Die Summe von Jasmines kleineren und größeren Gemeinheiten wird in meiner Erinnerung lebendig. Ich straffe meine Schultern.
»Rationale sind vielleicht ehrgeizig«, sage ich leise und deutlich. »Aber sie sind keine kaltherzigen Menschen.«
Jasmine dreht sich noch einmal um. Spöttisch verzieht sie die frisch nachgeschminkten Lippen. »Danke für den Ratschlag der Expertin. Sonst noch was?«
»Ja, allerdings«, zische ich. »Du solltest an deiner Impulsivität arbeiten. Es wäre ja schließlich blöd, wenn dir so ein Ausrutscher wie eben im Athene-Zentrum passiert und du am Ende mit einem E dastehst.«
Jasmine starrt mich ungläubig an, aber ich bin die Regeln der Highschool-Monarchie leid, die sie zu unserer selbst gewählten Königin machen. Und ich bin es leid, die Klappe zu halten, damit Elias sich nicht zwischen seinen Freunden entscheiden muss. »Ach, noch etwas: Lass gefälligst endlich Fiona in Ruhe!«
Ich kann mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen, als ich der erstarrten Jasmine den Rücken zukehre und sie ohne ein weiteres Wort im Eingang des Duschraums stehen lasse.
Unter der Dusche spüre ich plötzlich, wie erschöpft ich eigentlich bin. Die Prüfungen zum Ende des Schuljahres, das ungewöhnlich anstrengende Training und mein herannahender sechzehnter Geburtstag fordern ihren Tribut. Seufzend schließe ich die Augen, lege den Kopf in den Nacken und lasse das heiße Wasser auf mein Gesicht prasseln. Ich muss mir dringend noch eine Ausrede zurechtlegen, warum ich dieses Jahr wieder keine Party gebe. Elias wird enttäuscht sein, aber es geht nun mal nicht. Das kann ich Dad nicht antun. Meine Gedanken wandern von meinem Vater zu Coach Verse, dem Dank, den ich Dad ausrichten soll – und der seltsamen Verabschiedung. »Pass auf dich auf.« War das nur eine einfache Floskel? Es klang fast wie eine Warnung. Ich schüttle den Kopf. Das kann nicht sein. Wovor müsste ich schon gewarnt werden?
Ein Scheppern lässt mich aufschrecken. Ich drehe das Wasser ab und taste nach meinem Handtuch, doch als sich der Dampf auflöst, ist niemand im Raum zu sehen. Schulterzuckend trockne ich mich ab, als meine nackten Füße beinahe über meine Wasserflasche stolpern. Der Inhalt meiner Tasche liegt kreuz und quer auf dem Boden verteilt, und ich bücke mich fluchend, um mein Tablet, das zum Glück in seiner Hülle geschützt ist, die leere Papiertüte, in die mein Sandwich eingewickelt war, und die nun klitschnasse Schuluniform wieder hineinzustopfen. Die Tasche an mich gedrückt, laufe ich zurück in die Umkleide und ziehe mich an, ohne mir etwas anmerken zu lassen. Über die Jahre habe ich schon viele Rachemanöver von Jasmine gesehen, nur bin ich bisher selten ihr Opfer gewesen. Zumindest dann nicht, wenn Elias in der Nähe war.
Nach einem Blick auf meine durchnässte Uniform schließe ich meine Jacke kurzerhand direkt über meinem Sport-BH und will schon den Reißverschluss der Tasche zuziehen, als mir das leere Seitenfach auffällt, in dem normalerweise mein Handy steckt.
Ich schaue mich um, doch mittlerweile ist nur noch eine Hand voll Nachzüglerinnen in der Umkleide. Fiona verabschiedet sich mit ihrem üblichen Lächeln, und ich antworte abwesend, ohne wirklich gehört zu haben, was sie gesagt hat. Wo ist mein Handy? Ich fahre mir durch die nassen Haare. Was, wenn meine Fotos und die Chatverläufe mit Elias in falsche Hände geraten? Nicht, dass er mir jemals etwas geschrieben hätte, aus dem mehr herauszulesen wäre, aber man würde zweifellos bemerken, wie oft ich mir die Bilder von uns ansehe. Und was ich dem Onlinetagebuch Tell Your Story anvertraue, obwohl ich schon seit Jahren behaupte, die App gelöscht zu haben. Langsam werde ich nervös. Dad wäre außer sich, wenn er wüsste, was in mir vorgeht! Laut meinem Vater ist es nie zu früh, sich Gedanken darüber zu machen, womit man sich seine Zukunft ruiniert. Ganz zu schweigen von dem Spießroutenlauf, zu dem Jasmine und ihr Gefolge mein Leben an der Serenity-Highschool machen würden, wenn sie von meiner geheimen Schwäche wüssten.
