Wo der Gegenstand die Eifersucht seiner Natur nach ausschließt, so ist es die christliche Religion, die christliche Liebe.
15. Begriff von Philologie: Sinn für das Leben und die Individualität einer Buchstabenmessung. Wahrsager aus Chiffern; Letternaugur. Ein Ergänzer. Seine Wissenschaft entlehnt viel von der materialen Tropik. Der Physiker, der Historiker, der Artist, der Kritiker etc. gehören alle in dieselbe Klasse. (Weg vom Einzelnen aufs Ganze – vom Schein auf die Wahrheit et sic porro. Alles befaßt die Kunst und Wissenschaft, von Einem aufs Andere, und so von Einem auf Alles, rhapsodisch oder systematisch zu gelangen; die geistige Weisekunst, die Divinationskunst.)
16. Nichts ist dem Geist erreichbarer, als das Unendliche.
17. Sofie, oder über die Frauen.
18. Vorrede und Motto zu den Fragmenten.
19. Verhältnisse des Titels, Plans und Inhaltsverzeichnisses. Notwendigkeit einer Nachrede .
20. Ist der äußere Reiz vielleicht nur zur Bewußtwerdung nötig? – Die Wirkung erfolgt jetzt nicht, sondern wir werden sie uns jetzt nur bewußt. – Es kommt uns vor, als geschähe es erst jetzt – und zwar durch Sollizitation von außen. Der Verstand trennt nur zum Behuf seines Zwecks des Trennens [B(ewußt)S(seins)].
21. An schlechten und mittelmäßigen Schriftstellern ließe sich noch mancher schöne Kranz verdienen. Man hat bisher fast lauter Schlechtes und Mittelmäßiges über dieselben – und doch würde eine Philosophie des Schlechten, Mittelmäßigen und Gemeinen von der höchsten Wichtigkeit sein.
22. Ein Roman ist ein Leben als Buch. Jedes Leben hat ein Motto, einen Titel, einen Verleger, eine Vorrede, Einleitung, Text, Noten etc., oder kann es haben.
23. Philologie im Allgemeinen ist die Wissenschaft der Literatur. Alles, was von Büchern handelt, ist philologisch. Noten, Titel, Mottos, Vorreden, Kritiken, Exegesen, Kommentare, Zitaten sind philologisch. Rein philologisch ist es, wenn es schlechterdings nur von Büchern handelt, sich auf solche bezieht und sich durchaus nicht auf die Originalnatur direkte wendet. Mottos sind philologische Texte. – Sie ist teils philosophisch, teils historisch; jenes ist ihr reiner Teil, dies ihr angewandter. Gelehrter im strengen Sinn ist nur der Philolog. Diplomatie ist philologisch, – die Historie auch.
24. Philosophie des Lebens enthält die Wissenschaft vom unabhängigen, selbstgemachten, in meiner Gewalt stehenden Leben – und gehört zur Lebenskunstlehre, oder dem System der Vorschriften, sich ein solches Leben zu bereiten. Alles Historische bezieht sich auf ein Gegebnes, so wie gegenteils alles Philosophische sich auf ein Gemachtes bezieht. – Aber auch die Historie hat einen philosophischen Teil.
25. Unsere Meinung, Glaube, Überzeugung von der Schwierigkeit, Leichtigkeit, Erlaubtheit und Nichterlaubtheit, Möglichkeit und Unmöglichkeit, Erfolg und Nichterfolg etc. eines Unternehmens, einer Handlung bestimmt in der Tat dieselben. Z. B., es ist etwas mühselig und schädlich, wenn ich glaube, daß es so ist, und so fort. Selbst der Erfolg des Wissens beruht auf der Macht des Glaubens. In allem Wissen ist Glauben.
26. Allgemeine Sätze sind nichts, als algebraische Formeln. Die reine Philosophie ist daher gerade so etwas, wie die Lettern-Algebra. So eine Formel kann ein Gattungs, ein Klassen- und Lokalzeichen sein – methodischer Name einer echten genetischen Definition. Definition ist ein Faktum. Die Bezeichnung dieses Faktums ist die gemeinhin sogenannte Definition. (Auf eine ähnliche Weise wie sich die Logarythmen auf die geometrischen Progressionen beziehn, kann sich der Mechanism auf den Organism beziehn: bloß Bezeichnungsweise.)
