Nicht besser wie mit der Gerechtigkeit ist es in dem Zinswesen mit der Vernunft bestellt. Als beständiger Faktor der Volkswirtschaft gedacht, ist es voll innern Widersinns und trägt den Keim unabwendbarer Zerstörung in alles, was dauernd zu beherrschen ihm gelingen sollte.
Das Beispiel von dem Pfennig, der, seit Christi Geburt zu ganz niedrigem Zinsfuß auf Zins liegend, heute den Wert eines Goldklumpens gewonnen haben müßte, schwerer als alles Gold der Erde zusammengenommen, erläutert die physische Unmöglichkeit dauernden Fortbestehens von Einrichtungen, kraft welcher Vermögen und Besitz die Eigenschaft haben sollen, in geometrischer Progression anzuwachsen, also, wie niedrig der Koeffizient dieses Wachstums mit der Zeit auch werden möchte, doch mehr und mehr alles zu absorbieren, was als menschliche Arbeit und Gütererzeugung unter den Daseinsbedingungen auf unserem Planeten steht — deren Beschränktheit doch einstweilen nur in kühnen Phantasieen als aufgehoben erscheint. Nach dem vorhin gesagten muß das Fortbestehen solcher Einrichtungen schon in absehbarer Zeit dem wachsenden Nationalvermögen rein fiktive Werte einfügen, die nichts anderes mehr sind als Anweisungen auf den Arbeitstribut zukünftiger, noch ungeborener Geschlechter.
Elimination des Zinswesens aus dem Wirtschaftssystem der Völker ist daher die Voraussetzung für eine haltbare, nicht auf völlige Desorganisation hinsteuernde Wirtschaftstätigkeit.
Hieran knüpft sich nun die dritte Frage: ist dieses möglich? — oder sind etwa die vorher betrachteten Übel unabänderlich — außer unter Aufhebung des privaten Kapitalbesitzes?
Widersinnig wäre es, den Eigentümern von Vermögen das Zinsnehmen etwa gesetzlich verbieten zu wollen. Denn damit würde der wichtigste Antrieb zur Darbietung des Besitzes für die Zwecke der wirtschaftlichen Arbeit beseitigt und jede natürliche Regelung seiner Benutzung aufgehoben sein. Sonach könnte es allerdings scheinen, als ob bei Fortbestehen des privaten Kapitalbesitzes das Wirtschaftssystem der Desorganisation verfallen müsse, beim Zinsnehmen durch den Zins und bei Beseitigung des Zinsnehmens durch dessen Aufhebung.
Den Ausweg aus diesem Dilemma zeigt aber das schlichte Wort: Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist!
Das soll besagen: Nach wie vor wolle jeder, der ein nutzungsfähiges Stück des Nationalvermögens inne hat, den Nutzertrag desselben einziehen. Er wolle dabei aber sich erinnern, daß sein Vermögensstück nicht an sich selbst solchen Ertrag liefert, sondern nur als Teil eines »Nationalvermögens«, nur kraft seiner Einfügung in den Betriebsfonds der Volkswirtschaft eines betriebsamen, arbeitstüchtigen Volkes mit wohlgeordneten Staatseinrichtungen. Deshalb wolle er diesen Ertrag, soweit er reiner Zinsertrag ist, nicht als ihm, dem zufälligen Eigentümer, zukommend ansehen und für sich in Anspruch nehmen, sondern ohne Murren ihn abliefern an den, der der eigentliche Urheber und Eigentümer dieses Ertrages ist — an den Staat.
Die menschliche Gesellschaft unter der Form des Staates ist in der Tat mehr als ein Haufe zusammengewürfelter Individuen, gleich den Körnern in einem Sandhaufen. Wie im lebendigen Organismus die Zellen kraft ihres Zusammenhangs und ihrer Wechselwirkung mit Millionen von anderen Zellen Funktionen ausüben, welche sie nicht auszuüben vermöchten für sich, als selbständige, einzelne Zellen außerhalb des Organismus, so gewinnen auch in der organisierten menschlichen Gesellschaft Besitz und Arbeitskraft des einzelnen als Elemente des Nationalvermögens und der nationalen Arbeitskraft eines Volkes Kräfte und Funktionen, die ihnen nicht an sich zukommen. Ergebnis und Erfolg dieser Funktionen fallen nicht unter das Eigentumsrecht des einzelnen, weil sie nicht Ausfluß des Eigentums selbst sind, vielmehr, richtig betrachtet, Ausfluß der Gesellschaftsorganisation, Ergebnis und Erfolg der Staatsinstitutionen. Sie gehören also von Rechts wegen dem Staat.
