Weitere sehr verhängnisvolle Wirkungen ergeben sich auf Grund des Umstandes, daß von der Gesamtsumme, die zur Verzinsung des Nationalvermögens jährlich aufgebracht wird, ein sehr beträchtlicher Teil auf eine relativ ganz geringe Zahl von bevorzugten Nutznießern entfällt, den Eigentümern der sehr großen Vermögen, und dadurch diesen ein Einkommen verschafft, welches über die Bedürfnisse selbst einer sehr erhöhten Lebenshaltung weit hinausgeht. Die Millionäre sind aber meist sparsame Leute, die den Überschuß nicht zu vergeuden oder zu verschenken pflegen. Von jenen großen Einkommen gelangt daher nur ein Teil zum Verbrauch, der andere — häufig größere — Teil wird zurückgelegt und figuriert am Schluß des Jahres in dem Zuwachs des Nationalvermögens, der für das nächste Jahr mit zu verzinsen ist. Von Jahr zu Jahr wiederholt sich dieser Vorgang. Dadurch wächst das Nationalvermögen, also auch dessen Zinsabwurf, fortwährend rascher als der effektive Ertrag der gesamten nationalen Arbeit wächst, und die Tributquote, welche die Gesamtheit der Arbeitenden der Gesamtheit der Besitzenden zu leisten hat, wird stetig größer. Gleichzeitig aber muß dabei die Ungleichmäßigkeit der Verteilung sowohl von Einkommen wie von Besitz immer weiter zunehmen, und von Jahr zu Jahr ein immer größer werdender Teil der gesamten Tributsumme dem kleinen Prozentsatz der Reichen zufließen. Dabei aber wird die gesamte Wirtschaftstätigkeit des Volkes — gleichfalls in immer steigendem Maße — dadurch gelähmt, daß fortgesetzt ein großer Teil des effektiven jährlichen Arbeitsertrages der Gesamtheit dem Konsum vorenthalten, dem wirklichen Gebrauch entzogen bleibt.
Die Konstatierung dieser verschiedenen Folgen der gegenwärtigen Wirtschaftseinrichtungen fordert die Fragen heraus: sind diese Einrichtungen sittlich gesund? — sind sie gerecht und vernünftig? — sind sie notwendig und unabänderlich?
Sind sie sittlich gesund? — Nein!
»Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen!« ist nicht nur ein Bibelwort, es ist zugleich der treffendste Ausdruck tiefer sittlicher Wahrheit. Hierüber noch ein Wort zu verlieren scheint mir überflüssig, solange ich nicht den gesehen habe, der den Mut haben wird, beweisen zu wollen: es gehöre zu den Bedingungen einer sittlichen Gesellschaftsordnung, daß solche vorhanden sein müßten, die ohne irgend einen anderen Vorzug, bloß weil sie ein genügend großes Vermögen irgendwie erworben oder ererbt haben, berechtigt sind, ohne alle eigene Arbeit in begünstigter Stellung zu leben, nicht etwa von diesem Vermögen, mittelst dessen Verwendung, sondern durch dieses Vermögen, ohne Minderung seiner Substanz, allein von der Arbeit anderer.
Sind, diese Einrichtungen gerecht und vernünftig? — Nein, wiederum ohne jedes Wenn und Aber!
Von Gerechtigkeit in der Zinswirtschaft könnte nur dann die Rede sein, wenn bei ihr der Leistung des einen Teils irgend eine entsprechende Gegenleistung des andern Teils gegenüberstände. So war es in der Tat einmal — vor 200 oder 300 Jahren, also just zu der Zeit, da ein naives Rechtsbewußtsein Zinsnehmen schlechthin als »Wucher« stempelte. Zu dieser Zeit hatte der Zins als Gegenleistung die Übernahme einer besonderen Verlustgefahr, welcher das Eigentum dann ausgesetzt wurde, wenn der Eigentümer es aus seinem Besitz heraus in die Hand eines anderen gab. Heute ist es gerade umgekehrt. Wenn einer eine Million in natura selbst aufbewahren wollte, so hätte er damit nicht nur viel größere Last, sondern auch zehnmal größere Verlustgefahr zu übernehmen, wie wenn er sein Eigentum gegen sichere Hypothek oder unter gleichwertigen Garantien andern behufs wirtschaftlicher Nutzung übergibt. Soweit Leistung und Gegenleistung in Frage kommt, würde also eher umgekehrt der andere eine Aufbewahrungs-Prämie verdienen. Und das gleiche gilt auch für das Verhältnis von Grundbesitzer und Pächter. Denn wenn jemand ein Landgut nicht selbst bewirtschaften kann oder will, so würde er, wenn sich kein Pächter dafür fände, es nicht einfach brach liegen lassen können, ohne einer raschen Entwertung seines Besitzes durch Verlust der Kultur u. dergl. ausgesetzt zu sein. Um ohne Nutzung, nur unvermindert, den Besitz zu erhalten, hätte er erhebliche laufende Aufwendungen zu bestreiten, von welchen derjenige ihn befreit, der das Landgut in Verwaltung nimmt, um es später dem Besitzer unvermindert wieder abzuliefern. Unter dem Gesichtspunkt von Leistung und Gegenleistung verdiente also auch der Pächter eine Aufbewahrungsprämie. Die vorhin in Rechnung gesetzen 3 Prozent Zins beziehen sich aber gerade auf diejenigen Nutzungsformen des Eigentums, die weder Mitarbeit des Eigentümers noch Verlustrisiko einschließen, auf die »mündelsichern« Kapitalanlagen.
