Omris historische Bedeutung Omri war wohl der wichtigste König in der Geschichte Israels. Seine Bedeutung erschließt sich aus archäologischen Hinweisen auf umfangreiche Baumaßnahmen an großen öffentlichen Gebäuden vor allem in Samaria, Jesreel, Megiddo und Hazor. 68Darüber hinaus wird sie aus Verweisen auf Omri und seine Dynastie in zeitgleichen altorientalischen Texten deutlich. Israel wird, solange es als Königreich existiert, in neuassyrischen Inschriften als „Haus Omris“ bezeichnet. 69Darüber hinaus hat Omri ausweislich der Mescha-Stele auch Moab unterworfen (ANET 320–321; COS 2,23). Er oder Ahab scheinen auch Juda unterworfen zu haben. 70Ebenso eroberten sie Gebiete zurück, die zuvor an Aram-Damaskus verlorengegangen waren, 71bevor sie sich mit Aram gegen die Assyrer verbündeten. Zusammen mit der Regierungszeit Ahabs markiert Omris Herrschaft den Zenit des Königreichs Israel. 72
16,23–28: Omris Herrschaft Angesichts von Omris historischer Bedeutung ist der Bericht über seine Regierungszeit erstaunlich kurz. Die ihr gewidmeten sechs Verse (Vv. 23–28) bestehen, von zwei Ausnahmen abgesehen, aus dem Rahmenformular. Diese zwei Ausnahmen sind die Notiz über den Erwerb und die Bautätigkeit von bzw. in Samaria (V. 24) sowie die Ausweitung der Beurteilung Omris des Inhalts, dass er mehr Böses getan hat als alle seine Vorgänger (V. 25b). Warum Omri schlechter als seine Vorgänger war und deshalb verurteilt wird (V. 25b), bleibt unklar, weil die erwähnten Vergehen (V. 26) mit denen Baschas und Elas identisch sind (15,33; 16,2b.13). Vielleicht liegt der Grund hierfür darin, dass Omri der Gründer der Dynastie war, der Ahab angehörte. Da Ahab der schlimmste König Israels war, muss Omri als Gründer der Dynastie fast ebenso schlecht gewesen sein. Darin liegt ein zweifelhaftes Kompliment. Omri und Ahab setzten die Maßstäbe für Israels Ansehen und Macht auf der internationalen Bühne; israelitische Könige mit so vielen Verbindungen zu anderen Ländern müssen irgendwie böse gewesen sein. Die Beurteilung verrät auch ein politisches Programm. Wenn der Reichtum, die Macht und das internationale Prestige der wichtigsten Könige des Nordreichs aus theologischen Gründen angeprangert werden, ist das kleinere, schwächere Juda eher auf Augenhöhe mit Israel. 73
16,24: Die Positionierung der Notiz über Samaria Die Notiz über Samaria in V. 24 stellt eine Unterbrechung der üblichen Anordnung des Rahmenformulars dar, bei der die Beurteilung eines Königs direkt auf die chronologischen Angaben zu ihm folgt. Normalerweise werden zusätzliche Information erst am Ende der Einleitung des Rahmenformulars angefügt (V. 26). Doch die Bestattungsnotiz in V. 28 setzt den Erwerb Samarias durch Omri voraus, was die Möglichkeit ausschließt, dass V. 24 post-dtr ist. Der Deuteronomist sah V. 24 offensichtlich als Fortsetzung der in V. 23 behandelten Frage an, also der Lage der Hauptstadt, und hielt den Erwerb nicht per se für eine neue Information, sondern nur für eine Ausweitung der Notiz darüber, wo Omris Regierungssitz sich befand.
