»Der Teufel lebt weit weg. In einer großen Stadt in Amerika. Er ist gefährlicher als die meisten Menschen, die mir im Geiste begegnet sind. Es gibt kein größeres Ungeheuer in Menschengestalt als ihn. Er nennt sich Rechtsanwalt und dient noch größeren Herren. Es sind die, die unsere Erde zerstören. Und er wird es heute noch versuchen. Du bist in großer Gefahr, schöne weiße Frau. Er hat sehr böse, ihm hörige Menschen an seiner Seite. Ich sehe dich und ihn. Bitte pass gut auf dich auf, schöne weiße Frau.«
Die Schamanin, die Jutta auf einem Hocker gegenübersaß und sie nur anschaute, ihre Hände dabei um ihren Körper kreisen ließ, ohne Jutta zu berühren, fuhr fort:
»Im geläuterten Zustand entspricht das Herz des Wissenden dem Astralleib, der die Fähigkeit besitzt, in den Himmel aufzusteigen. Um diesen geläuterten Zustand zu erreichen, muss das Herz zuerst einmal zerbrochen werden und möchte davonlaufen, weil es unbewusst leidet. Es muss leider erst zu einer Ruine werden. Es werden die außergöttlichen Einflüsse darin zerstört. Erst danach wird das Herz wieder schlagen können und ist befreit vom Schmutz des Teufels. Mädchen, du bist wieder rein!«
Masimba verfolgte das Zeremoniell mit großem Erstaunen. Er hatte seiner Tante bei einem seelischen Reinigungsprozess noch nie beigewohnt. Er war fasziniert davon, was in Jutta physisch und psychisch vorging. Als guter Beobachter bemerkte er die Veränderungen. Sie waren derart deutlich, dass ihm schlagartig klar wurde, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als er auf der Schule gelernt hatte. Jutta richtete sich auf, sie begann zu strahlen. Es war ein Strahlen, das aus ihrem Inneren kam und das ganze Dorf im Abendlicht erhellte.
So etwas hatte Masimba noch nie erlebt.
Zur gleichen Zeit, als Jutta mit Masimba zu ihrer Tour zur Schamanin aufbrach, erreichte Wood der Anruf des Officers, den er gebeten hatte, ihm das Hotel von Jutta Spengler zu finden.
»Die Drogendealerin wohnt im >Table Bay Hotel<, Victoria & Alfred Waterfront. Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen. Ich stehe gerne weiterhin zu Ihrer Verfügung, Special Agent Wood!«
»Danke, Officer. Sie haben mir sehr geholfen!«
Joe Wood war schon so gut wie auf dem Weg zu dem Hotel. Er hatte es nicht geschafft, in der Zwischenzeit gute, zuverlässige Leute zu finden, die ihn bei seiner Mission unterstützen konnten. Also hatte er aufgerüstet. Sein Leihwagen glich einem Waffenlager. Waffen jeder Art konnte man locker in den Townships kaufen. Wood war zu allem entschlossen. Er wollte dem Rat der 13 beweisen, dass er zu Größerem fähig ist.
Ich muss das Risiko eingehen. Auf mich warten höhere Aufgaben in New York, sprach sich der eiskalte DEA-Agent selbst Mut zu.
Im Hotel angekommen, ging er mit forschem Schritt zur Rezeption. Zückte wieder seinen DEA-Ausweis, der in Südafrika eigentlich gar nichts bedeutet, und forderte die Dame in barschem Ton auf:
»Gefahr in Verzug. In welchem Zimmer wohnt der Gast aus Deutschland, Jutta Spengler!?«
Eingeschüchtert suchte die Rezeptionistin auf ihrem Bildschirm nach Frau Spengler.
»Zimmer 772. Aber sie hat vorhin ausgecheckt. Äh, ich will sagen, Sie kommen zu spät, Sir.«
»Hat sie eine Nachricht hinterlassen? Wissen Sie, wo ich sie finden kann? Ist sie zum Flughafen gefahren?«
»Nein Sir. Sie wurde von zwei Männern abgeholt. Einen davon kenne ich. Er ist Privatdetektiv und hat schon manchmal für unser Haus gearbeitet.«
»Gut. Sein Name, Adresse? Schnell bitte!«
Die Rezeptionistin kramte in einer Schublade und wurde fündig.
