Nicht wie Wesley.
Selbst ihr Großvater hatte ihn nicht gemocht. Als Grandpa Bob vor zwei Jahren gestorben war, hatte er vorher alle wissen lassen, dass Wesley nicht zu trauen war. Grandpa Bob hatte das typische Leben eines Geizkragens geführt. Niemand wusste, wie viel Geld er für »schlechte Zeiten« gespart hatte – bis er starb und Colton und Ella über $800.000 vom Verkauf seines Hauses und seiner Firma erbten.
In seiner großen Weisheit hatte Grandpa Bob das Erbe an zwei wichtige Konditionen geknüpft. Geld vom Konto durfte nur für Ella oder Colton abgehoben werden, und Rebecca war die einzige Person, die Zugang zu dem Konto hatte.
Als Wesley von den Konditionen gehört hatte, war er tagelang mit einer Leichenbittermiene durch das Haus gelaufen. Jedes Mal, wenn sie den Kindern neue Anziehsachen gekauft hatte, hatte er das Gesicht verzogen und gesagt: »Hoffentlich hast du die mit dem Geld von deinem Grandpa bezahlt.«
Einmal, als er mal wieder das meiste seines Monatsgehalts verspielt hatte, hatte er sie um einen »Kredit« angebettelt, und als sie ihm gesagt hatte, dass sie so viel Geld nicht habe, hatte er sie geschlagen. »Verlogene Nutte! Du sitzt auf einer knappen Million. Ich brauche doch nur dreitausendfünfhundert Dollar. Ich zahle es dir ja auch zurück.«
Sie hatte sich geweigert und dafür mit blauen Flecken bezahlt.
Rebecca wollte, dass er für immer aus ihrem Leben verschwand, aber um der Kinder willen musste sie einen Weg finden, Wesley zu vergeben und sich mit der Tatsache abfinden, dass er der Vater ihrer Kinder war. Er würde zwangsläufig immer ein Teil ihres Lebens sein.
Jedes Mal, wenn sie Colton anschaute, wurde sie an Wesley erinnert. Im Gegensatz zu Ellas blondem Haar und den blauen Augen, die ihren glichen, hatten Vater und Sohn dunkelbraune Haare, hellbraune Augen, eine mit Sommersprossen gesprenkelte Nase und das gleiche Grübchen am Kinn.
Sie hatte Wesley bei einer Weihnachtsfeier ihrer Firma kennengelernt; gar nicht lange, nachdem sie im Kundendienst von Alberta Cable angefangen hatte. Wesley, dessen Eltern aus gehobenen Verhältnissen stammten, hatte sich von seiner Familie unabhängig gemacht, indem er nicht wie erwartet der elterlichen Anwaltskanzlei beigetreten war. Stattdessen hatte er begonnen, bei Alberta Cable als Kabelverleger zu arbeiten. Auf der Party hatte er an Rebeccas Tisch gesessen. Als Wesley herausgefunden hatte, dass sie Single war, hatte er seinen Charme voll aufgedreht und darin war er wirklich gut.
Am nächsten Morgen hatte sie Wesley in ihrem Bett gefunden.
Sie waren schon fast vier Jahre lang zusammen, als er ihr endlich einen Heiratsantrag gemacht hatte – per SMS!
Sie war gerade auf der Arbeit, als ihr Handy auf dem Schreibtisch zu vibrieren begann. Als sie einen Blick darauf warf, sah sie nur sechs Wörter.
»Rebecca Kingston, willst du mich heiraten?«
Erschreckt hatte sie aufgeschrien. »Wesley hat mir gerade einen Heiratsantrag gemacht!«
Das gesamte Büro war zu einem einzigen Chaos aus rauschendem Applaus und Glückwünschen geworden. Der Rest von Rebeccas Arbeitstag war danach in einem Gewirr von Gefühlen verflogen.
»Kommt Daddy auch zu dem Spiel?«, fragte Ella und unterbrach damit ihre Erinnerungen.
»Nein, Honey. Er muss arbeiten.«
Zumindest hoffte Rebecca das.
Vor sechs Monaten hatte Wesley Alberta Cable verlassen. Man hatte ihn gefeuert und ihn sogar aus dem Gebäude eskortiert, nachdem er eine Kundin in ihrem eigenen Haus angeschrien und sie gegen die Wand geschubst hatte. Es war vor allem nicht die erste Beschwerde gewesen, die gegen ihn eingegangen war. Seitdem hatte er immer wieder verschiedene Jobs angenommen, doch niemand wollte einen Angestellten, der seinen Jähzorn nicht unter Kontrolle hatte.
