Ihren Höhepunkt fand diese Tendenz zur Selbstreflexion in zwei äußerst witzig-subversiven Folgen irgendwo zwischen Luigi Pirandellos Theaterstück Sechs Personen suchen einen Autor (1921) und Tom Stoppards Film Rosenkranz & Güldenstern (1990, zeigt das Leiden zweier Nebenfiguren aus Hamlet abseits des Plots). In der vorletzten Folge muss sich Slade vor Gericht dafür verantworten, vor »7 Millionen Zuschauern […] zur Erheiterung dieser Zuschauer […] auf einem Fernsehbildschirm« erschienen zu sein, dabei aber niemandem »auch nur ein Schmunzeln« entlockt zu haben. Sein Verteidiger wirkt eher wie ein Clown: Es handelt sich um Archie Rice, den heruntergekommenen Varieté-Künstler, den Laurence Olivier in John Osbornes The Entertainer (1960) spielte. Die letzte Folge treibt das Spiel des Fernsehens über Fernsehen schließlich auf die Spitze: Slade wird von den Charakteren konfrontiert, die er in vorigen Folgen geschaffen hat. Sie sorgen sich darum, was mit ihnen passieren wird, wenn die Show einmal vorbei ist. Schließlich taucht ein Mitarbeiter des »Amtes für Charaktere« auf und bietet ihnen Rollen in anderen Serien an. Für Gurney Slade hingegen nimmt alles ein Ende: Nach und nach verwandelt er sich in eine Bauchrednerpuppe, bis Anthony Newley auf die Bühne schreitet, um sein neues, hölzernes Alter Ego davonzutragen.
Hier werden die Wurzeln der LP The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars von 1972 sichtbar, und in Gurney Slades ambivalenter Haltung gegenüber dem Showbiz liegt auch eine Vorahnung von Bowies eigenem schaurigen Enthüllungsbericht über Paranoia und Oberflächlichkeit des Ruhmes, den Song »Fame« aus dem Jahr 1975. In einer Szene wird der Geschäftsführung des Senders ein brandneues Modell eines Allzweckperformers vorgestellt, der »praktisch alles kann […] Gesang, Comedy […] Tonaufnahme«. Doch es ist Gurney Slade, der bitter in sich rein nuschelt: »Sie denken, ich wäre eine Maschine […] Denen werde ich’s zeigen […] Ich werde hier einfach sitzen und jede Bewegung verweigern.«
In den 1960ern, als Frontmann einer Reihe von Rockbands, strebte Bowie selbst danach, »ein Allzweck-Modell« zu sein – der anpassungsfähige All-round-Entertainer in Varieté- und Vaudeville-Tradition, der »ein Lied, einen Tanz, ein Lachen« in einer Anzeige der Entertainment-Zeitung The Stage anbietet. Schulen für darstellende Künste unterrichteten ihre Schüler stets in allen Theaterkünsten, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern: Stepptanz, Pantomime, Gesang, Schauspiel. Auf ähnliche Weise sah Kenneth Pitt – eine zweite Vaterfigur, mit der der junge Sänger einige Jahre zusammenwohnte – in seinem Schützling einen vielseitigen Star, dessen Potential nicht nur auf die Pop-Arena beschränkt ist, sondern auch Cabaret und Film miteinschließt. (Zum Beispiel sicherte ihm Kenneth Pitt eine Rolle in dem Film The Virgin Soldiers .)
»Wer ihn und mich beurteilt und dabei Rock ’n’ Roll als seinen Maßstab nimmt, hat nicht verstanden, dass David niemals ein Verehrer oder Vertreter des Rock ’n’ Roll war«, schrieb der Manager in seinen Memoiren Bowie: The Pitt Report . »Wann immer er sich dem Rock ’n’ Roll hingab, tat er das im Kontext des Theaters, als Schauspieler«, fuhr er fort und zitierte dabei Bowies eigene Behauptung, dass Rock in seinem Leben keine wichtige Rolle spiele. Bolan erkannte diese mangelnde emotionale Bindung, als er beobachtete, dass Bowie »damals sehr Cockney« gewesen sei. »Wir alle waren auf der Suche nach etwas, das uns begeisterte […] Ich wollte Bob Dylan sein, aber ich glaube, David orientierte sich mehr am Humor des Varieté. Es war nicht die Zeit dafür, aber alle seine Songs erzählten Geschichten.«
1966 – im Jahr von Revolver, Blonde on Blonde, Pet Sounds und einem halben Dutzend anderer Meisterwerke; dem Jahr also, als Rockmusik unbestreitbar zur prägenden Popkultur ihrer Zeit wurde – erzählte Bowie dem Melody Maker von seinen Plänen, zusammen mit dem mittelmäßigen Arrangeur und Songwriter Tony Hatch ein Musical (namens Kids on the Roof ) zu schreiben und dass sein eigentlicher Ehrgeiz in der Schauspielerei liege. »Ich übernehme gerne Charakterrollen. Um jemand anderes werden zu können, muss man viel von sich abverlangen.«
