Ich lächle automatisch zurück und auch Elias’ Gesicht leuchtet.
»Das ist es also, was Dads Abteilung in letzter Zeit so beschäftigt hat«, sprudelt es auf den Treppen zum U-Bahn-Schacht aus mir heraus. »Kanada!«
»Meinst du, er hatte etwas mit dem Beitritt zu tun?«, fragt Elias, neugierig wie immer, wenn es um das Parlamentarieramt meines Vaters geht.
»Möglich ist es.«
Wir gelangen zu den Terminals, ohne anstehen zu müssen, und Elias scannt sein Smartphone. Er verschwindet hinter der Absperrung, während ich mit fahrigen Fingern in meiner Jackentasche herumkrame. In meiner leeren Jackentasche.
»Elias?«
Doch über dem Stimmengewirr im U-Bahn-Schacht hört er mich nicht. Verzweiflung steigt in mir auf, während die Schlange der Wartenden hinter mir immer länger wird. Ich durchsuche meine Tasche, aber mein Handy ist nirgendwo zu finden. Das kann doch nicht wahr sein, nicht schon wieder!
»Ist das hier vielleicht deins?« Ein Mädchen an dem Terminal neben mir hält mir fragend ein schwarzes Smartphone hin. Sie ist älter als ich und sicher keine Studentin, aber ich glaube auch nicht, dass sie in einem der Büros in den Türmen der Administration arbeitet. Ihre dunklen Haare haben sich aus dem unordentlichen Knoten gelöst und auch sonst wirkt ihre Erscheinung zwischen den akkurat geknöpften Hemden und faltenfreien Mänteln um uns herum eigentümlich deplatziert. Ich nicke erleichtert und will mich gerade bedanken, da verschwindet das Lächeln des Mädchens. Ich bemerke, wie ihr Körper sich anspannt. Misstrauisch fahre ich herum und entdecke einen glatzköpfigen Mann, der sich durch die Menge der Fahrgäste auf uns zubewegt. Einen Moment lang scheint es, als hätte er es auf mich abgesehen, doch dann streckt er den Arm nach dem Mädchen aus, das mir hastig mein Smartphone zusteckt und mir bedeutet, durch die Absperrung zu verschwinden.
»Wer sind Sie?«, wende ich mich jedoch empört an den Glatzkopf, der den Arm des Mädchens festhält, als wäre es eine Verbrecherin.
Er mustert mich und hält mir dann, als wäre das eine völlig überflüssige Frage, seine Identifikation entgegen, die ihn als Ordnungswahrer ausweist. Hat er geglaubt, ich sei bestohlen worden? Aber selbst dann ergibt sein Einschreiten wenig Sinn, denn Ordnungswahrer sind keine Polizisten. Und normalerweise sind sie freundlich. »Routinemäßige Ausweiskontrolle«, sagt er und überfliegt die Identifikation auf meinem Smartphone, ohne meine Retterin loszulassen.
Der Ärmel ihres groben Wollmantels ist hochgerutscht, und mein Blick flackert zu dem weißen E auf ihrem rechten Handgelenk, das ich im ersten Moment für eine schlecht verheilte Narbe gehalten habe. Die Nadelstiche sind nicht annähernd so fein, wie ich es von den Traitmarks aus der Werbung gewöhnt bin. Und da ist es wieder, dieses lähmende Gefühl, das mich durchströmt hat, kurz bevor ich gestern auf den Boden des Stadions geknallt bin. Das Gefühl, etwas nicht aufhalten zu können, obwohl ich es kommen sehe.
Ich weiß, dass ich von hier verschwinden sollte, aber meine Füße bleiben stehen.
»Kannst du dich ausweisen?«, wendet sich der Ordnungswahrer an die Emotionale und betont dabei jede Silbe, als spräche er mit einem Kleinkind.
Mittlerweile hat sich ein Knäuel von Menschen vor den Terminals gebildet und unwilliges Gemurmel wird laut. Die junge Frau, die ihre Haltung wiedergewonnen hat, fährt mit ihrer freien Hand in die Tasche ihres Mantels, dann reicht sie dem Mann ein zerknittertes Stück Papier.
»Bitte, ich muss mich beeilen, ich bin auf dem Weg zu meinem Bruder. Er liegt im Krankenhaus.«
»Immer mit der Ruhe.« Der Ordnungswahrer dreht den Ausweis prüfend in seinen Fingern hin und her und ich betrachte das Gesicht der Emotionalen. Der Pony und ihre feste Stimme täuschen darüber hinweg, dass sie kaum älter als neunzehn Jahre sein kann.