27. Auch die Grammatik ist philologisch zum Teil; der andre Teil ist philosophisch.
28. Die eingezogene Erziehung der Mädchen ist für häusliches Leben und Glück darum so vorteilhaft, weil der Mann, mit dem sie nachher in die nächste Verbindung treten, einen desto tiefern und einzigen Eindruck auf sie macht, welches zur Ehe unentbehrlich ist. Der Erste Eindruck ist der mächtigste und treuste, der immer wiederkommt, wenn er auch eine Zeitlang verwischt scheinen kann.
29. Echte Kunstpoesie ist bezahlbar. Die Poesie aus Bedürfnis – die Poesie, als Charakterzug, als Äußerung meiner Natur, kurz die sentimentale Poesie läßt sich aber nur ein indelikater, roher Mensch bezahlen.
30. Die Welt ist ein Universaltropus des Geistes, ein symbolisches Bild desselben.
31. Das Epigramm ist die Zentralmonade der altfranzösischen Literatur und Bildung.
32. Charaktere, wie die Theophrastischen, müssen nicht wahr, aber sie müssen durchaus witzig sein. Es müssen eine Masse Einfälle sein, die für den Geist einen Charakter ohngefähr so darstellen, wie die Buchstaben in einer geschriebenen Zeichnung einen Kopf oder sonst etwas.
33. Der vollkommenste Charakter würde der durchsichtige, der von selbst verständliche, der unendlich leicht und natürlich scheinende, durchaus bekannte, deshalb unbemerkte, übersehene und elastische sein.
34. Das Bekannte, worauf der Philosoph alles reduzieren, und wovon er ausgehn soll, muß das Urbekannte, – das absolut Bekannte sein. Alles Vollkommne ist uns natürlich und absolut bekannt.
35. Symbolische Behandlung der Naturwissenschaften. Was symbolisiert unser gewöhnliches Leben? Es ist ein Erhaltungsprozeß.
36. Alle Bezauberung ist ein künstlich erregter Wahnsinn. Alle Leidenschaft ist eine Bezauberung. Ein reizendes Mädchen eine reellere Zauberin, als man glaubt.
37. Über den Spruch: des Menschen Wille ist sein Himmelreich.
38. Tout est Vanité – ist der empirische Idealism. C'est la Philosophie des Esprits forts, des Gens du Monde, le Précipité d'une Vie vague et variée au possible. Tous les Vieillards, surtout, qui ont bien joui de leur Vie, prêchent ce système. Le jeune homme vigoureux l'entend et va préférer une Vanité gaie à une Vanité triste. Une Vérité triste n'est aussi qu'une Vanité, qui a perdu son teint frais et coloré, ses lèvres vermeilles, et la marche légère. Laideur de la Vieillesse est-ce qu'elle est donc plus réelle, que la beauté du premier Age – parcequ'elle est la dernière? C'est donc le dernier, qui a toujours Raison?
39. Jedes Buch, was der Mensch mit oder ohne Absicht, als solcher geschrieben hat, was also nicht sowohl Buch, als geschriebene Gedanken und Charakteräußerung ist, kann so mannigfaltig beurteilt werden, als der Mensch selbst. Hier ist kein Künstler, sondern der echte Menschenkenner kompetent; es gehört nicht für ein artistisches, sondern für ein anthropologisches Forum. So einseitig und unbillig, so arbiträr und inhuman Menschen beurteilt werden, eben so auch diese Art Schriften. Es gibt so wenig reifen Sinn für universelle Humanität – daß man sich auch über die Kritiken dieser Schriften nicht wundern darf. Gerade das Beste wird am leichtesten übersehen; auch hier findet der Kenner, für den der Mensch erst eigentlich vorhanden ist, unter dessen Augen er wird, unzählbare Nuancen, Harmonien und Gelungenheiten; nur er weiß sie zu apprezieren und bewundert vielleicht in einer sehr mittelmäßig, oder gar schlecht scheinenden Schrift eine seltne Kombination und Ausbildung menschlicher Anlagen, die herrliche Naturkunst eines Geistes, der sich ihm in einer barbarischen Form offenbart, weil er nur das Talent des schriftlichen Ausdrucks nicht besaß, oder vernachlässigte.
40. Fragmente über den Menschen.
41. Das Schwächungs- und Abhärtungssystem der strengen Moralisten und strengen Asketen ist nichts, als das bekannte, bisherige Heilungssystem in der Medizin. Ihm entgegen muß man ein Brownisches Stärkungssystem setzen, wie dem letztern. Hat dies schon jemand versucht? Auch hier werden die bisherigen Gifte und reizenden Substanzen eine große Rolle spielen, und Wärme und Kälte ebenfalls ihre Rollen wechseln.
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