Die nächste Single beschrieb der Künstler als »sehr schnellen Rockaboogie«. »Solid Gold Easy Action« war der Missing Link zwischen Captain Beefhearts »Sun Zoom Spark« und »Bits and Pieces« von The Dave Clark Five: einem schrillen Sägezahn-Riff folgt ein aufrüttelnder »Hey! Hey! Hey!«-Sprechchor zu Bum-bum-bum-Beats, dann ein Bo-Diddley-Shuffle, gefolgt von einem Refrain, der so süßlich ist, als würde man sich Schwarzwälder Kirschtorte ins Ohr stopfen.
Dann kam »20th Century Boy«, Bolans punkigstes Statement überhaupt. Diese Single beschrieb er als »Erektionsrock […], eine Aufnahme reiner Energie […]. Teile des Textes zitieren Muhammad Ali […]. Ich glaube, dass jeder Mann im 20. Jahrhundert ein Superhengst ist und die Platte ist für ihn.« Der Song quillt von fast schon parodistischen Machismen geradezu über. Bolans Gesang könnte nahezu als Rap durchgehen. Er gibt Zeilen wie »sting like a bee« von sich, bietet sich aber immer noch als Spielzeug an (»I wanna be your toy«). Die rauchigen weiblichen Soul-Backings erinnern an Merry Clayton auf »Gimme Shelter«. »20th Century Boy« tritt die Türe sofort mit einem lauten Riff ein und bewegt sich dann in ein Stooges/Fun House-mäßiges Durcheinander aus kreischendem Saxophon, geschlagenem Rhythmus, Schellenkranz und fast schon gegurgelten Vocals von Bolan: eine absurde Karikatur von Bedrohlichkeit, die dennoch etwas Verstörendes hat.
Ein paar Jahre bevor die T. Rextasy losbrach, argumentierte George Melly, dass unter dem erotischen Rausch des Teen-Fan-Wahnsinns ein primitiver religiöser Impuls läge: »Während der Geschichte ist religiöser Enthusiasmus dieses Ausmaßes von sexueller Hysterie oft nicht zu unterscheiden. Ebenso rätselhaft ist das plötzliche Aussterben der gefährlichen Göttlichkeit eines Künstlers oder einer Gruppe […]. Die Schreie verstummen, die Menge löst sich auf […].« Melly hat Recht in Bezug auf die Willkür hinter den Niedergängen von Popidolen, aber im Fall Bolans gibt es ganz banale Gründe für seinen raschen Abstieg. Anders als die Beatles oder Stones war Bolan von seinen kreativen Mitteln abhängig: Seine Band bestand aus Angestellten, nicht aus Gegenstücken, die er glänzen lassen konnte oder die sich ins Songwriting einzubringen gewusst hätten.
Und obwohl er so gerne davon sprach, sich an anderen Künsten ausprobieren zu wollen, war Bolan kein künstlerischer Universalgelehrter wie sein Freund David Bowie. Er konnte ums Verrecken nicht schauspielern oder Drehbücher schreiben. Born to Boogie war ein Allerlei aus mitreißenden Aufnahmen von den Wembley-Konzerten und pseudo-surrealen, halbimprovisierten Zwischenspielen, die auf John Lennons Anwesen gefilmt worden waren. Dem NME gegenüber schwärmte Bolan von einer Szene, in der Ringo Starr (als Haselmaus) und Bolan (als der verrückte Hutmacher) »Byron-mäßige Gedichte in einem hellroten Cadillac« vorlesen. »Es ist alles sehr camp – und am Ende singen wir ›Tutti Frutti‹.« Doch seid gewarnt: Ein genervter Zwerg kreuzt auch auf und isst den Außenspiegel des Cadillacs.
Bolan begann auch, den Druck des Ruhmes zu spüren. Er verglich ihn damit, von Hunderten von unsichtbaren Menschen gegen die Wand gedrückt zu werden. Schon im April 1972 sprach er von einem Bedürfnis, sich zurückzuziehen und darüber, wie viel einem die Berühmtheit zwar gäbe, doch dass das, was sie koste, unersetzbar sei, etwa wie Gehirnzellen. »Ich habe mich nie so unsicher gefühlt oder solchen Schmerz gespürt wie jetzt. Ich bin musikalisch nackt«, beschwerte er sich. »Was ich spiele und singe ist eine Projektion meines echten Ichs.« Einer der besseren Tracks auf The Slider , »Main Man« beinhaltet die vielsagenden Zeilen »As a child I laughed a lot […] Now it seems I cry a lot«. Dem Melody Maker beichtete er: »Ich habe noch nie in meinem Leben so viel geweint wie dieses Jahr.«
Todesvorahnungen machten ihm zu schaffen: »Ich weiß nicht, ob ich als menschliches Wesen noch viel länger hier sein werde […]. Ich habe wirklich das Gefühl, dass alles morgen vorbei sein könnte. Nicht nur die Band – ich meine das Leben.« Er fantasierte, alles hinter sich zu lassen und in Ägypten Archäologe zu werden.
