Drei Begegnungen Die Begegnung von Ahab und Obadja schafft die Voraussetzungen für die folgenden Begegnungen zwischen Obadja und Elija (Vv. 7–15) sowie Elija und Ahab (Vv. 17–18). Dass sich hier drei Begegnungen zwischen unterschiedlichen Paarungen dreier Erzählfiguren finden, könnte auf die literarische Konvention der Antike zurückgehen, immer nur zwei Figuren gleichzeitig in einer Szene auftreten zu lassen. 52So wird die Erzählung durch Dialoge vorangetrieben, was zugleich das Interesse der Lesenden an ihnen als Individuen steigert. Die wichtigste Begegnung ist die letzte zwischen Ahab und Elija, die zur nächsten Episode in Vv. 19–40 überleitet.
18,7–8: „Bist du es wirklich, Elija?“ Obadjas Szene mit Elija (Vv. 7–15) bildet die längste der drei Begegnungen. Die Worte, mit denen Elijas Erscheinen vor Obadja beschrieben wird (והנה אליהו), deuten darauf hin, dass Elija quasi „aus dem Nichts“ auftaucht – so, wie er schon in den Königebüchern aufgetaucht ist (17,1). Obadja wirft sich nieder und erweist dem Propheten den gebührenden Respekt. Offen bleibt, ob er Elija persönlich kennt oder ihn anhand von Beschreibungen oder seiner Kleidung erkennt (2 Kön 1,8). 53Für einen hohen Beamten legt er ein ungewöhnlich bescheidenes und ehrerbietiges Verhalten an den Tag (vgl. 2 Kön 1,13), was wiederum für ihn spricht. Auch das Volk wird sich in 18,39 vor Jhwh niederwerfen, wodurch die beiden Vorkommen des Verbs die Geschichten von Elijas erneutem Auftreten und dem Wettstreit am Karmel rahmen. Dass sich Obadja niederwirft, deutet darauf hin, dass seine Frage (האתה זה) rhetorischer Natur ist. Andererseits schwingt in der Frage auch gehöriger Zweifel mit, weil Elija lange nicht da war und nun plötzlich wieder da ist. Man könnte es mit „Bist du es wirklich , Elija?“ wiedergeben. Ahab wird die gleiche Frage stellen, als er Elija sieht (V. 17). Elijas Antwort besteht aus einem einzigen Wort: אני, „Ich bin es“ (V. 8). Die knappe Antwort lässt vermuten, dass er niemandem traut, der Ahab in solchem Maße verbunden ist. Vielleicht liegt darin der Grund dafür, dass er nicht weiter ausführt, wo er gewesen ist. Seine Antwort klingt wie eine Rüge, die Obadjas höfliche Frage ins rechte Licht rückt: „Geh, sag deinem wahren Gebieter, dass Elija da ist“. Die beiden letzten Worte finden sich ebenfalls in V. 7 (הנה אליהו) und bilden so eine inclusio um Elijas Erscheinen. Er spricht von sich selbst in der dritten Person, um Distanz zu Obadja zu wahren. Die Wendung bedeutet sowohl „Elija ist da“ als auch „Siehe, Jhwh ist mein Gott“. Er lässt keinen Zweifel daran, auf wessen Seite er steht. Erneut scheint er Obadjas Loyalität infrage zu stellen.
18,9: Erste Eindrücke Obadjas Frage, inwiefern er gesündigt habe (V. 9), erinnert an die Frage der Witwe in 17,18. Beide fragen danach, was sie getan haben, um das Unglück auf sich zu ziehen, das Elija über sie bringen wird oder schon gebracht hat. Es ist nicht unmittelbar einsichtig, inwiefern Elijas Anordnung, Ahab von seiner Rückkehr in Kenntnis zu setzen, eine Gefahr für Obadja bedeutet. Zunächst erscheint er für Elija als jemand, der Ahab mehr fürchtet als Jhwh. Die Lesenden wissen, dass dieser Eindruck täuscht, weil Obadja sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, um die Propheten Jhwhs zu retten (V. 4). Obadjas Schwur bei Jhwh, deinem Gott , lässt an die phönizische Witwe in 17,12 denken. Obadja betont Elijas Nähe zu Jhwh, doch Elija könnte es auch so verstehen, dass Obadja ein Verehrer Baals ist.
