»Glaubt Ihr, daß ich es leugne?« antwortete Zbyszko in unwirschem Tone, während er Jurand mit dem Entschlusse fest in die Augen blickte, dessen Zornesausbruch nicht geduldig über sich ergehen zu lassen. Doch siehe da, auf dem Antlitz des alten Kriegers malte sich kein Groll, sondern nur grenzenloser Schmerz.
»Und mein Kind hast Du gerettet?« fragte er nach wenigen Minuten wieder, »und aus dem Schnee hast Du mich ausgegraben?«
Voll Staunen, ja mit einer gewissen Angst blickte Zbyszko auf den Redenden, fürchtete er doch, Jurand sei seiner Sinne nicht mehr ganz mächtig, weil er die gleiche Frage wiederholte, die er zuvor schon gestellt hatte.
»Setzt Euch,« bat er daher den alten Ritter, »mir will scheinen, daß Ihr noch recht schwach seid.«
Allein Jurand streckte die Arme aus, umfaßte Zbyszko und zog ihn stürmisch an die Brust. Dieser hingegen, von Verwunderung ergriffen, umschlang den Hals des alten Kriegers und so lange hielten sich die beiden fest umschlossen, als ob das gemeinsame Leid, der gemeinsame Schmerz sie aneinander gefesselt hätten.
Als sie sich aber endlich trennten, da umfaßte Zbyszko die Knie Jurands und küßte mit thränenfeuchten Augen dessen Hände.
»So seid Ihr nicht mein Widersacher?« fragte er.
»Ich war Dein Widersacher,« entgegnete Jurand, »denn ich wollte sie Gott dem Herrn weihen!«
»Ihr gedachtet sie Gott zu weihen, Gott der Herr aber schenkte sie mir. Sein Wille muß geschehen.«
»Sein Wille geschehe!« wiederholte Jurand; »nur sei er jetzt uns gnädig.«
»Wem sollte Gott der Herr beistehen, wenn nicht dem Vater, der sein Kind sucht, wenn nicht dem Manne, der sein Eheweib sucht? Den Räubern wird Er doch keinen Beistand leisten!«
»Und doch ist sie hinweggeführt worden!« erklärte Jurand.
»Gebt ihnen de Bergow zurück!« bemerkte hierauf Zbyszko.
»Ich gebe ihnen alles, was sie wünschen.«
Bei dem Gedanken an die Kreuzritter erwachte in ihm jedoch sofort wieder ein solch glühender Haß, daß er gleich darauf zähneknirschend hinzufügte: »Dann aber sollen sie von mir etwas zu hören bekommen, was sie sich nicht träumen lassen.«
»Das gelobe ich auch mit einem Eide,« ergriff nun Zbyszko das Wort, »doch jetzt laßt uns vor allem Spychow erreichen.«
Sofort wurde der Befehl erteilt, die Pferde bereit zu halten. Nach einem kurzen Imbiß und nachdem sich die Leute ein wenig in den warmen Stuben erwärmt hatten, machte man sich wieder auf den Weg, trotzdem die Dämmerung schon anbrach. Da aber noch eine sehr weite Strecke zurückgelegt werden mußte, und da stets heftiger Frost in der Nacht einzutreten pflegte, fuhren Jurand und Zbyszko, die noch immer nicht ganz bei Kräften waren, in einem Schlitten. Zbyszko sprach von seinem Ohm, den er von ganzem Herzen herbeiwünschte, war doch Macko einer der wenigen, die sich eben so großer Schlauheit wie Tapferkeit rühmen durften, und Schlauheit war in einem Kampfe gegen einen Feind wie die Kreuzritter fast noch von größerer Bedeutung als Tapferkeit.
