1 ...6 7 8 10 11 12 ...39 „Warum sind nicht alle Plätze besetzt, das ist doch zu blöd“, sagte ich zu Rupert, als Laila mit dem Schimmel endlich doch hinausgegangen war, obwohl auch da noch geklatscht wurde, „so was sieht man doch nicht alle Tage! Ohne Sattel und Zügel! So was Großartiges!“
„Ach, Musch. Wahrscheinlich gibt’s heut was im Fernsehen, was die Leute nicht verpassen wollen, irgendein Fußballspiel ...“
„Als ob ein Fußballspiel schöner sein könnte als solch ein Reiten!“
„Der Geschmack ist halt verschieden. Seit es Fernsehen gibt, sind die Zirkusse am Absterben“, sagte Rupert leise und betrübt. „Vielleicht ...“– aber da hatten die Zirkusleute ihr Seil gerade gespannt, und eins der kleineren Mädchen kletterte empor, und wir mußten zusehen und konnten nichts anderes mehr denken.
„Ohne Netz!“ sagte Rupert noch leise, dann hielten wir den Atem an. Die Kleine lief über das Seil, als sei es ein breites Band, sie drehte und wendete sich, knickste, wenn sie auf dem Podest angekommen war, nach allen Seiten und bedankte sich höflich für den Beifall.
Nachher kam ihr ein Junge auf dem Seil entgegen, wahrscheinlich ihr Bruder, und sie begegneten sich, gingen dann rückwärts, und als sie das zweite Mal aufeinander zugingen, trugen sie beide eine Stange in der Hand, die sie waagrecht hielten.
„Wenigstens das“, seufzte Rupert, „das sind Balancierstangen, die haben an jedem Ende Blei. Daran kann man sich halten.“
„Aber wieso denn? Die Stangen sind doch in der Luft“, sagte Penny ungläubig.
„Ja, sicher, aber ...“
„Wir probieren es. Wir probieren es gleich morgen“, flüsterte Penny.
Dann kamen wieder Pferde. Das ist ja immer das schönste. Die Ponys sausten ohne Reiter herein, jedes hatte einen Federbusch auf dem Kopf, und sie rasten rundum, es war entzückend. Als sie die erste Runde beendet hatten, kam aus der Stallgasse – das ist der Eingang in die Manege – das kleinste hinterher, das anscheinend vergessen worden war. Es raste hinter den anderen her, eifrig galoppierend, und alle Leute lachten. Dann baute einer der Jungen, der als Jockey verkleidet war, ein Hindernis auf. Er legte eine Stange mit dem einen Ende auf den Manegenrand, als die Ponys wieder mal vorbei waren, und ging dann in die Mitte, hielt dort die Stange am anderen Ende. Hopp, war das erste drüber, und hopp, hopp, hopp die anderen, nur das kleinste bog, als es die Stange sah, blitzschnell nach links und rannte um den Jungen herum, ohne zu springen, schloß sich seinen Kameraden wieder an. Alle Zuschauer klatschten vor Vergnügen.
„Das ist natürlich Absicht, es wurde so dressiert“, sagte ein Mann vor uns und machte ein ärgerliches Gesicht. So ein Blödsinn! Es war doch drollig und reizend, warum ärgerte er sich? Wir jedenfalls fanden es goldig, wie sich das Kleinste immer um die Aufgaben drückte, die die Größeren ausführten.
Und dann geschah etwas besonders Komisches. Die Ponys liefen wieder in langsamem Trab, das Hindernis war weggenommen, und da kam aus der Stallgasse jemand dazu, kein Pony, aber auch ein Reittier: ein Esel, der Zwergesel, den wir schon gesehen hatten. Er schloß sich den Ponys in anmutigem Trab an, und auf dem Esel saß – das war der Clou – ein kleiner Junge, der allerhöchstens zwei Jahre alt war, wahrscheinlich erst anderthalb. Ganz sicher und höchst vergnügt saß er da und hatte einen Schnuller im Mund, so klein war er noch. Das gab ein Gelächter!
Der Zirkusdirektor in seinem Frack war inzwischen wieder erschienen. Er stand in der Mitte und sah sich alles an, und dann machte er ein Zeichen, worauf die Ponys hinausliefen. Der Esel aber blieb drin, fiel in Schritt und kam, als der Direktor pfiff, wohlerzogen auf ihn zugetrippelt. Der Direktor begrüßte, streichelte und lobte ihn und gab ihm ein Stück Zucker.
„So, nun steig ab, kleiner Reitersmann“, sagte er, und der winzige Junge warf beide Beinchen nach hinten in die Höhe, landete stehend in den Sägespänen und verbeugte sich mit Grazie, den Schnuller noch immer im Mund. Das Publikum raste.