Ein paar Songs aus dem niemals verwirklichten Musical fanden ihren Weg auf Bowies selbstbetiteltes Debütalbum für Deram, das »progressive« Tochterunternehmen des großen Majorlabels Decca. Ende 1966 und Anfang 1967 aufgenommen, tauschte Bowie für das Album seine damals aktuelle Band The Buzz (mit Ausnahme von Bassist Dek Fearnley, der sich um die Arrangements kümmerte) gegen professionelle Session-Musiker aus. Lebhafte Basslines, verspielte Drums, tutende Trompeten, schnaufende und keuchende Tubas, schrill zwitschernde Piccolo- oder Blockflöten, vielleicht etwas Ukulelengeschrammel oder das schäbige Klimpern eines Pianos: Der Sound war in einem originell ausgeschmückten Stil gehalten, wie er sich sonst auf den Comedy-Alben dieser Zeit finden lässt. Bei Ken Dodd and the Diddymen etwa, oder bei The Bonzo Dog Doo-Dah Band. Die Non-Album-Single »The Laughing Gnome«, ein albernes Liedchen über ein koboldähnliches Wesen, weist Ähnlichkeit mit »Puckwudgie« auf, einer späteren Hit-Single des Komikers Charlie Drake. Mit seinen peinlichen, wenn auch originellen Wortspielen und den stark beschleunigten Stimmen von Toningenieur Gus Dudgeon und Bowie selbst in den Rollen des Koboldes wurde »The Laughing Gnome« 1967 ein Flop sondergleichen.
»The Laughing Gnome« und das selbstbetitelte Debüt gehören in die Tradition des Comedy-Pop, wo Musik eindeutig Hintergrund musik ist. Sie wird in ihre Schranken verwiesen, dient als Unterstützung oder höchstens als dramatisches Gegenstück zum Sänger. Priorität hat die Verständlichkeit der Texte, die klar ausgesprochen und im Sinne der Dramatik überdeutlich betont werden. In seiner Betrachtung der Varieté-Tradition des character songs schreibt Simon Frith, dass »der Sänger eine Rolle [spielt]«. Diese umfasst »weder Selbstausdruck […] noch kritischen Kommentar«. Stattdessen ist alles »eine Frage des Schauspiels«.
Auf das Album David Bowie trifft das uneingeschränkt zu. Die Single »Love You Till Tuesday« etwa ist eine vergnügliche Rangelei zwischen übertrieben englischer Aussprache (»hoping for a little romance« wird zum nasalen »romarnnnce« an Stelle des amerikanischen »romaaanse«) und komödiantischer Schauspielkunst – Bowie scheint darauf Kenneth Connor oder Jim Dale aus den Slapstick-Komödien der Carry On -Reihe zu imitieren. »We Are Hungry Men« – eine nur scheinbar ernsthafte, dystopische Warnung vor einer bevorstehenden Überbevölkerungskrise – steckt voller komischer Twists: eine nobel klingende Stimme, ähnlich der des Schauspielers Peter Sellers, liest astronomisch hohe Bevölkerungszahlen bekannter Städte in der Zukunft vor (New York zum Beispiel hat 80 Millionen Einwohner), später schlägt eine deutsche Nazi-Karikatur Massenabtreibungen und legalen Kindsmord vor und droht damit, jeden niederzumetzeln, der »schuldig befunden wird, mehr als die ihm zugewiesene Luft eingeatmet zu haben«.
Gewöhnlich findet Rock ’n’ Roll in erster oder zweiter Person statt: Er spricht als ein »I« oder manchmal als ein »we« und richtet sich an ein »you«. Zwischen 1966 und 1967 jedoch waren im Vereinigten Königreich Vignetten in dritter Person und satirische Darstellungen bestimmter »Typen« in Mode: Mit »Eleanor Rigby« und »Dedicated Follower of Fashion« gaben die Beatles und die Kinks den Weg vor, bald folgten ihnen große Hits wie Cat Stevens’ »Matthew and Son« und Keith Wests »Grocer Jack«. Bowies Debüt-LP lag mit seiner Dominanz an Porträts in dritter Person also voll im Trend. Der erste Track »Uncle Arthur« erzählt von einem emotional zurückgebliebenen, unverheirateten Ladenbesitzer, der bei seiner Mutter wohnt, während »Little Bombardier« von einem verbitterten Kriegsveteran handelt, dessen Freundschaft zu kleinen Kindern unfairerweise von der feindseligen, verständnislosen Welt mit Argwohn betrachtet wird. »Join the Gang« ist eine Satire auf die Swinging Sixties , die deren Standardcharaktere abarbeitet, zum Beispiel den Sitar-spielenden Existentialisten Johnny, das ehemalige Model Molly, oder Arthur, den Sänger einer »heavy« Band, der den Blues krächzt und gierig säuft.
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