»Versteht Ihr es, klug vorzugehen oder irgend welche List zu gebrauchen? Ich vermag es nicht!«
»Ich ebenso wenig,« entgegnete Jurand. »Nicht mit List gedachte ich gegen sie zu kämpfen, sondern mit der Faust, gestählt durch den in mir tobenden Schmerz.«
»Nur zu gut begreife ich das,« meinte der junge Ritter. »Wie sollte ich es auch nicht begreifen, da ich Danusia liebe, die mir von jenen entrissen ward? Wenn Danusia, was Gott der Herr verhüten möge …«
Hier brach er plötzlich ab. Kummer und Sorge schnürten ihm die Kehle zu. Geraume Zeit hindurch fuhren sie schweigend die von dem fahlen Mondlicht übergossene Straße dahin, bis Jurand wie zu sich selbst zu sprechen begann: »Wenn sie noch Ursache hätten, sich an mir zu rächen, wollte ich nichts sagen! Aber bei Gott im Himmel, das haben sie nicht! Wohl stritt ich gegen sie im Felde, als ich von unserem Fürsten zu Witold entsandt ward, aber sonst zeigte ich mich wie jeder Nachbar gegen den Nachbarn. Bartosz Naleczy ließ die vierzig Ritter, die gegen ihn zogen, ergreifen, in Ketten legen und in die unterirdischen Kerker in Kozmin werfen. Einen zur Hälfte mit Gold gefüllten Wagen mußten ihm die Kreuzritter zu deren Auslösung übersenden. Ich aber, so ich mit einem Deutschen zusammenstieß, der zu Gast zu den Kreuzrittern zog, ich nahm diesen, wie ein Ritter den andern, freundlich auf und beschenkte ihn mit allerlei Gaben. Gar häufig haben sich auch die Kreuzritter mitten durch die Sümpfe bei mir eingestellt. Nie habe ich sie gedrückt, und doch haben sie mir weit Schlimmeres zugefügt, als ich je meinem größten Feinde zufügen würde …«
Und mit solcher Gewalt überkam ihn die entsetzliche Erinnerung, daß es wie ein Stöhnen klang, als er mit halb erloschener Stimme hinzufügte: »Sie war mir alles, mein höchstes Gut, und gleich einem Hunde ist sie mit Stricken gebunden worden und unter den Leiden ist sie dem Tode zur Beute gefallen … Und jetzt aufs neue mein Kind … Jesus! Jesus!«
Abermals trat tiefes Schweigen ein. Zbyszko richtete sein jugendliches Antlitz zu dem mondbeschienenen Himmel empor, dann wandte er sich zu Jurand und fragte: »Beim Vater im Himmel! … Es wäre doch besser, sie suchten die Liebe der Menschen zu gewinnen, statt stets auf Rache zu sinnen. Weshalb fügen sie denn unserem Volke so viel Schlimmes zu?«
Voll Verzweiflung streckte Jurand die Arme empor und erwiderte in dumpfem Tone: »Ich weiß es nicht …«
Zbyszko schien über seine eigene Frage noch zu sinnen, denn es vergingen mehrere Minuten, bevor er sich also vernehmen ließ: »Die Leute sagen, daß Ihr auch auf Rache sinnt.«
»Ich habe ihnen Rache geschworen!« entgegnete Jurand, sich gewaltsam aus seinem Schmerze aufraffend. »Und Gott dem Herrn gelobte ich das Kind zu weihen, wenn er mir in seiner Gnade zur Vollziehung dieser Rache verhelfen werde … Deshalb war ich gegen Dich. Nun aber weiß ich nicht: habt Ihr nach seinem Willen gehandelt, oder habt Ihr durch Euer Thun seinen Zorn erregt!«
»Nein, nein!« rief Zbyszko. »Ich sagte Euch ja schon, jene Elenden würden sie geraubt haben, wenn auch die Trauung nicht stattgefunden hatte. Gott der Herr nahm Euer Gelübde gnädig auf, Danusia aber überließ er mir, denn ohne seinen Willen geschieht nichts auf Erden.«
»Jede Sünde, die verübt wird, verstößt gegen den Willen Gottes.«
»Gewiß. Aber was sagt Ihr von den heiligen Sakramenten? Ein jedes Sakrament ist von Gott eingesetzt!«
»Dagegen läßt sich deshalb auch nichts thun.«
»Gelobt sei Gott, daß sich nichts thun läßt! Doch beklagt Euch nicht darob; denn wer könnte Euch gegen diese Räuber in einer solchen Weise beistehen, wie ich es vermag? Merkt auf, was ich Euch sage. Für das, was sie Danusia gethan, werde ich Vergeltung üben, doch wenn auch nur noch ein einziger von jenen lebt, die Eure Selige von Euch rissen, so überlaßt ihn mir, und Ihr werdet mit meinem Thun zufrieden sein.«
Jurand schüttelte das Haupt.
»Nein,« antwortete er finster, »von jenen lebt nicht einer mehr …«
Längere Zeit hindurch war nun nichts zu hören wie das Schnauben der Pferde und der dumpfe Klang der auf der hartgefrorenen Erde aufschlagenden Hufe.
»Einst in der Nacht,« ergriff Jurand schließlich wieder das Wort, »hörte ich eine Stimme, die aus dem Gemäuer zu dringen schien und die mir zurief: ›Genug der Rache!‹ aber ich achtete nicht darauf, denn nicht wie die Stimme der Verstorbenen klang es.«
»Was mochte dies wohl für eine Stimme sein?« fragte Zbyszko beunruhigt.
»Ich weiß es nicht. Aus dem Gemäuer von Spychow tönt häufig Klagen und Stöhnen, denn gar manche haben in ihren Ketten in den unterirdischen Kerkern den Tod gefunden.«
»Und was sagte Euch der Priester darüber?«
»Der Priester weihte die Burg und meinte, ich müsse eine Zeitlang jeden Rachegedanken aufgeben. Doch wie wäre dies möglich gewesen! Mir war allzuviel Leid geschehen, und außerdem sannen sie später selbst auf Rache. Sie versuchten mich stets in einen Hinterhalt zu locken, indem sie mich zum Kampfe forderten. Dies planten sie auch jetzt wieder. Majneger und de Bergow sandten mir zuerst eine Herausforderung.«
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