Nur zwei Punkte, die das einzelne betreffen, darf ich auch hier nicht ganz übergehen, weil in ihnen einzelnes eine besondere Bedeutung gewinnt.
Die Vervollkommnung der Technik optischer Arbeit gegenüber dem, was dem alten empirischen Verfahren genügen konnte, ist die allererste Voraussetzung für die Verwirklichung der rationalen Methode. Deshalb ist es für den Erfolg ganz wesentlich, daß Zeiss gleich von Anfang an ein ganz klares Bewußtsein dessen hatte und gleich von Anfang an alles darauf anlegte, in seiner kleinen Werkstatt eine sehr exakte Technik einzubürgern, die unsichere Geschicklichkeit der Hand überall unter die Kontrolle strenger Prüfungsmethoden zu stellen.
Auf dem Weg dieser Bestrebungen ist nun auch genau das Verfahren, welches für Fraunhofer, wie man jetzt weiß, eine wichtige Grundlage des Erfolges wurde, selbständig hier wieder erfunden worden, unter Umständen, die jeden Zusammenhang seines hiesigen Auftretens mit seiner ersten Entdeckung in München sicher ausschließen. Es ist dies die sinnreiche Methode zur Prüfung der Formen sphärischer und ebener Flächen mit Hilfe der sogenannten Farben dünner Plättchen, der Erscheinung, die uns ungesucht im bunten Farbenspiel der Seifenblasen entgegentritt. Diese Methode, nach welcher die Lichtwellen selbst den Maßstab zur Messung der allerkleinsten Form- und Größenunterschiede darbieten müssen, ist seit Beginn der sechziger Jahre auch hier der wichtigste Hebel gesteigerter technischer Leistungen geworden und das ABC-Buch der damals in hiesiger Werkstätte entstandenen neuen Schule exakter optischer Technik.
Zeiss hat indes diese technischen Fortschritte, wenn sie auch überall direkt unter der Leitung seiner Idee standen, doch nicht persönlich vollziehen können. Schon über die Jahre hinaus, in denen Auge und Hand noch schwierig zu erlernende Fertigkeiten sich aneignen können, und auch durch viele andere Ansprüche in seiner Zeit viel zu sehr beschränkt für mühsame technische Studien war er darauf angewiesen, für diesen Teil seiner Aufgabe von Anfang an die Geschicklichkeit, praktische Umsicht und Findigkeit eines anderen zu benutzen, den er zum Gehilfen seiner Arbeit frühzeitig gewonnen hatte. Er auch ist der Nacherfinder der eben erwähnten wichtigen Methode. Wir freuen uns alle, ihn heute noch unter uns zu haben, unseren treuen alten August Löber, den Begründer unserer Schule subtiler Technik, den Senior unserer ganzen Genossenschaft und den Lehrmeister, unmittelbar oder mittelbar, aller unserer tüchtigen Optiker. Für das Vorwärtskommen von Zeiss ist es von nicht geringer Bedeutung gewesen, daß gleich der erste, den er in der Verfolgung seiner Pläne als Mitarbeiter heranziehen konnte, so entgegenkommendes Verständnis für die eigenartigen Aufgaben, so hoch entwickelten Sinn für Präzision und Exaktheit, und so volle Hingabe seiner ganzen Person ihm entgegenbrachte. Solange also des Werkes von Carl Zeiss gedacht wird, in unserem Kreis und außerhalb desselben, wird auch das Andenken an seinen treuen frühesten Mitarbeiter lebendig bleiben, der am Gelingen des Ganzen so wichtigen Anteil hat — in dessen anspruchslosem Wirken ein Fraunhoferscher Gedanke neu erwacht ist [10].
