Gegen Ende desselben Jahres brach die Beatlemania los. Als Resultat löste die Beat-Band den Solokünstler plus Backing-Band (Vince Taylor and the Playboys, Johnny Kidd and the Pirates usw.) als dominierende Strömung im britischen Pop ab. Backing-Bands standen für gesichtslose Professionalität, Flexibilität und taten, was man von ihnen verlangte. Beat-Bands hingegen waren »organischer«, was bedeutet, dass sie Entwicklungsspielraum hatten. Meistens entstanden sie durch Freundschaften und Zufälle. Das brachte mit sich, dass die Mitglieder nicht alle gleich gut an ihren Instrumenten waren und auch ihre Einflüsse und Vorlieben sich unterschieden. Aus dem recht kleinen Feld, in dem sich all das überschnitt, entstand dann der charakteristische Sound, von dem aus eine Band sich weiterentwickeln würde.
Von außen wirkte so eine Gruppe fast wie eine Gang, im Inneren funktionierte sie quasi wie eine Familie. Die Band als explosive, kreative Maschine, die sich auf ein musikalisches Abenteuer begibt: Darauf basieren die Erfolgsgeschichten der britischen Rock-Szene der 1960er. Fast all die Größen, die neue Richtungen vorgaben – The Beatles, The Rolling Stones, The Kinks, The Who, The Yardbirds, Pink Floyd – hatten feste, dennoch flexible Bandstrukturen, die ihnen Kollaborationen (mit Produzenten, Gastmusikern) genauso ermöglichten wie den Austausch wichtiger Mitglieder, wenn diese ein psychisches oder ein Drogenproblem entwickelten (wie im Fall von Brian Jones und Syd Barrett). Ihr Kern, ihre musikalische Chemie und ihre Loyalität untereinander blieb dabei intakt.
Eine lange Zeit spielte David Bowie in den 1960ern ebenfalls in Bands, dennoch hatte er kaum etwas mit der britischen Beat-Revolution zu tun. Stattdessen ging er wie ein Solokünstler vor, ließ Bandmitglieder hinter sich, wann immer seine Karriere Gefahr lief, stillzustehen, und erschuf sich ein neues Umfeld. Von 1963 bis 1968 war er flüchtiges Mitglied einiger Bands: The Kon-Rads, The Hooker Brothers (die sich dann mit The King Bees zusammentaten), The Manish Boys, The Lower Third, The Buzz, The Riot Squad, Feathers. Als Solokünstler schließlich versammelte er immer wieder wechselnde Line-ups von Begleitbands und Kollaborateuren um sich.
Es gibt kaum andere große Künstler, deren Karrieren in den 1960ern – ja, sogar in den 1970ern – von solch einer Mobilität und dieser geradezu chronischen Verweigerung, bei einem Stil oder einem künstlerischen Umfeld zu bleiben, gekennzeichnet war. Klar, andere wichtige Künstler der Ära passten sich neuen Trends an: Steve Winwood etwa wandte sich, als er von der Spencer Davis Group zu Traffic wechselte, vom R&B der Mod-Ära ab und der Psychedelia zu, später spielte er folkig-jazzig angehauchten Progressive Rock. Bowie jedoch verwarf seinen Stil abrupt und vollständig. Es wurde zu seinem Markenzeichen, etwas, für das er später gelobt und bewundert werden sollte. In den 1960ern wirkte er damit allerdings noch wie ein Wannabe von vielen, der von einem Fehlversuch in den nächsten tappte. Ebenso tappte er von Vorbild zu Vorbild: Keith Relf von den Yardbirds, Bob Dylan, Anthony Newley und einige mehr.
Von den Genannten hatte Anthony Newley, den man nahezu als das Fundament von Bowies frühem Stil bezeichnen könnte, den größten Einfluss. »Ich war der schlechteste Imitator der Welt … ein Jahr lang war ich Anthony Newley«, erinnerte sich Bowie 1973 dem NME gegenüber, als er darüber sprach, wie junge Künstler ihre Eindrücke notwendigerweise zuerst durch das Imitieren der Künstler, die sie beeindruckten, verarbeiteten. »[Newley] war einer der talentiertesten Künstler, die England je hervorgebracht hat«, schwärmte Bowie, immer noch ganz Fan. Newley mag inzwischen größtenteils vergessen sein, in den späten 1950ern und 1960ern jedoch war er eine der bekanntesten und beliebtesten Figuren im Showbiz. Bowie wurde wohl teils von dessen großer künstlerischen Vielseitigkeit angezogen: Newley war Sänger und Recording Artist, Songwriter für andere Interpreten, Schauspieler in Theater, Film und Fernsehen, und komponierte Musicals. Bowie fand darin Vorbild und Ideal.