18,10–15: Obadjas Zurückhaltung Obadja beginnt mit einer längeren Erklärung, indem er anmerkt, dass Ahab Elija in allen Ländern in der Umgebung gesucht habe. Er habe die Menschen sogar Eide schwören lassen, dass sie nicht imstande waren, Elija zu finden (V. 10), was darauf hinweist, wie verzweifelt Ahab nach Elija gesucht hat. Obadja befürchtet, dass Jhwhs Geist ihm Elija wegschnappen könnte und es dann unmöglich wäre, dass Ahab Elija trifft. Dies würde Ahab erzürnen, der die Schuld dafür bei Obadja suchen und ihn töten lassen würde (Vv. 11–12). Diese Erklärung belegt, dass Elija im Ruf steht, ohne Vorwarnung zu erscheinen und zu verschwinden (17,1). In Obadjas Verständnis ist dies kein Charakterzug, für den Elija verantwortlich wäre, sondern eine Folge von dessen Verbundenheit mit Jhwh. Jhwhs entrückender Geist. Hier zeigt sich ein Verständnis des Geistes Jhwhs, das sich von dem im Richterbuch unterscheidet (6,34; 11,29; 14,6.19; vgl. 1 Sam 10,6), wo der Geist sich des Inneren eines Menschen bemächtigt und diesen Menschen zum Handeln motiviert. Im hier betrachteten Text ist der Geist eine Kraft außerhalb Elijas, die ihn entrückt. 54Diese Vorstellung findet sich sonst in den Königebüchern nur in 2 Kön 2,16 und außerhalb der Königebücher nur bei Ezechiel (2,2; 3,12.24; 8,3; 11,1; 43,5). Obadja bekräftigt seinen Protest, indem er für Elija wiederholt, was der Erzähler den Lesenden bereits mitgeteilt hat: dass er Jhwh verehrt und Propheten gerettet hat, die Isebel zu töten versucht hat (Vv. 12b–13). Er fügt hinzu, dass er Jhwh von Jugend an verehrt hat, was nahelegt, dass dies – ähnlich wie sein Name – zum Kern seiner Identität gehört. Angesichts seiner Rechtschaffenheit ist es nicht richtig von Elija, ihn in eine Situation zu bringen, in der er mit einiger Wahrscheinlichkeit sein Leben verliert (V. 14). Elija versichert ihm mit einem bei Jhwh geleisteten Schwur, dass er sich noch an eben jenem Tag Ahab zeigen wird (V. 15). Dabei verwendet er die gleiche Form des Schwures wie in 17,1, und auch die Witwe hat diese Form in 17,12 benutzt. Elija verknüpft den Schwur mit der Wendung „vor dem ich stehe“, was auf 17,1 zurück- und auf 2 Kön 3,14; 5,16 vorgreift. Der Prophet schwört bei dem Gott, in dessen Dienst er sein Leben stellt. Dieser Schwur ist es, der Obadja schließlich davon überzeugt, zu Ahab zu gehen. Sein Inhalt – dass Elija von Ahab „gesehen“ wird (ראה, Nifal) – erinnert an Jhwhs Anordnung vom Beginn der Geschichte (18,1–2) und lässt die Lesenden wissen, dass die erwartete Begegnung von Ahab und Elija unmittelbar bevorsteht.
18,17–18: Elija und Ahab Den Höhepunkt in dieser Reihe von Begegnungen bildet die letzte in Vv. 17–18. Obadja verschwindet aus der Erzählung, ohne dass man noch von ihm hören würde. Auch wenn seine Figur in Vv. 2b–4 teilweise ausgearbeitet ist, ist er am Ende doch nur eine Figur, die in einer bestimmten Rolle auftritt. Er hat das Treffen zwischen Elija und Ahab ermöglicht und verdeutlicht, wie geheimnis- und machtvoll die Figur Elijas ist. Darüber hinaus lässt er Israels Hin- und Hergerissensein zwischen Jhwh und Baal erahnen. Die Begegnung zwischen Ahab und Elija ist alles andere als herzlich (V. 17), sondern vielmehr eine Konfrontation, in der die Konfrontation zwischen Jhwh und Baal im nächsten Abschnitt des Kapitels vorweggenommen wird. 55Ahab bezeichnet Elija als den, der Israel Kummer bereitet . Damit wird jemand bezeichnet, dessen Verhalten anderen Ungemach bereitet, und zwar vor allem in Form von übernatürlicher Vergeltung (vgl. Jos 6,18; Jos 7,25; Ri 11,35; 1 Sam 14,29). Ahab gibt Elija die Schuld an der Dürre. Mit diesem Vorwurf gesteht er stillschweigend ein, dass Jhwh die Fruchtbarkeit Israels unter Kontrolle hat. Elija gibt die Anschuldigung direkt an Ahab zurück (V. 18), was der im Alten Orient geläufigen Vorstellung entspricht, dass Könige für das Wohlergehen ihrer Untertanen und ihres Herrschaftsgebietes verantwortlich sind. Elija behauptet, dass die wahre Ursache für die Katastrophe bei Ahab und seiner Familie liegt, die Kummer bereitet hat, indem sie Jhwhs Gebote für die Baale über Bord geworfen hat. Israels wirklicher Kummer besteht also nicht in der Dürre, sondern in der Verehrung anderer Gottheiten, zu der Ahab und die Omriden sie verleitet haben. 56Diese Bemerkung löst den Wettstreit darüber aus, wer der wahre Gott ist. Insofern stellen die Vv. 17–18 sowohl die Klimax der Begegnung zwischen Elija und Ahab in Vv. 1–18 dar als auch den Übergang zur Geschichte des Wettstreits auf dem Karmel. Sie bilden ein Scharnier – beziehungsweise den Teil eines Scharniers – zwischen den Episoden der Suche nach Elija und dem Wettstreit auf dem Karmel. 57Der Wettstreit wird erweisen, dass Ahab wie Elija jeweils in gewisser Weise im Recht sind: Die Dürre ist auf Veranlassung Elijas über Israel gekommen, weil es Jhwh ist, der über das Wetter gebietet. Doch sie kam nicht wegen Elija; sie wurde von Jhwh geschickt, um Ahab und Israel zu maßregeln und ihnen Jhwhs Überlegenheit über die von ihnen übernommenen Götter zu demonstrieren.
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