»Uff.« Sie lehnte sich an ihn und ihre Wärme schwappte wie eine Welle durch ihn hindurch. Er musste die Hände zu Fäusten ballen, um sich davon abzuhalten, die Arme um sie zu schlingen und seine Finger in ihre Haut zu drücken.
Cora Jean lehnte den Kopf nach hinten an seine Brust, bis sie seinen Blick auffangen konnte. Er war heiß und intensiv, als könnte sie seine Gedanken lesen. Die Reaktion seines Körpers auf den ihren brachte ihn kurz ins Straucheln. Hätten sie sich zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort befunden, dann ...
»Wer ist da?«, rief eine Stimme aus dem Haus am Ende des Gartens.
Er schaute hoch und entdeckte eine Silhouette auf der Terrasse, die ihre Hände in die Hüften stützte.
»Das ist Della Thorsen«, murmelte Cora Jean.
Gray hob winkend die Hand. »Wollen wir abhauen?«, fragte er leise.
»Geh du. Ich werfe mich Della zu Füßen und flehe um Gnade.«
»Spar dir das Flehen für einen besseren Zeitpunkt.« Seine Stimme klang bei diesen Worten seltsam belegt. »Ich helfe dir über die Mauer.«
»Und wie willst du das bewerkstelligen?«
»So.« Er drehte die Innenflächen seiner verwobenen Hände nach oben und hockte sich vor die Mauer.
Sie seufzte. »Ich bin zu schwer. Ich breche dir noch die Finger.«
»Kein Problem, sie sind versichert.«
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.
Er grinste. »Hey, ich gehe davon aus, dass du mittlerweile weißt, wer ich bin. Diese Finger sind mein Werkzeug. Wenn ich sie verliere, ist auch ein Haufen Geld weg.«
»Ein guter Grund für mich, nicht auf sie zu treten«, befand Cora Jean. »Und fürs Protokoll: Ich habe immer gewusst, wer du bist. Du hattest eine Mütze auf, keine Maske.«
»Na dann danke, dass du mir keine Sonderbehandlung hast zukommen lassen.«
»Ich habe dich vor den Eiern gewarnt«, zeigte sie auf. »Das finde ich schon besonders.«
»Ich verständige die Polizei!«, drohte Della von der Terrasse aus. »Das hier ist Privatbesitz!«
»Komm schon«, drängte Gray. »Verschwinden wir.«
Mit skeptischer Miene schob sie den Fuß in die Stufe, die er mit seinen Handflächen geformt hatte, und streckte die Arme hoch. Sich aufrichtend, drückte Gray Cora Jean hoch, bis sie die Oberkante der Mauer greifen konnte.
»Was jetzt?«, fragte sie. »Ich glaube nicht, dass ich mich rüberschwingen kann.«
»Halte dich einfach fest. Ich schiebe dich noch mal an.« Diesmal umfing er ihre Hüften. »Gleich«, warnte er sie vor. »Versuch, das Momentum zu nutzen.«
»Ich lasse die Hunde raus«, rief Della Thompson. »Fass, Dodger!«
»Dodger ist siebzehn Jahre alt und inkontinent«, murmelte Cora ihm zu. »Ignorier sie.«
Gray schob die Hände hoch, bis sie direkt unter der Wölbung ihres Hinterns lagen und gab ihr einen weiteren Schubs. Sobald sie durch den Schwung die Beine auf die andere Seite der Mauer bekommen hatte, ließ er los. Im letzten Moment wich er einen Schritt zurück, um einer Kollision mit ihrem Fuß zu entgehen. Dann hatte sie es über die Mauer geschafft. Anlauf nehmend, fasste er nach dem oberen Rand der Steine und zog sich mühelos hinauf, bevor er auf der anderen Seite landete.
»Bei dir sieht das so einfach aus«, murmelte Cora Jean. »Das ist nicht fair.«
Diesmal blieben sie nicht lange genug, um dem Hausbesitzer die Gelegenheit zu geben, ihnen die Hunde auf den Hals zu hetzen. Gray schnappte sich Coras Hand und sie rannten zum Tor auf der anderen Seite des Gartens. Ein Riegel war vorgeschoben und das Schloss rostig, aber mit einem Rütteln bekam er das alte Ding auf und überließ der Dame den Vortritt.
Sobald sie auf der anderen Seite waren, fing Gray an, zu lachen. Nicht nur, weil sich der ganze Morgen völlig absurd gestaltet hatte, sondern auch, weil das Adrenalin, das durch seine Adern pumpte, ihn sich ein wenig high fühlen ließ. Gegen den Zaun lehnend, richtete er den Blick gen Himmel, während die Belustigung in Form von lautem Gelächter aus seiner Brust drang.