Der einzelne handelt natürlich durchaus loyal und korrekt, indem er seinen Besitz nur gegen den marktgängigen Zins der Nutzung eines ändern überläßt, denn er, als einzelner, gewährt damit dem andern einzelnen in der Tat Vorteile, die er sonst nicht haben würde. Die Gegenleistung aber, die er in Form von Zins, Pacht usw. dafür empfängt, ist unter dem volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt nur das Kennzeichen der Zwangslage, in welcher die Arbeit dem Besitz gegenüber insofern sich befindet, als die Wertobjekte des Gesamtvermögens als Mittel produktiver Arbeit absolut unentbehrlich sind. Diese Zwangslage allein ergiebt das Resultat, daß auch die risikofreie, pfandsichere Vermögensanlage, statt eine Aufbewahrungsprämie zu erfordern, eine Abgabe einbringt. So klar es nun einerseits ist, daß in der Zinswirtschaft ein redliches Verhältnis zwischen den einzelnen besteht, so sicher ist es anderseits, daß kraft derselben die Gesamtheit der Besitzenden als solche die Gesamtheit der Arbeitstätigen als solche bewuchert. Denn »die Zwangslage eines andern benutzen, um sich Vorteile auszubedingen, welche außer Verhältnis zu den Leistungen stehen«, ist der richtige, anerkannte Begriff des Wuchers.
Die soziale Ungerechtigkeit dieses Verhältnisses wird leider verdunkelt durch eine eigenartige Verunstaltung, welche der Eigentumsbegriff im Kreise derjenigen allmählich erfahren hat, deren Lebenshaltung ganz oder doch in erheblichem Grad von ihrem Anteil am Zinsertrag des Nationalvermögens abhängig geworden ist. Im Kreise der Besitzenden — aber auch nur in diesem — wird nämlich der ursprüngliche, in sich selbst gegebene Wert von Besitz und Vermögen, sein Verbrauchswert, schon gar nicht mehr gewürdigt, sondern eigentlich nur noch der sehr bedingte und sekundäre Nutzungswert. Man schätzt hier den Besitz tatsächlich nicht mehr als Verwendungsfonds für eine erhöhte Lebenshaltung, als unmittelbare Quelle von Genüssen und Vorteilen aller Art, sondern fast nur noch als »Unterlage« der Lebenshaltung, nach dem, was er ohne Verwendung »abwirft«, und es muß einem erst ein rechtes Stück seines Vermögens gestohlen worden oder sonst verloren gegangen sein, damit er merke, daß er noch etwas mehr verloren hat als zukünftige Zinseinnahmen. Anders ist der Maßstab noch bei dem kleinen Mann, dem Arbeiter, Bauer, Handwerker, der vor 50 Jahren seine ersparten Taler oder Gulden in den Strumpf zu stecken gewohnt war. Auch er trägt zwar seine Ersparnisse jetzt lieber in die Sparkasse oder legt sie sonstwie an, weil er eingesehen hat, daß er sie so viel bequemer und sicherer aufbewahrt. Die paar Mark Zinsen, die er dabei bekommt, sind ihm aber ganz Nebensache. Er schätzt seinen Besitz durchaus unter dem Gesichtspunkt der Frage: Wie lange kann ich es damit aushalten, wenn ich krank oder arbeitslos werden sollte? — was kann ich mir nötigenfalls dafür kaufen? — was kann ich dafür meinen Kindern zuwenden? Das allein aber ist noch der richtige, ehrenwerte Eigentumsbegriff, dessen hohe sittliche, kulturbildende Bedeutung die rechtliche Forderung der Unantastbarkeit des Eigentums ausschließlich begründet. Die üblich gewordene Wertschätzung des Vermögens bei den Reichen aber, nach der Größe des daraus abzuleitenden Tributanspruchs an die Arbeit anderer, gehört ganz und gar zu den Symptomen der zunehmenden plutokratischen Entartung der Rechtsbegriffe, von welcher ich im Fortgang meines Referats noch mehrmals zu reden haben werde.
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