Eine Hochzeit mitmachen, daß heißt auch Eingehen auf ein ungeschriebenes Gesetz, das eisern eingehalten wird: Wie du mir, so ich dir! Schenkst du mir scheußlich bunte Bowlengläser, die ich nie auf den Tisch stellen werde, das vergesse ich dir bis zu deiner Hochzeit nicht! Bekomme ich aber von dir den ach so ersehnten Holzteller für Brot samt Sägemesser, das wirklich schneidet, dann sei getrost, ich weiß schon etwas sehr Hübsches und Praktisches für dich.
Am besten gibt man eine Liste herum. Als einigermaßen vernünftige Mutter gelingt es einem vielleicht doch, dort einige nützliche Dinge einzuschmuggeln, so daß die Gäste nicht nur zwischen exotischen Ohrringen, Tischfeuerzeugen und schrägen Jazzplatten auszusuchen haben, sondern auch Töpfe oder Kaffeemaschinen drin vorkommen. Freilich besinne ich mich noch sehr gut, daß ich mir zu meiner eigenen Hochzeit ein Zelt wünschte (natürlich nicht bekam), ein Paar Reitstiefel und ein dickes Buch mit leeren Seiten, als Kindertagebuch. Denn Kinder wünschte ich mir am meisten, einen ganzen Stall voll, die aber konnte ich ja nicht auf die Liste setzen.
Als Mutter zahlreicher Kinder besitzt man auf der Bank einen Katastrophenfonds. Und auf den griff ich jetzt zurück. Schon Wilhelm Busch sagt: „Ohne die gehör’gen Mittel soll man keinen Krieg beginnen.“ Ich machte mich also auf dem Weg zum Friseur, um für erbitternd viel Geld „schön“ zu werden. Das Ergebnis riß meine ahnungslos heimkehrenden Söhne zu der verächtlichen Frage hin: „Seit wann läufst du denn herum wie Eulalia die Toupierte?“ Empört und verletzt wende ich mich daraufhin an die Tochter, die das Ganze veranlaßt hat, und die ja jetzt einschreiten müßte, wenigstens ein paar zurechtweisende oder erklärende Worte könnte sie von sich geben. Zum Beispiel, daß die andere Mutter immer so schick und gepflegt aussähe, und mit mir könnte man sich ja nicht sehen lassen ... Nichts von alledem.
„Laß mich in Frieden, Mutter, ach, ich bin ja so nervös —“ und sie bricht in Tränen aus. Überhaupt wird viel geweint, und dabei soll es doch ein Freudenfest werden und keine Beerdigung.
„Wenn du so eklig zu mir bist, fällt mir nichts für das Tafellied ein“, gifte ich. Das klingt nach Erpressung, ist aber leider Tatsache. Zum sogenannten Dichten verläßt sich die ganze Familie auf mich. Dazu brauche ich aber nun mal Frieden und Ruhe um mich.
„Das ist dein Handwerk! Los, Mutter!“
Kein Frieden, keine Ruhe. Dazwischen wird geschneidert, gebacken und geputzt.
„Du tust es ja nicht!“ raunzen die Töchter, als ich grade die erste Strophe der Hymne aus der grauen Gehirnrinde herausgekratzt hatte. „Steh mal auf, wir müssen mit dem Staubsauger ran, dein Zimmer ist immer das schlimmste.“
„So, und was entsteht bitte sehr hier?“ frage ich. „Nicht nur das Tafellied, nicht nur die Aufführungen für die andern Geschwister, zum Kuckuck, hier wird auch das Geld verdient, von dem wir ...“
„Ja ja“, heißt es ungeduldig, „deshalb müssen wir doch den Staub der Jahrhunderte beseitigen!“
Sie drängeln mich raus. Ich nehme mir rachsüchtig vor, mir von nun an nie, nie wieder etwas einfallen zu lassen, für diese dumme Hochzeit nun schon gar nicht, und überhaupt ...
Was sagt jeder, der je mit Schauspielern zu tun gehabt hat? Der Krach bei der Hauptprobe garantiert den Erfolg der Aufführung.
Der große Tag ist da, und die Tochter sieht bezaubernd aus. Das hast du in die Welt gesetzt? fragt man sich kopfschüttelnd. Die Kirche ist herrlich geschmückt, und so viele schöne junge Paare hinter den Brautleuten! Hat man je so einen Hochzeitszug gesehen? Und jetzt setzt die Orgel ein: „So nimm denn meine Hände ...“
Rings um mich schnieft es schon, und da laufen auch mir die Tränen vor lauter Glück und Ergriffenheit, und ich denke an damals, als er und ich so standen, und daß das der Anfang von dem allen hier war, nur daß die Tochter selbstverständlich viel hübscher ist, und prächtig sind sie doch alle, die hier stehen und singen — und alle drei Söhne werden eine Rede halten, hab’ ich läuten hören ...