»Ich mache Ihnen eine Kopie seiner Visitenkarte, ja?«
Zwei Minuten später saß Wood wieder in seinem Leihwagen, programmierte das Navigationsgerät mit der Adresse des Privatermittlers und raste quer durch Kapstadt. Er kam vierzig Minuten später zu einer Bruchbude von Haus. Das ehemals blanke Messingschild sagte ihm, dass er richtig war. Er klingelte. Keine Reaktion. Wood trat kurzerhand die Tür ein. Eine Heckler & Koch Mark 23 in seiner Rechten. Im Büro des Mannes, der auf den Namen Jojowa Bakate hörte, lagen auf dem Schreibtisch gefühlte einhundert Zettel. Systematisch graste Wood den Tisch ab. Hier: „Jutta u. Masimba.“ Schlecht leserliche Handschrift. Und eine Telefonnummer. Auf der Rückseite des Kärtchens das Bild eines gut aussehenden, jungen Afrikaners mit einer riesig langen Rastamähne. Daneben stand in sorgfältig gemalter Schrift: Kunststudent und Maler.
»Officer, können Sie mir noch einmal helfen? Die Gesuchte ist nicht mehr im Hotel. Aber ich habe eine Handynummer. Bitte orten Sie, so schnell es geht, wo das Smartphone eingewählt ist und rufen mich auf dieser Nummer zurück. Danke. Ist sehr freundlich von Ihnen meine Mission zu unterstützen!«
Südafrika.
Arm und reich.
Reich an Kontrolle und Überwachung.
Arm die meisten Südafrikaner ...
Sieben Minuten später kam der Rückruf:
»Das Handy ist zur Zeit in Swellendam eingeloggt. Finden Sie den Ort?«
»Ich finde jeden Ort! Danke nochmals!«
Wood hatte das Gespräch schon unterbrochen, bevor der dienstbeflissene Officer der Polizeizentrale in Kapstadt noch etwas sagen konnte.
Wieder programmierte er sein Navi und raste erneut quer durch die Stadt. Richtung Osten; eine Fahrt von circa zwei, drei Stunden lag vor ihm.
Mit nur einer guten halben Stunde Differenz – ohne dass sie voneinander wussten – kamen Jojowa und Jonathan, wie auch Wood in Swellendam an. Der Vorteil lag auf Seiten von Jojowa. Er wusste, wo er Jutta und Masimba finden konnte. Sie fuhren auf direktem Weg die drei Kilometer nördlich nach Hermitage. Dort fragte Jojowa die erste Frau, die ihm über den Weg lief, nach einer Schamanin. Bekam die Antwort: »Wir haben nur eine, Neyila. Wir lieben sie. Sie wohnt dort in dem gelben Haus.«
Schon war das ungleiche Team bei dem gelben Haus. Kein Licht. Niemand da. Jojowa ging um das Haus. Im Garten kein Mensch. Er klopfte an der Tür des benachbarten Hauses.
»Ich suche Neyila. Kannst du mir helfen?«
»Sie ist vorhin mit einer weißen großen Frau und einem sehr jungen Rastaman in die Stadt gefahren. Wenn sie in der Stadt ist, geht sie immer ins >Paradise Organic<. Ein kleines Restaurant an der Hauptstraße.«
»Danke!«
Zwölf Minuten später hatten Jonathan und Jojowa das auch bei Touristen angesagte vegetarische Restaurant gefunden.
Jutta schrie laut auf, als sie den kleinen, zerknautschten alten Mann auf sich zukommen sah. Sie sprang vom Tisch auf, stürzte sich förmlich auf Jojowa und drückte ihn, als sei er der Heilsbringer.
Zufall oder nicht: Zur gleichen Zeit fuhr ganz langsam ein Waffenlager an ihnen vorbei. Wood auf der Suche nach der Frau, die er töten sollte. Er sah aus dem Augenwinkel das ungleiche Paar. Stoppte abrupt, fuhr dann langsam weiter und hielt keine zwanzig Meter von dem Lokal entfernt an. Er griff sich seine SIG Sauer, die neben ihm auf dem Beifahrersitz lag, entsicherte sie, schaltete den Rückwärtsgang ein und rollte ganz ruhig und langsam die paar Meter zurück.
Das muss sie sein. Keine andere weiße Frau verirrt sich um diese Zeit hierher. Weisenfeld, ich habe deine Beschreibung der Person verstanden!
Jutta Spengler, ich habe dich!
Und schon schoss er aus der 15-schüssigen 9mm SIG auf die am Tisch sitzenden Personen. Der erste Schuss traf nicht. Die fünf Personen am Tisch sprangen auf. Tumult in dem voll besetzten Lokal. Drinnen und draußen. Schreie und Flucht. Masimba umklammerte beschützend Jutta. In der Sekunde wurde er schon von einer Kugel getroffen. Er sank mit Jutta zu Boden. Jonathan erwiderte inzwischen das Feuer in das Dunkel hinein – die Straße war nicht beleuchtet –, Jojowa warf sich über die Schamanin und drückte sie zu Boden. Keine zehn Sekunden dauerte das grausame Schauspiel. Der das Feuer eröffnende Schütze raste mit seinem Wagen davon. Jonathan schoss noch sein Magazin leer, aber alles ging viel zu schnell.
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