Als zweites erwähne ich noch die Einwirkung, die auch hier, wie 50 Jahre früher bei FRAUNHOFER, der Grundgedanke von Zeiss auf die Reform der Darstellung des optischen Glases geübt hat, weil die Art, wie dieses hier geschehen, ein lehrreiches Beispiel bietet für die Macht, mit der die innere Folgerichtigkeit alles Geschehens überall sich Geltung schafft, wenn nur die Menschen ihren Faden nicht gewaltsam zerreißen. Zeiss ist sehr frühzeitig zum Bewußtsein gekommen, daß die Konsequenz seines ursprünglichen Programms auch die Notwendigkeit des Eingreifens in die Darstellung des optischen Glases einschließen konnte, wenn jenes Programm nicht auf halbem Wege Halt machen solle. Er hat aber — und nicht nur er — an diesen Gedanken lange Zeit mit innerem Widerstreben, um nicht zu sagen mit Abscheu, gedacht — sehr begreiflich, angesichts der ganz unabsehbaren Schwierigkeiten, die dem Eintreten in ein völlig fremdes Gebiet der Technik entgegenzustehen schienen. Das alles aber hat nicht hindern können, daß jener Gedanke, wenn auch lange ganz unbewußt, immer stärker die Behandlung der vorliegenden Aufgaben beeinflußte und leitete. Jahrelang haben wir neben wirklicher Optik sozusagen noch Phantasieoptik betrieben, Konstruktionen in Erwägung gezogen mit hypothetischem Glas, das gar nicht existierte, indem wir die Fortschritte diskutierten, die möglich werden würden, wenn einmal die Erzeuger des Rohmaterials dahin zu bringen sein sollten, für fortgeschrittene Aufgaben der Optik sich zu interessieren — was sie aber nicht taten. Und diese fast widerwillige Beschäftigung mit der Frage, die Verfolgung von Konjekturen, die man damals kaum ernst nahm, hat unbewußt nachherigem Fortschritt auch in dieser Richtung ebenso wirksam vorgearbeitet, wie es eine bewußte planmäßige Behandlung kaum besser hätte tun können. Denn auch in diesem allerdings absonderlichen Verfahren bestimmten sich schon alle Ziele und markierten sich schon alle Richtungen für eine zukünftige Reform der Glastechnik auf wissenschaftlicher Grundlage. Dem späteren wirklichen Anfang war damit jedes Herumtasten nach Ziel und Richtung erspart. Für den ideenreichen und tatkräftigen Mann, den zu Anfang der 80er Jahre die dunkle Ahnung seines eigentlichen Berufs in unseren Kreis geführt hat, bedurfte es jetzt nur ganz kurzer Zeit, um nicht allein alles, was durch den frühen Tod Fraunhofers verloren gegangen war, zu erneuern, sondern an Hand der allgemeineren Aufgabenstellung, die der Ausgang vom Mikroskop-Problem einschloß, in wichtigen Punkten über die Ziele Fraunhofers hinauszugelangen — so daß schon im Frühjahr 1887, als wir auch in unserem Kreis das Andenken Fraunhofers feierten, gesagt werden durfte [11]: die Wiedererneuerung seiner verloren gegangenen Kunst und ihre Fortentwicklung in seinem Geist sei der unverwelkliche Lorbeer, den zu seinem 100jährigen Geburtstag unser Jena an seinem Grabe niederzulegen habe.
Unser Freund Otto Schott aber wird gewiß keine Verdunklung seines persönlichen Verdienstes darin erblicken, wenn ich ausspreche: daß sein erfolgreiches Eingreifen, welches anerkanntermaßen allen Aufgaben der praktischen Optik neue Bahnen eröffnet hat, diesen Erfolg nicht gehabt haben würde, wenn seine Arbeit nicht unmittelbar sich hätte anschließen können an die fast 20jährige Vorarbeit, die aus dem Ideenkreis der Optischen Werkstätte ihm entgegenkam. Hat er doch die praktische Konsequenz dieses Gedankens rückhaltlos schon selbst gezogen darin, daß er unter freiwilligem Verzicht auf die natürlichen Vorrechte, die ihm aus der vollen Selbständigkeit seiner Arbeit im Chemischen und Technischen zustanden, auch sein Unternehmen in dauernden Zusammenhang mit der Carl Zeiss-Stiftung setzte [12].
Nachdem ich so den leitenden Gedanken in dem Wirken von Carl Zeiss nach seinen inneren Momenten betrachtet habe, muß ich auch noch einige Worte sagen über die besondere Art, wie seine Entwicklung durch die äußeren Umstände beeinflußt worden ist.
Carl Zeiss hat nicht, wie seinerzeit Fraunhofers fast übermenschliche Kraft vermochte, alles selbst leisten können, was für die erfolgreiche Verwirklichung seiner ersten Idee, für die volle Entwicklung ihres inhaltreichen Keimes zu leisten war. Weil seinem persönlichen Können engere Grenzen gesteckt waren, ist er in viel höherem Grad als Fraunhofer auf die Mitarbeit anderer angewiesen und in seinem Erfolg von dieser abhängig geblieben. Der Schätzung seines persönlichen Verdienstes tut dieses keinen Eintrag. Die Schranken der eigenen Kraft kühl ermessen können, aus der Erkenntnis solcher Schranken aber nicht Entmutigung zu schöpfen, sondern den Antrieb zum fortgesetzten Suchen nach der richtigen Ergänzung ist auch ein Verdienst; nicht viele bringen es fertig. Hat nun auch die Notwendigkeit solcher Ergänzung seinen Erfolg in höherem Grad, als es sonst der Fall sein würde, von der Gunst äußerer Umstände abhängig gemacht — solcher Umstände nämlich, von denen das Gewinnen geeigneter Mitarbeiter abhängig war — so darf man doch nicht sagen, daß sein Erfolg Sache des Glücks gewesen sei: er hat diese ihm unentbehrlichen Mitarbeiter gefunden, weil er sie gesucht hat — und unentwegt weiter gesucht hat noch in denjenigen Angelegenheiten, hinsichtlich derer mehrfacher Mißerfolg andere vielleicht von neuen Versuchen abgeschreckt haben würde. Soweit man in seinem Fall von Glück reden darf, ist es also nur die Art von Glück, die der Spruch meint: der Mensch ist seines Glückes Schmied.
Читать дальше