Auf Rebeccas Frage, was passiert war, hatte er etwas von einem Unfall gemurmelt und behauptet, dass ihn keinerlei Schuld traf. »Egal, was dieses Arschloch von einem Vorgesetzten dazu sagt«, hatte er gemeint.
Ungläubig hatte sie ihn angeschaut. Dafür hatte sie bezahlen müssen. Das blaue Auge, das er ihr verpasst hatte, hatte sie fast eine Woche lang im Haus festgehalten. Danach hatte sie die Scheidung eingereicht.
Seit er von der Firma weg war, hatte Wesley einen Gelegenheitsjob nach dem anderen angenommen. In den letzten zwei Monaten hatte er fast gar nicht mehr gearbeitet. Sie hoffte nur, dass er nicht gerade in seiner Wohnung saß und sich die Zeit mit Internetpornos vertrieb.
Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte Wesley seine Arbeitslosigkeit auf die Rezession geschoben, die auch tatsächlich viele Menschen in Schwierigkeiten gestürzt und einige etablierte Firmen ins Aus getrieben hatte. Aber die Wirtschaftskrise war nicht Wesleys wahres Problem. Sein Problem war sein Mangel an Motivation und die Unfähigkeit, seine blinde Eifersucht und Wut unter Kontrolle zu halten.
Vielleicht steckte Wesley ja auch in der Midlife-Crisis.
Und sie selbst vielleicht auch.
Denn es wurde immer schwieriger, nicht die Geduld mit ihm zu verlieren. Aber sie tat es für die Kinder. Außerdem hatte sie im Zusammenleben mit Wesley schon weitaus schlimmere Zeiten der Ungewissheit durchgemacht – viel schlimmere.
Rebecca sah ihre Tochter aufmerksam an. Ella war ein zierliches Kind, das zwei Monate zu früh auf die Welt gekommen war. Dafür hatte Wesley gesorgt.
Sie schüttelte den Kopf.
Nein. Was damals passiert ist, war nicht nur seine Schuld, sondern auch meine. Ich bin bei ihm geblieben, obwohl ich ihn hätte, verlassen müssen.
»Schnell, Mommy!«, sagte Ella und zog sie an der Hand.
Die Eishockeyarena lag nur fünf Minuten zu Fuß vom Parkplatz ihres Hyundai Accent entfernt, aber da sie noch für das Eis haltgemacht hatten, war Rebecca froh, dass sie rechtzeitig losgefahren waren.
»Glaubst du, dass Coltons Team heute gewinnt, Ella?«
Ihre Tochter verdrehte die Augen. »Na logo. Colton ist schließlich der Größte!«
»Der Größte«, stimmte Rebecca zu. Sie konnte nun die Tamarack Hockey Arena sehen, vor deren Eingangstüren sich schon viele Eishockeyfans drängten.
Rebecca nahm Ella an die Hand und zog sie näher zu sich heran.
Die Eishockeyfans von Edmonton waren schon fast Fanatiker. Es wäre nicht das erste Mal, wenn sich die Väter der gegnerischen Teams eine Schlägerei liefern würden. Im vorigen Jahr war sogar ein Kleinkind in einer Eishockeyarena im nördlichen Edmonton niedergetrampelt worden. Zum Glück hatte es überlebt.
»Bleib hier bei mir, Ella.«
»Hast du Colton schon gesehen?«
»Noch nicht.«
»Becca!«
Sie drehte sich in Richtung der Stimme um und ließ ihren Blick über die Zuschauerränge schweifen. Dann entdeckte sie Wesley nahe der Seite des heimischen Teams. Er hätte gar nicht hier sein sollen. Das Abkommen ihrer Trennung legte fest, dass er die Kinder nur zu festgelegten Besuchszeiten sehen durfte. Wenn die Scheidung endlich durch war, würden diese Besuche auch nur noch im Beisein eines Sozialarbeiters stattfinden – sofern Carter Billingsley, ihr Anwalt, sich durchsetzen könnte. Davon hatte sie Wesley wohlweislich noch nichts erzählt.
»Ich hab euch Plätze freigehalten«, rief Wesley. Sein Blick legte ihr nahe, keine große Szene daraus zu machen – denn sonst …
Rebecca seufzte verhalten. Fantastisch. Ganz toll.
»Setzen wir uns zu Daddy?«, fragte Ella.
»Ja, Honey. Oder willst du lieber woanders sitzen?« Irgendwo, überall, flehte sie innerlich.
Trotz Rebeccas unausgesprochener Bitte drückte sich Ella an den Knien vorbei, die in den Gang hineinragten, und lief auf Wesley zu. Rebecca setzte sich neben sie und wehrte sich gegen die Schuldgefühle, weil sie ihre Tochter zwischen sich und ihrem Mann platzierte.
»Hier neben mir ist auch noch einer frei«, sagte Wesley.
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