Mit wachsender Unruhe laufe ich zurück in den Duschraum, doch auf den nassen Fliesen ist nichts zurückgeblieben. Panik macht sich in mir breit, während ich die Fächer absuche – aber dann stoße ich erleichtert den Atem aus und greife nach dem schwarzen Handy in der hintersten Ecke der Ablagen. Es muss aus meiner Tasche gerutscht sein, als ich sie in das Fach geschoben habe.
Eine gelbe Servicemeldung ploppt auf und ich lösche sie vom Bildschirm, ohne die Nachricht zu lesen. Für nervige Updates habe ich jetzt wirklich keine Geduld mehr übrig. Langsam beginnt mein Puls, sich zu beruhigen. Es ist alles gerade noch einmal gut gegangen. Mein Geheimnis ist sicher.
Die grüne Linie ist wie immer zu voll, um noch einen Sitzplatz zu ergattern. Als wir den Lincoln Tunnel durchquert haben und der Bus viel zu schnell durch die engen Straßen von Upperlake braust, verliere ich das Gleichgewicht und stolpere gegen Elias.
»Entschuldige.«
Sein Gesicht ist keinen Zentimeter von meinem entfernt und ich halte den Atem an. Ich sollte nach einer der Stangen greifen, um mich festzuhalten, aber meine Arme haben aufgehört, meinem Gehirn zu gehorchen. Spürt er, was mit mir los ist?
»Hier.« Elias schiebt mich ein Stück von sich und hebt meine zu Boden gefallene Tasche auf.
Ich lächle und wende mich ab, als wäre nichts geschehen. Der Bus öffnet seine Türen und ich springe auf den Bürgersteig.
Elias und ich sind Freunde , weise ich mich zurecht. Mehr als das, wir sind die besten Freunde. Meine verwirrenden Gefühle dürfen das nicht kaputt machen!
»Mum und Dad wollen am Samstag im Central Park picknicken«, sagt Elias, während wir an den gepflegten Vorgärten unserer Straße entlanglaufen. »Zumindest, wenn das Wetter so schön bleibt.« Als ich nichts erwidere, fügt er hinzu: »Das war eine Einladung. Mum sagt, sie macht auch ihre Zitronenlimonade. Ich weiß doch, wie sehr du das künstliche Zeug von eatdaily hasst.«
Er zwinkert mir zu und ich beschließe, den seltsamen Moment im Bus zu vergessen. Wahrscheinlich hat Elias mich noch nicht einmal mit Absicht von sich geschoben.
»Wie sollte ich bei einer so herzlichen Bitte Nein sagen?«, lache ich.
Elias räuspert sich und springt mir in den Weg. »Skye Anderson, würdest du mir die Ehre erweisen, mich auf einen unendlich langweiligen Familienausflug zu begleiten und damit meinen freien Tag zu retten?«
»Solange es sich dabei nicht um eine Tarnung für eine Überraschungsparty handelt, gern.«
Beim Anblick von Elias’ zerknirschtem Gesichtsausdruck stöhne ich auf. Jedes Jahr stelle ich klar, dass ich meinen Geburtstag nicht feiern will, und jedes Jahr sucht Elias nach einem Weg, um mich zu überreden.
»Wenigstens den sechzehnten, Skye.«
Ich schüttle den Kopf. Das Lachen ist mir vergangen. »Ich glaube nicht, dass sich Dads Meinung zum Thema Geburtstagspartys geändert hat.«
»Deshalb feiern wir ja auch bei mir!« Elias legt seine Hand auf meinen Arm und sagt leise: »Du kannst dich nicht bis in alle Ewigkeit für etwas bestrafen, das nicht deine Schuld ist.«
Woher willst du wissen, dass es nicht meine Schuld war? , denke ich bitter.
»Nächstes Jahr, okay?«, verhandele ich. »Außerdem klingt ein Picknick im Grünen viel mehr nach dem, was ich mir unter einem schönen Tag vorstelle, als eine bescheuerte Party.«
Vor allem, wenn Jasmine auf der Gästeliste steht , füge ich in Gedanken hinzu.
Elias gibt sich mit erhobenen Händen geschlagen. »Dann fange ich wohl besser an, Backen zu üben, damit ich auch etwas zum Picknick beisteuern kann.«
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