Als sich der Sturm der Begeisterung ein wenig gelegt hatte, hob der Direktor die Hand und bat um Ruhe.
„Meine hochverehrten Herrschaften, nun glauben Sie sicherlich, es sei eine Kleinigkeit, auf diesem Eselchen zu reiten. Und wenn ich das Gegenteil behaupte, dann denken Sie, ich schwindle. Deshalb – bitte! Wer es versuchen möchte, unser Eselchen zu besteigen und eine Stunde zu reiten, bekommt von mir fünf Mark in bar. Wer hat Lust?“
Na, wir hätten es uns denken können: Rupert griff zwar nach rechts und links, um uns festzuhalten, aber er griff bereits in die leere Luft, wir waren schneller. Penny hatte den besseren Start, aber auch mich erwischte er nicht mehr. Penny war wie ein Blitz davongeschossen, über die Bänke der vor ihr Sitzenden gesprungen und stand schon im Mittelpunkt der Manege.
„Darf ich?“ japste sie.
Rupert erzählte uns später, er hätte dagesessen, beide Daumen in die Faust eingeschlagen, und immer nur vor sich hin gejammert: „Alle guten Geister, alle guten Geister!“ Aber seine Beschwörung nützte nichts. Penny flog in der Manege bereits in die Luft und landete in den Sägespänen, während das Eselchen schon wieder brav und geduldig und harmlos dastand. Man sah ihm nicht an, daß es eine Sekunde vorher einen wilden Sprung gemacht hatte, um seine Reiterin loszuwerden, was ihm ja auch sofort gelungen war. Penny raffte sich auf, strich die Zotteln aus dem Gesicht und pirschte sich wieder heran.
„Willst du noch mal?“ fragte der Direktor honigsüß.
„Klar! Achtung –“
Ja, alle Achtung! Wieder flog Penny in die Luft, landete diesmal aber geschickt auf den Füßen.
„Noch mal!“ keuchte sie, aber inzwischen hatten sich bereits ein paar Jungen aus Hohenstaufen herangedrängt, auch vor mich. Ich hatte, zugegeben, den Mut etwas verloren und war nicht mehr unbedingt gewillt, auch in die Höhe zu fliegen.
„Die dumme Kuh kann eben nicht reiten“, sagte ein vielleicht Fünfzehnjähriger, der eigentlich schon zu groß für den Esel war. Er hoffte wohl, ihn durch sein Gewicht bändigen zu können. So hob er ein Bein über den Eselrücken, da aber rannte das Eselchen los, mit dem Jungen auf dem Rücken, der darauf nicht vorbereitet war. Es rannte bis zum Manegenrand und warf ihn mit Schwung über die Brüstung, indem er die Hinterbeine hochfeuerte und die Vorderhufe in die Sägespäne stemmte. Es dauerte ein kleines Weilchen, bis sich der Junge wieder zusammengesucht hatte und hinkend durch die Bänke der Zuschauer hindurch an seinen Platz zurückschlich.
Nun drängten die anderen nicht mehr so, aber zwei oder drei versuchten es dennoch, alle ohne Erfolg. Als sich niemand mehr meldete, machte der Zirkusdirektor eine Handbewegung, der Esel ließ sich, wie vorhin der Schimmel, auf ein Knie nieder, und der kleine Schnullerreiter stieg wieder auf. Fröhlich, mit beiden Händchen winkend, ritt er noch eine Runde im Trab und eine im Galopp innen am Manegenrand entlang und verschwand dann im Stalleingang. Das gab einen Beifall!
Dann kam die große Pause. Die hatten die Zirkusleute nötig, wir aber auch. Wir drängelten hinaus, und Rupert kaufte uns beiden eine Cola.
„Der zweite Teil ist doch bestimmt noch ebenso lang wie der erste!“ bettelte Penny, als ob Rupert dafür zuständig wäre. Er lachte und meinte, das würde schon so sein, und vielleicht gingen wir morgen wieder, denn es wäre wirklich ein toller Zirkus. Das tröstete mich, denn ich hatte schon wieder die schreckliche Panik, daß es bald vorbei und dann nur noch Erinnerung sein würde. Morgen vielleicht wieder – ach, Rupert war doch der Allerliebste!
„Und da machen wir vorher tüchtig Reklame im Dorf, damit alle kommen, die heute nicht da waren“, sagte er. „Am besten stecken wir uns hinter Laila. Sie muß mit dem Schimmel durchs Dorf reiten und alle Ponys hinterher und dann der Esel ...“
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