Hochzeitmachen, das ist wunderschön.
O ja, hoffentlich feiern wir bald wieder eine!
Das Pferd meines Lebens war Winnetou. Ich habe ihn niemals geritten, dazu war er zu klein, aber geliebt habe ich ihn wie sonst kein Pony. Und das will etwas heißen, denn ich habe inzwischen viele Ponys gehabt, und an jedem von ihnen hing ein Stück meines Herzens. Aber Winnetou war von Anfang an eine Ausnahme.
Natürlich habe auch ich im entsprechenden Alter Karl May gelesen, obwohl ich „bloß“ ein Mädchen war, wie ich damals von meinem Bruder immer abschätzig zu hören bekam. Ein richtiger Karl-May-Fan war ich jedoch nicht. Trotzdem wußte ich sofort, als ich dieses Pony sah, daß es Winnetou heißen mußte. Eingetragen ist es als „Budo“, aber keiner hat es jemals so genannt.
Vor dem Kauf warnten uns viele.
„Einen Hengst wollt ihr euch halten?“ hieß es. „Na, da macht euch nur auf was gefaßt! Zertrümmerte Boxen, zerrissene Zäune, Fohlen, die ihr nicht gewollt habt — viel Vergnügen!“
„Andere Leute halten doch auch Hengste!“ sagte ich bockig. „Warum denn wir nicht!“
Freilich, was wir da in der Umgebung gesehen hatten, war nicht das, was wir wollten. Das waren keine Rassepferde, sondern einfach Hengste von Leuten, denen einmal ihre Stuten ein Hengstfohlen gebracht hatten, das so niedlich war, daß sich niemand davon trennen konnte. Von Hengstprämierung und dergleichen konnte in diesen Fällen natürlich keine Rede sein. Wir aber wollten ja richtig züchten!
In Marburg an der Lahn sollte ein guter Hengst stehen, erzählte uns ein Bekannter. Ein Schimmel. Ob wir jemanden kennen würden, der ihn einmal besichtigte?
Marburg an der Lahn? Natürlich, unser Ältester studierte doch in Marburg. Ich rief ihn an. Ob er —
Seine Antwort war unmißverständlich ablehnend.
„Ich finde, was uns am meisten fehlt, ist ein Hengst.“ Er meinte, natürlich ironisch, „am wenigsten“.
„Ich bin weder Roßtäuscher noch Pferdehändler, kann also überhaupt nicht beurteilen, welcher Gemahl für Blacky und Appelschnut paßt.“ Peng, aufgelegt!
Ich saß dumm da. Dann besann ich mich, daß er einmal einen Freund mitgebracht hatte, als er uns besuchte, Alladin hieß der, und „Alladin mit krummen Knien“ hatte ihn einer von uns respektlos getauft, obwohl er wirklich gerade Beine hatte. Ob der vielleicht ...
Ich rief ihn an. Er erklärte sich tatsächlich bereit, das Wundertier anzusehen, „aber ich kann keine Verantwortung übernehmen“, betonte er gleich angstvoll, „wenn dann der Kerl nicht tut, was er tun soll.“
Ich beteuerte, das brauchte er nicht, und bekam wenig später eine genaue Beschreibung. „Der Hengst ist hübsch, aber für Sie vielleicht etwas klein“, gab Alladin noch zu bedenken, und ich erklärte ihm, ich hätte bereits ein Reitpony, der Schimmel sei zur Zucht bestimmt. Und ich würde jetzt selbst kommen, ihn anzusehen.
Ich fuhr also nach Marburg. Wir fuhren damals alle per Anhalter, weil wir an allen Ecken sparen mußten. Wegen der Ponys und auch aus Sparsamkeit waren wir in ein kleines Holzhaus zwischen Weiden und Wald gezogen, was wir allerdings nie bereuten. Ich wollte meinen Kindern keine Schulden hinterlassen, wenn ich eines Tages unvermutet ›in den Himmel ritte‹. So jedenfalls nannten wir das, die Redensart entstand, als ich einmal mit meinem Jüngsten ausritt und sagte, das beste wäre doch, wenn man im Sattel einen Herzschlag bekäme und sofort tot wäre. Ben, damals vielleicht acht Jahre alt, war empört.
„Nein! Das wäre doch schlimm für das arme Pony!“
Ich gab das sofort zu.
„Weißt du, ich sterbe überhaupt nicht“, sagte ich rasch, „ich reite eines Tages in den Himmel.“ Sterben ist bei uns dasselbe wie „in den Himmel reiten“, und davor braucht sich niemand zu fürchten.
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