»Nehmt ihn mit. Nach unten. Und: nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. Erneute Leibesvisitation, gründlich bitte. Gebt ihm Wasser und etwas zu essen und legt ihm zusätzlich die Fußfesseln an. Gebt ihm Küchenklamotten. Darin fühlt er sich wohl. Seine Sachen legt in mein Büro«, wies Gilmore die Uniformierten an. Seine Leute. Er war sich zu 200 Prozent sicher, dass er ihnen vertrauen konnte.
Sam Gilmore verließ den Raum, ging direkt ins Haupthaus zu Alberto de Morrero.
»Bitte, rufe sofort Franco, Winnfried und Jonathan zusammen. Wir müssen reden.«
VI
Jutta und Masimba warteten auf Jojowa. Er kam nicht zum verabredeten Zeitpunkt in die kleine Bar, in der Masimba arbeitete.
»Chef, Jojowa ist doch immer zuverlässig, oder? Er hat vorgestern den zweiten Teil seines Honorars von Jutta erhalten und ist seitdem verschwunden. Das ist mir nicht geheuer ...«
»Stimmt. Jojowa ist der zuverlässigste Mann, den ich in Kapstadt kenne. Ich habe noch eine andere Nummer von ihm und werde ihn gleich mal anrufen«, sagte der Barbesitzer, ein freundlicher Engländer, den es vor vielen Jahren nach Kapstadt verschlagen hatte, als sich seine damalige Frau von ihm trennte und er einfach nur Abstand gewinnen wollte.
Masimba hielt die Hand Juttas. In einer Mischung aus Annäherung an die schöne Deutsche und Mitgefühl. Er konnte beobachten, wie sie von Stunde zu Stunde unruhiger wurde.
Er wusste so gut wie gar nichts über die Malerin.
»Jutta. Bitte rede mit mir. Dich bedrückt doch sehr viel mehr. Es ist nicht nur die Suche nach deinem Freund, oder?«
Der sensible Shona, genauer Zezuru, ein Stamm aus der Mitte Zimbabwes, ahnte, dass hinter der Suche etwas ganz Anderes steckte.
Jutta war dankbar, dass Masimba fragte. Sie war in den letzten Tagen, speziell ab dem Moment, wo sie dem unangenehmen Mann in New York gesagt hatte, dass sie Franco definitiv nicht bespitzeln und ausliefern würde, damit das Ungeheuer ihn umbringen könne und sie mit, völlig verunsichert und hilflos. Allein in der Fremde. Gejagt, Liebeskummer und Monstern ausgesetzt, die jeder andere normale Mensch ebenfalls fürchten würde. Ihr Bruder, ihre Schwester! Würde der Verrückte aus New York seine Drohungen wahrmachen und die beiden auch umbringen lassen? Sie beantwortete sich die Frage mit JA, denn ihre Eltern hatte er ohne Skrupel killen lassen.
»Masimba. Ich bin in großer Not. Wenn ich dir die ganze Geschichte erzähle, stehst du auch auf deren Todesliste. Ich habe es mit einer Macht zu tun, die so mächtig ist, wie du es dir nicht vorstellen kannst und wie ich es mir auch nie hätte träumen lassen, dass es Ungeheuer wie diese auf der Welt gibt. Ich möchte dich nicht in die Gefahr bringen, in der ich seit vielen, vielen Wochen selbst bin. Deshalb: Lass es ruhen. Es ist lieb von dir, dass du dir Gedanken um mich machst ...«
»Nein. Ich möchte alles wissen. Du hast doch gemerkt, dass ich gewaltig auf dich stehe. Ich weiß ja, dass du nur Franco im Kopf hast. Es gibt wohl wenig Chancen, dich von ihm abzubringen. Sieh mich als deinen Freund. Glaub mir, jeder Mensch braucht im Leben einen echten Freund. Einen Menschen, dem man alles anvertrauen kann. Ich möchte ein solcher Freund für dich sein! Denn du hast niemanden. Das sehe ich dir an, Jutta.«
Und wieder nahm er ihre Hände, küsste sie zart und liebevoll – und schon war die Gefahr einer erneuten Sintflut sehr nahe. Jutta konnte nicht mehr an sich halten. Ihre Energie war aufgebraucht, seit Jojowa ihr gesagt hatte, dass er Franco gefunden hat. Sie wollte zur Ruhe kommen, wusste aber nicht, wie sie es anstellen sollte. In ihrem Kopf war Chaos ausgebrochen. Seit sie Joplin verlassen durfte. Immer nur auf der Flucht und zugleich auf der Suche. Zu viel für eine junge, sensible Künstlerin, die eigentlich am liebsten an ihrer Staffelei stand und in ihrer Traumwelt lebte.