»Das ist nicht komisch«, meinte Cora Jean, die so heftig lachte, dass sie ein paar Tränen vergoss. »Stell dir die Schlagzeilen vor: Gray Hartson bei Flucht aus Kirche von Höllenhunden zerfleischt. Das würde man dir nie vergessen.«
»Meinem Pressesprecher gefiele das«, bemerkte er. »Die Platten würden sich wie von selbst verkaufen.«
Eine weitere Träne rollte über ihre Wange. Ohne nachzudenken, streckte er die Hand aus, um sie wegzuwischen. Ihre Wangen leuchteten rosa, und der Anblick stellte irgendetwas mit ihm an.
Irgendetwas verdammt Gutes.
»Du bist wirklich hübsch«, sagte er mit sanfter Stimme und nahm ihren Anblick in sich auf. Hohe Wangenknochen, weiche Lippen, eine Nase, die so gerade war, dass er damit eine Linie hätte ziehen können ... Und diese verdammten Augen, die nicht mehr belustigt wirkten. Stattdessen starrten sie in seine.
Sie stand bloß einen Meter von ihm entfernt, aber die Distanz fühlte sich zu groß an. Mit einem Schritt überbrückte er den Abstand und strich mit dem Finger über ihre Wange zu ihren Lippen hinab, wo er den Bogen ihrer Oberlippe nachzeichnete, während ihr warmer Atem ihn traf.
Gott, sie war so süß und weich. Er legte eine Hand in ihren Nacken und neigte ihren Kopf zu ihm hoch. Dabei sagte sie kein Wort. Ihr Blick war abwägend, als wartete sie darauf, dass er den nächsten Schritt machte. Er beugte sich vor und ihr Atem stockte. Die andere Hand um ihre Taille gelegt, zog Gray ihren Körper an sich. Das Verlangen nach ihr pulsierte wie wild durch ihn hindurch. Begierde ersetzte das Adrenalin in seinem Blutstrom.
Cora blinzelte und er schwor, ihre Wimpern an seiner Haut zu spüren. Ihre Lippen waren bloß einen Atemzug von seinen entfernt, so nah, er konnte die Vorfreude schon auf seiner Zungenspitze schmecken. »Cora«, flüsterte er und senkte den Mund näher an ihren. »Was stellst du nur mit mir an?«
Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Sie zuckte zurück und kappte die Verbindung zwischen ihnen. Kopfschüttelnd leckte sie sich über die Unterlippe und machte einen Schritt von ihm weg. »Es tut mir leid. Du solltest ab jetzt alleine klarkommen. Ich muss los ...« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
Nun war Gray an der Reihe zu blinzeln. Was zum Teufel war gerade passiert? In der einen Minute schien es unausweichlich, sie zu küssen. Und in der nächsten? Es war, als hätte ihn jemand mit einem Eimer voll kaltem Wasser übergossen.
Um ihr für ihre Hilfe zu danken, öffnete er den Mund, aber sie rannte bereits ohne einen Blick zurück auf den Stadtplatz zu. Gray beobachtete sie mit einem Seufzen. Diese Frau war höllisch faszinierend. Und falls sie dachte, ihm entkommen zu können, wusste er es besser.
Frühstück im Diner hatte er eben zu seinem neusten Lieblingszeitvertreib erkoren.
»Nie im Leben bist du durch fremde Gärten gerannt und über Zäune geklettert«, meinte Tanner kopfschüttelnd, nachdem Gray von seiner Flucht aus der Kirche berichtet hatte.
Gray war seit zwei Stunden zu Hause und Tante Gina hatte ihnen Lunch vorgesetzt. Er und Tanner waren dabei, die Küche sauberzumachen, während sie und Becca seinem Dad Gesellschaft leisteten. »Das erfindest du doch alles.«
»Tu ich nicht. Frag Cora Jean im Diner. Sie ist diejenige, die mir geholfen hat.«
»Cora Jean?« Tanner hob eine dunkle Augenbraue. »Du willst mir weismachen, Cora Jean wäre über eine zwei Meter hohe Wand gesprungen?« Er grinste. »Jetzt weiß ich, dass du lügst.«
»Warum sollte ich lügen?«, wollte Gray verwirrt wissen.
»Weil Cora Jean vierundsiebzig ist. Du erinnerst dich sicher noch an sie. Sie hat uns immer kleine Rabauken geschimpft, wenn wir als Kinder einen Saustall angerichtet haben.« Tanner zog die Stirn kraus. »Komm schon, du musst dich erinnern.«
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