Seinem Ego versetzte die Tatsache einen tiefen Schlag, dass T. Rex nicht in der Lage waren, ihre britischen Erfolge in Amerika zu wiederholen. »Get It On« schaffte es unter dem Titel »Bang a Gong« zwar in die Top 10, aber T. Rex stolperten in den Grand-Canyon-großen Abgrund zwischen FM- und AM-Radio in Amerika. FM war die Domäne der behaarten Prog-Freaks, denen T. Rex zu seicht und poppig waren. Die AM-Sender widmeten sich purem Pop, waren die Heimat von den Carpenters oder Boybands wie den Osmonds. Für diesen Markt hatten T. Rex zu viel kosmisches Drumherum.
Zwischen 1972 und 1974 tourten T. Rex wiederholt durch die Staaten. Die Reaktionen variierten. Ein neue Welle Glitterfans schwärmte zu ihrem Gig in Santa Monica, in San Francisco hingegen ließen Bolans Popstar-Moves das langhaarige Publikum – das immer noch den Acid-Rock-Glanzzeiten der Stadt nachtrauerte – kalt. Roy Hollingworth vom Melody Maker war diese Unbeholfenheit aufgefallen, als er über die Tour Ende 1972 berichtete. Bolans verführerische Tricks funktionierten zu Hause vor einem jungen Publikum, das schon mit dem Fernseher aufgewachsen war. Ältere Zuschauer, »die sich nicht bewegen, grooven, sich nicht nass machen, tanzen oder aufstehen und schreien«, berührte das alles nicht. Als Bolan ein Handtuch in die Menge warf, »fing es niemand auf«. Es war demütigend. Und es beweist, dass Charisma etwas ist, was die Gemeinde genauso sehr haben muss wie ihr Prophet: eine sich gegenseitig befeuernde Bauernfängerei, deren Rollen sich ständig vertauschen.
Von den Berichten aus Amerika tief getroffen, bemühte sich Bolan um Schadensbegrenzung. Im November 1972 gab er dem Melody Maker ein Interview, dem die Zeitschrift den unbarmherzigen Titel »Marc: Ich war kein US-Flop!« gab. Er bestritt, dass ein gut besuchter Gig in New York in Wirklichkeit das war, was Konzertpromoter ein »Papierhaus« nennen, d. h. ein Konzert, dessen Publikumszahlen durch verschenkte Tickets in die Höhe getrieben wurden. Er prahlte, dass es in Amerika Interessenten für eine TV-Serie im Stil der Jackson-5-Cartoons gäbe, die er selbst schreiben würde. Es war der typische Bolan-Bullshit und keiner kaufte ihn ihm ab.
Anfang 1973 war im Prinzip alles vorbei.
Aber wir wollen uns nicht zu lange mit Bolans Fall aufhalten. Mit dem Kokain und dem Champagner, seinem zunehmenden Gewicht und dem schrecklichen neuen Haarschnitt. Mit seiner ansteigenden Paranoia und den unwürdigen Sticheleien in Richtung Bowie, der ein Level an künstlerischer Glaubwürdigkeit erreicht hatte, von dem Bolan nur träumen konnte. Dabei flimmerte die alte Brillanz auf späteren Alben wie Tanx (1973) und Dandy in the Underworld (1977) durchaus sporadisch immer wieder auf. Und es gab eine Reihe von Killersingles: das elegische »Teenage Dream« und das alberne »New York City«, beides ordentliche Hits, und das proto-punkige »Laser Love«, das unverdient floppte.
Ignorieren wir also die Jahre des Niedergangs und konzentrieren uns auf die Glanzzeit. Was lässt sich über das Phänomen Bolan sagen? Popkultur-Experte Pete Fowler bemängelte, dass die T. Rextasy, anders als die Beatlemania oder der Rock-’n’-Roll-Hype der 1950er, nicht »rein« gewesen sei. Wie Bowie wusste Bolan, wie Fanidentifikation funktionierte und dass dem Aufstieg eines Stars sein Fall folgt. Bereits 1965, in einem seiner ersten Interviews, blickte Bolan voraus auf die Ruhe und Weisheit eines Lebens nach dem Stardasein: »Wenn ich meine Berühmtheit hinter mir gelassen habe, werde ich wissen, wo ich stehe.« Bolan war von der Musikpresse geschult worden, die er seit 1962 eifrig gelesen hatte. Die Hefte hatte er behalten, um sich auf sie beziehen zu können und um bestimmte Dinge nachzuschlagen, etwa was für eine Gitarre dieser oder jener Künstler gespielt hat. »Ich stehe total auf Bilder. Und Handbewegungen. All dieser Kram.«
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