Bowies Biografen, Kritiker und Fans beschäftigen sich meist kaum damit, wie viel er Newley verdankt, sei es aus Verwirrung oder Scham. Sie geben zu, was nicht abzustreiten ist: die unverkennbaren Gemeinsamkeiten im Gesangsstil, wie exakt Bowie Newleys Vokale im Cockney-Akzent nachahmte, seine dem Rock ’n’ Roll so ferne Klarheit in Aussprache und theatralischer Umsetzung. Aber sie tauchen nie tiefer darin ein, warum sich der junge Sänger so sehr auf den älteren Star einschoss oder was er, abgesehen von Gesangseigenarten, noch so von ihm entlehnte. Bolan erinnerte sich daran, Bowie einmal in seiner Südlondoner Wohnung besucht zu haben, wo »er immer Anthony-Newley-Platten auflegte«, die dann ihren Weg in Bowies frühe Soloaufnahmen fanden, mit ihrem »sehr theatralischen Beigeschmack« und den »sehr spießigen Backings«.
Dabei war Newley gar nicht so spießig wie sein Ruf als mittelmäßiger Sänger für ältere Leute. Tatsächlich gehörten seine künstlerischen Visionen zu den sonderbareren der Branche. Nachdem ihn während des Zweiten Weltkriegs ein Varieté-Veteran unter die Fittiche genommen hatte, wurde er Kinderstar, spielte Artful Dodger in einer Verfilmung von Oliver Twist und hatte Auftritte im Fernsehen sowie einige Hit-Singles im Zuge des Rock-’n’-Roll-Hypes. Dennoch fehlte ihm das Gefühl für die neue Jugendmusik. In den frühen 1960ern trat er in Musicals auf, die er mit seinem Partner Leslie Bricusse geschrieben hatte, darunter Stop the World – I Want to Get Off und The Roar of the Greasepaint, the Smell of the Crowd . Seine Musical-Erfolge in den USA machten aus ihm schließlich einen extrem beliebten Entertainer, sei es auf der Bühne oder im Fernsehen.
Typisch für Newleys Werk war die Kombination eines Bildes von Englishness (überkorrekte, über sich selbst lustig machende Gesten) und Elementen aus der Pantomime, die oft mit Marcel Marceau verglichen wurden (wie der Pierrot-ähnliche tragische Clown Littlechap in der Zirkus-Allegorie Stop the World ). Dazu kamen ein mit Fatalismus gekoppelter absurd-existentialistischer Humor und eine selbstreferentielle Performance, bei der Schauspieler aus ihren Charakteren heraus- und wieder hineinschlüpften und Handlungen die vierte Wand durchbrachen. Newleys Song »The Man Who Makes You Laugh« etwa ist ein Blues-Song, in dem ein Komiker »das Monster mit tausend Augen« füttert. Gemeint ist das unersättliche, launische Publikum. In einer britischen Talkshow treibt Newley den Song auf die Spitze, tut so, als wäre das Publikum der Spiegel, vor dem er sich Make-up aufträgt.
All das – Pantomime, Meta-Ebenen, Varieté, Overacting – war ein großer Teil der außergewöhnlichen TV-Serie The Strange World of Gurney Slade , die im Herbst 1960 lief. Newley, der die Hauptrolle spielte, hatte die Show auch selbst entwickelt; geschrieben worden war sie von Dick Hills und Sid Green. »Erinnert ihr euch an Gurney Slade ? Das war großartig«, sagte Bowie 1973. »Ein Freund von mir hat alle Folgen, da steckt eine Menge Monty Python drin.«
Die erste Folge beginnt damit, dass Newley als Gurney Slade – ein Schauspieler in einer Soap – zum Entsetzen von Crew und Darstellern das Set verlässt, draußen jegliches Spiel fallen lässt und manisch die Straße entlangspringt. Gurney Slade lässt seinen Realismus unentwegt einbrechen: Newley spricht den Zuschauer direkt an, unterhält sich aber auch mit einem Stein, einem Mülleimer, einer Kuh und einem Hund. Letzterer erzählt ihm, er sei ein Fan von Lassie, nicht aber von Rin Tin Tin. Der sei »zu überzeichnet … nicht lebensecht«, weil er an zu vielen Bäumen vorbeilaufe, ohne zu pinkeln. Die Serie parodiert das Fernsehen und liefert dabei einen Kommentar über die Gepflogenheiten dessen, was Slade bissig »das goldene Zeitalter des britischen Entertainments« nennt.
Читать дальше