»Ich habe da eine Idee, Jutta. Meine Tante Neyila ist Schamanin. Ich glaube, es wäre gut, wenn du sie triffst. Ich bin der festen Überzeugung, dass sie dir helfen kann, dich von deinen auf dir lastenden Flüchen zu befreien. Ich weiß, ihr Europäer meint, dass das alles Blödsinn sei. Aber glaube mir: Es gibt weit mehr in Südafrika als dumme ‚Neger‘, Birnen, Äpfel und fantastische Pflaumen, Weizen und Mais, Platin, Gold und Diamanten ...«
»Das weiß ich doch, Masimba. Doch wenn ich dich in meine Probleme mit reinziehe, dann bist du schon jetzt so gut wie tot. Aber dein Angebot, deine Tante zu treffen, nehme ich gerne an. Sie wird dir bestätigen, wie schwer es mit mir werden kann.«
Jutta saß da wie ein Häufchen Elend und weinte bitterlich.
»Klar, ich habe verstanden. Meine Tante wohnt weit weg. Ich habe nur ein Fahrrad. Wenn du uns einen Leihwagen mieten kannst, fahren wir zu ihr. Das ist, so denke ich, die beste Idee. Sie wird uns auch sagen können, was mit Jojowa los ist.«
»Wann wollen wir los?«
»Gleich.«
In der Sekunde kam der Besitzer der Bar. Auch er machte kein fröhliches Gesicht:
»Ich kann Jojowa nicht erreichen. Es ist mir ein Rätsel. Der ist zuverlässig, wie man es nur den Deutschen nachsagt«, sagte er zu Jutta gewandt und reichte ihr ein blitzsauberes Leinentuch, wie es die Barkeeper benutzen, wenn sie die Trinkgefäße noch einmal nachpolieren, bevor sie ihre Kreationen mixen und in ein Cocktailglas schütten, um es dann ihren Kunden zu kredenzen, die oft ihren Virus ´Sorge´ vernichten wollen. Es war binnen Sekunden gefüllt von salzigen Tränen.
»Boss, gib mir bitte frei. Ich muss sofort mit Jutta eine wichtige Reise antreten. Bin morgen Nachmittag wieder zurück. Wenn sich Jojowa meldet, sag ihm, dass wir uns um drei Uhr hier treffen, ja?«
»Haut ab. Wenn ihr noch was braucht, sagt es ruhig.«
»Ja, wir brauchen ein Auto.«
»Nehmt meinen Jeep«, sagte er und warf Masimba den Schlüssel zu. »Du weißt, er steht hinten. Ist vollgetankt, wenn euch das hilft ...«
»Raue Schale, weicher Kern. Er ist eine Seele von Mensch«, warf Masimba im Gehen Jutta zu.
Er war happy helfen zu können.
Jemand hat uns vermutlich einen Spitzel geschickt. Er heißt Jojowa Bakate und war lange Jahre Offizier im südafrikanischen Geheimdienst. Wir haben ihn in England ausgebildet«, begann Sam Gilmore ohne jede Vorwarnung das Gespräch, als er zum Haupthaus kam und sah, dass Alberto, Winnfried und Jonathan auf der Terrasse schon auf ihn warteten.
»Ich hoffe nur, dass es nicht ein weiterer verdeckter Angriff der gleichen Leute ist, die uns die Drohnen schickten. Dann wissen wir zwar, wer er wirklich ist, aber noch immer nicht, wer dahintersteckt!«, befürchtete Franco.
»Wo hast du ihn, Alberto? Ist es nicht vielleicht besser, du führst ihn uns vor, damit wir uns alle einen Eindruck von dem Mann verschaffen können?«
»Du denkst, das ist clever, Franco? Dann kennt er uns alle. Wir hätten keine andere Wahl, als ihn zu töten, wenn der Feind dahintersteckt, den wir vermuten. Aber wir sind keine Mörder«, erwiderte der Angesprochene.
»Lasst mal. Ich denke, Franco liegt richtig. Fünf clevere Gehirne gegen eines. Das ist für den Mann eine faire Chance sich zu verteidigen, oder?«, erhob der Jüngste, Winnfried, das Wort.
Und alle waren einverstanden.
Alberto: »Sam, bitte bring uns den Mann, den du festgesetzt hast. Wir wollen ihn kennenlernen.«
»Geht in Ordnung. Wenn ihr meint. Die Gefahr, dass er uns verrät, bleibt.«
»Ein Risiko, das wir eingehen sollten.«
Wieder Winnfried. Das erwachsene Kind.
Fünf Minuten später kamen Sam Gilmore und zwei seiner Sicherheitsleute mit dem kleinen, alten, ausgemergelten, aber doch drahtigen Mann. Das Tribunal begutachtete ihn. Stumm. Eine bedrohliche Situation mit der Jojowa Bakate nicht viel anfangen konnte. Einen Mix von Menschen wie diesen hatte er nicht erwartet.
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