aus über die Wiesen schreiten und Blumen pflücken. Dann kamst du dort die Treppe herab, während ich mich hinter den großen chinesischen Schirm geflüchtet hatte und fürchtete, mein lautpochendes Herz würde mich verraten. Ich sah, wie du mitleidig lächelnd in das Gesicht der Dreizehnjährigen blicktest – und doch sind es diese tiefen Kinderaugen, die du auf manchen meiner besten Bilder wiederfinden wirst – sie erstanden immer wieder unter meiner Hand, ob ich wollte oder nicht... Aber da kamst du eines Tages selbst, in der ersten Stunde meine Seele bezwingend, wie Satanelle, wie eine »Teufelinne« – ich haßte und vergötterte die eisigblickenden Flammenaugen zugleich, und im auflodernden Zorne verlöschte ich sie in dem Madonnengesicht... Und jetzt halte ich die spöttische Sphinx an meinem Herzen – beseligende Wandlung! Sie will mein sein in sanfter Hingebung – ob aber auch in allem, Mercedes?«
Er ließ plötzlich die Arme sinken und trat unter einem tiefen Atemzug von ihr weg. »Das muß erst noch gesagt werden – ich kann mir nicht helfen! ... Du wohnst in einem Zauberschloß, schwimmst in feenhaftem Luxus und bist gewohnt, mit vollen Händen dein Gold in die Welt zu streuen. So tief und wahr, so heiß ich dich liebe – Eines müßte uns scheiden: sofern du gewillt bist, in diesem einen Punkt Donna de Valmaseda zu bleiben –«
»Du irrst,« unterbrach sie ihn mit sanftem Lächeln und ergriff seine Hand. »Ich werde kein anderes Brot essen als das meines Eheherrn, und nur die Kleider tragen, die er mir gibt. Dafür will ich die fürsorgende Hausfrau des Schillingshofes sein, die selbst tätig ist, um das Heim nach deinem Sinn behaglich zu gestalten – frage die gute Birkner, ob ich nicht bereits ein wenig Begabung dafür gezeigt habe! ... Aber freilich in einem Punkt will ich auch höher hinaus, Arnold! Ich möchte auch die Künstlerfrau sein, die hier zu jeder Stunde Zutritt hat, mit der du über deine Ideen und Entwürfe sprichst – bin ich einmal die Frau eines berühmten Mannes, dann muß ich mir auch mit gerechtem Stolze sagen dürfen, daß ich auch geistig neben ihm auf seiner Bahn schreite –«
Weiter kam sie nicht. Mit einem wahren Aufjauchzen zog er sie wieder an sich und verschloß ihr den Mund.
»Gehen wir jetzt in unser künftiges Heim!« sagte er. »Ich bin heute in aller Morgenfrühe angekommen und habe längst gesehen, wie du mich und mein Wesen aus meinen Briefen verstanden hast.«
Er schloß das Glashaus auf, und sie traten hinaus in den Garten und schritten durch die Platanenallee, die schon auf so viel wechselndes Glück und Leid herabgesehen ... Und sie sprachen von José und Paula, von der Majorin und Lucile – und in diese Mitteilungen hinein sagte Donna Mercedes mit strahlenden Augen: »Aber nach der Villa gehen wir alle Tage, müssen doch nach den Kindern und der Großmama sehen... Wenn du deine Arbeit müde wegschiebst, dann wandern wir hinaus – dann bist du aber auch mein Gast –«
»Ja wohl – bei einem einfachen Abendbrot –«
»Einem selbstverständlich ›einfachen‹ Abendbrot auf der Terrasse... Ich habe auch einen kostbaren Schatz draußen; der bleibt aber für immer dort in meinem Salon. Ich wette, er zieht dich – hast du ihn erst gesehen – weit mehr noch hinaus als jetzt deine Braut –«
»Erlaubst du, daß ich zweifle?«
»Nein – du wirst sehen!«
Er lachte heiter auf und führte sie die Freitreppe des Säulenhauses hinauf. Und jetzt taten sich die Türflügel, wie durch Zauberhand berührt, weit auf.
Die Hausmamsell und Hannchen traten feierlich aus der Tiefe der Flurhalle, und über das Gesicht der »guten, alten Birkner« flossen Freudentränen. Sie trug eine schöne neue Haube, die ihr Arnold – wollt' ich sagen »der gnädige Herr« – von der Reise mitgebracht hatte, und statt des eingelernten Glückwunsches, von dem kein Laut über die zuckenden Lippen wollte, zeigte sie nur stumm auf den blumenbestreuten Weg, der durch den Korridor nach der Treppe lief, auf den frischen Girlandenschmuck, in dem die Wände der Flurhalle prangten.
»Meine Birkner hat einen wahren Kassandrablick,« sagte Baron Schilling schelmisch, und doch mit einer tiefen Ergriffenheit kämpfend. »Sie hat gewußt, daß um diese Stunde eine Braut einziehen wird.« – Und ohne weiteres seinen Arm um die kleine, runde Person schlingend, küßte er sie herzlich auf die Wange, wie er oft als Knabe getan, da sie ihm alles gewesen, Mutter, Pflegerin und Vertraute, die zwischen ihm und dem strengen Vater stets vermittelte...
Nicht in ihre künftigen Zimmer, die schönen Salons, die an die Terrasse stießen, führte er die Braut zuerst; die Türen des großen Mittelsaales waren weit zurückgeschlagen – auch hier bedeckten Blumen das Parkett, lagen zu Füßen der markigen Gestalten mit den viereckigen Köpfen, der alten Ritterlichen, welche die gewundenen und vergoldeten Rahmen füllten; und das Bild des alten Freiherrn Krafft von Schilling war mit Fichtengrün und Eichenlaub umkränzt.
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