»Du bist Yana Faray?«
»Ja.« Sie deutet auf das zerfledderte Dokument in seiner Hand, verkneift sich aber einen Kommentar.
Der Mann gibt ihr wortlos den Ausweis zurück, dann wendet er sich an mich. »Hat sie versucht, Ihnen etwas zu klauen?«
Ich schüttle hastig den Kopf. »Nein. Nein, Sir«, füge ich hinzu und schließe meine Finger fest um mein Smartphone.
Nach einem prüfenden Blick nickt der Ordnungswahrer mir zu und dreht sich wieder zu der Emotionalen. »Pass auf, dass du dich im Krankenhaus unter Kontrolle hast. Dein Bruder kann Hysterie jetzt am wenigsten gebrauchen.« Er wirft noch einen letzten Blick auf Yanas narbenhaftes E, bevor er zurücktritt und wieder bis zur Unkenntlichkeit mit der Wand in seinem Rücken verschmilzt.
Yana Faray steckt hastig einen gelben Transportchip in den Schlitz, der früher einmal für Münzen benutzt wurde, und schiebt sich durch die Absperrung neben mir, noch ehe sie sich ganz geöffnet hat.
»Geht das da vorne mal weiter?«, schimpft eine Stimme hinter mir und ich scanne mit einem entschuldigenden Blick meine Identifikation, bevor ich nach Elias’ Arm greife, der hinter den Terminals beunruhigt auf mich gewartet hat.
»Lass uns nach Hause fahren.«
Ich folge ihm zu unserem Gleis, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ein flaues Gefühl macht sich in meinem Magen breit. Seit der Gründung der Gläsernen Nationen vor fünf Jahren habe ich mich in New York noch nie unsicher gefühlt. Ich frage mich, ob Yana Faray das Gleiche behaupten kann.
Es klopft an der Tür und ich springe auf. Endlich!
»Sorry. Ich konnte nicht direkt herkommen, die Ordnungswahrer haben mich angehalten, und ich musste erst meinen Bruder im Krankenhaus besuchen, um keinen Verdacht zu erregen. Ich hasse sie, sie alle mit ihrer herablassenden Art!«
Ich ziehe Yana in das kleine Hotelzimmer, bevor sie weiter den ganzen Flur unterhalten kann. Mit einem raschen Blick vergewissere ich mich, dass uns niemand beobachtet hat, obwohl ich mir diese Mühe in einer Absteige wie dem Maddie wahrscheinlich sparen könnte. Hier hört jeder nur das, was er hören soll.
Yana lässt sich erschöpft auf die Pritsche fallen und befreit ihr Haar aus dem strengen Dutt, den sie sich gemacht hat, um in New York City nicht noch mehr aufzufallen, als sie es sowieso schon tut. »Ich meine es ernst. Diese Art von Aufträgen bringt mich eines Tages noch um!«
Stumm nehme ich ihr das Smartphone ab, das wir für solche Einsätze benutzen. Ich betrachte die erfolgreich kopierte ID, bevor ich meine Partnerin mustere. Die dunklen Schatten unter ihren Augen erzählen eine andere Geschichte als ihr lockeres Lächeln. Wut steigt in mir auf. Es war ein Anfängerfehler, den Ordnungswahrer in der U-Bahn zu übersehen, aber daran trägt Yana keine Schuld. »Beth hätte dich so kurz nach dem Vorfall in Arizona nicht wieder einsetzen dürfen, erst recht nicht für einen so gefährlichen Auftrag wie diesen hier«, sage ich.
»Entspann dich.« Yana steht vom Bett auf und kniet sich vor die Minibar. »Der Ordnungswahrer hat mich garantiert schon längst vergessen. Für ihn bin ich nichts weiter als der lebende Beweis dafür, dass Emotionale nicht alle Tassen im Schrank haben.« Sie nimmt sich eine Flasche Bier aus dem winzigen Kühlschrank und öffnet sie gekonnt mit einem Schlüssel. Ihre Fassade ist taff, aber ich habe schon zu oft Angst in den Augen von Menschen gesehen, um sie nicht zu erkennen, wenn sie mir ins Gesicht starrt. Da kann Yana so viele Sprüche klopfen, wie sie will, immerhin habe ich dieses Spiel quasi erfunden.
»Und du bist sicher, dass das Mädchen nichts bemerkt hat?«
»Wenigstens das ist nach Plan gelaufen«, erwidert Yana. »Du solltest allerdings wissen, dass ich nicht die Einzige war, die in ihren Daten rumgeschnüffelt hat. Anscheinend wurden ein paar Fotos kopiert, alle von ihr mit einem dunkelhaarigen Jungen. Ganz süß, wenn du mich fragst.«
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