Illustriert wird dieses Verhältnis durch den sehr bezeichnenden Umstand, daß aller Besitz, damit er als Zinsgut fungieren könne, ohne eigene Tätigkeit des Inhabers und ohne daß die Herausgabe an einen andern ihn in Frage stellt, immer erst in ein Stück Papier verwandelt werden muß. Pacht- oder Mietsvertrag, Pfandurkunde oder Staatsschuldschein sind die unentbehrlichen Vehikel, welche allein arbeitslosen Vermögensertrag dem Eigentümer zuführen können. Im Naturzustand gibt es dergleichen nicht; es muß erst ein Staat da sein, in dessen Obhut und Verwahrung der Besitz gegeben werden kann, wenn ein anderer seine wirtschaftliche Nutzung übernehmen soll. Dafür zeugt das »Papier«.
Das gesagte begründet unter dem sozialen und dem rechtlichen Gesichtspunkt die vorhin ausgesprochene Anforderung an die Gesetzgebung: in Form einer Vermögenssteuer den Zinsertrag des Nationalvermögens, den die Besitzträger der einzelnen Stücke regelmäßig einheben, für den Staat heranzuziehen und — abgesehen von der Ansammlung eines beschränkten Reservefonds — fortgesetzt zur Aufwendung zu bringen durch Bestreitung der jetzigen Staatsausgaben aus dieser Einnahmequelle und durch Übernahme neuer größerer Aufgaben, in welche einzutreten das Gemeinwohl dringend fordert.
Wir erleben jetzt das klägliche Schauspiel, daß die Gesetzgeber des Reichs und der Einzelstaaten in allen Winkeln herumsuchen: wo etwa noch »was Steuerbares« zu finden sein möchte, und allerlei Sophismen helfen müssen, das Gewissen zu beschwichtigen, welches angesichts feierlicher Zusagen sich dagegen sträubt, daß immer wieder »die Masse es bringen« müsse. Hier liegt das gesuchte Steuerobjekt: das Nationalvermögen Deutschlands, bei welchem in der Tat »die Masse es bringt«, das Gewissen sich aber nicht dagegen zu sträuben braucht! Denn es ist ein Steuerobjekt, dessen Ertrag nur wegen der Einfachheit und im Interesse ganz ungestörten Fortbestehens aller eingelebten Formen der Wirtschaftstätigkeit in der Form von »Steuer« erhoben werden muß, in Wahrheit aber schon vorher, in seinem Entstehen, ursprüngliches, rechtmäßiges Eigentum des Staates war, also nicht dem abgefordert werden muß, was der einzelne im Nettoertrag seiner eigenen Arbeit selbst erworben hat.
Gemäß dem sozialpolitischen Gesichtspunkt, unter welchem in meiner Betrachtung das Steuersystem gedacht ist, hätte der Staat grundsätzlich den ganzen Zinsertrag des Nationalvermögens in Anspruch zu nehmen und demnach, den Steuersatz für Vermögen jeder Art um so näher an den jeweiligen, durch Hypothekenzins und Bodenrente gekennzeichneten Zinsfuß für risikofreie Kapitalanlage heranzuführen, je mehr die Steuerobjekte vom Charakter des Sparguts und der Betriebsmittel privater Lebensführung sich entfernen. Nur wegen des sozialen Interesses der Allgemeinheit an der Erleichterung des Ansammelns kleiner Vermögen würde der Staat solchen gegenüber auf seinen Anspruch ganz oder teilweise verzichten. Im übrigen könnte zwischen den verschiedenen Vermögensarten ein Unterschied nicht anerkannt werden. Denn hinsichtlich der Bedeutung des Eigentumstitels ist gegenwärtig alles gleichwertig, wie auch stets das eine in das andere ohne weiteres verwandelt werden kann. Grund und Boden haben zwar auch jetzt noch ihre ganz spezifische Bedeutung als einziges ursprüngliches, von der Natur selbst gegebenes Produktionsmittel und als letzte Kraftquelle für alle wirtschaftliche Tätigkeit; das Eigentum an Grund und Boden aber ist mit der Aufhebung von Leibeigenschaft und Hörigkeit ein Eigentum wie jedes andere geworden. Solange diese bestanden, war allerdings der Eigentümer von Grund und Boden vor allen andern Eigentümern dadurch ausgezeichnet, daß die Zahl seiner Arme immer ungefähr proportional war der Größe seines Besitzes, er also jedes beliebig große Stück selbst, mit seinen eigenen Armen, gerade so nutzen konnte wie der Bauer seinen kleinen Acker. Seit jeder nur noch zwei eigene Arme hat, ist auch, der Grundbesitzer, wenn er nicht Kleinbauer ist, wirtschaftlich und rechtlich nur Unternehmer, der wie jeder andere Unternehmer darauf angewiesen ist, mit Hilfe fremder Personen zu produzieren. — »Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist!« muß also allen gegenüber gelten.
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