Alts Theorie der Personalunion Der Erwerb Samarias durch Omri (V. 24) ist von zentraler Bedeutung für die Debatte über die Staatswerdung Israels und über die Deutung der archäologischen Funde der Grabungen in Samaria. Alt hat vorgeschlagen, dass Samaria – wie das Jerusalem Davids – sich im Besitz der Krone befand, nicht an einen Stamm angegliedert und politisch neutral war. 74Dies war Teil einer größeren Agenda, zu der aus Alts Sicht auch die Staatswerdung in Syrien und Palästina gehört. Ihm zufolge hat Omri Samaria nach dem Vorbild Davids als Privatbesitz erworben, um eine dynastische Monarchie zu gründen, was sich von der charismatischen Tradition unterschied, die es vor ihm in Israel gab. Danach hielt er den Stadtstaat Samaria und das Königreich Israel durch eine „Personalunion“ zusammen, wie David es mit Jerusalem, Juda und zuvor auch Israel getan hatte. Diese These Alts wurde von Buccellati bestritten, der unter anderem auf Hinweise im biblischen Bericht über das Prinzip der dynastischen Nachfolge hingewiesen hat, das wohl vor Omri gegolten hat. 75Trotzdem wird auch in neueren Kommentaren weiterhin behauptet, dass Omri Samaria als politisch neutralen Privatbesitz erworben habe. 76Solange sich jedoch nicht theoretisch untermauern lässt, dass Israels Königtum nicht dynastisch war, gibt es keinen Grund dazu, Samaria als etwas anderes zu betrachten als die Hauptstadt des Reiches.
Die Vorzüge Samarias Samaria war als Hauptstadt aus politischen und militärstrategischen Gründen eine gute Wahl. Es war zentral gelegen und ließ sich aufgrund seiner isolierten Lage gegenüber dem umliegenden Gebiet sehr gut verteidigen, 77es lag relativ dicht an der Mittelmeerküste und auch an der Haupthandelsroute von Ägypten nach Phönizien. Es lag sowohl an der günstigsten Ost-West-Verbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Landesinneren als auch an der besten Nord-Süd-Route, die Sichem mit der Jesreel-Ebene und dem Zugang zum Ostjordanland, nach Damaskus und in weitere Regionen, verband. Der Wechsel von Tirza nach Samaria bedeutete für Omri und seine Dynastie eine Neuorientierung. Die durch Samaria gegebenen Handelsvorteile und Samarias stärkere Orientierung zum Mittelmeer und nach Phönizien wurden von Omri und Ahab genutzt und trugen zum Wohlstand ihrer Herrschaftszeit bei. Phönizischer Einfluss zeigt sich in den archäologischen Funden aus Samaria, insbesondere beim Stil der behauenen Quadersteine und bei den Motiven auf den Elfenbeinplaketten.
Omris Erwerb von Samaria In Samaria wurden von 1908 bis 1910 und in den frühen 1930er Jahren größere Ausgrabungen vorgenommen. Vor allem auf der Basis der letztgenannten Ausgrabungen ist Kenyon zu dem Schluss gekommen, dass es zwischen der frühen Bronzezeit und der Siedlung aus der Eisenzeit II unter Omri eine Besiedlungslücke gab. 78Sie hat 16,24 dahingehend gedeutet, dass das von Omri erworbene Gelände zuvor unbebaut gewesen war. Doch die Funde sind jüngst neu interpretiert worden. Demzufolge gab es eine bedeutende Ölpresse aus der Eisenzeit I, die einer Großfamilie oder einem Clan gehört haben muss. 79Den Wert dieses Areals belegt der hohe Preis, den Omri dafür gezahlt hat. 80Eine andere und vermutlich ältere Form des Namens Samaria ist vielleicht von einem Clan abzuleiten, der „Schimrîn“ oder so ähnlich geheißen hat (siehe oben die Anmerkung zu Text und Übersetzung). Deshalb könnte der Bericht in V. 24, demzufolge Omri den Hügel von „Samaria“ erworben hat, etwas Wahres enthalten, auch wenn der Name Schemer eine sekundäre Ätiologie ist. Da Omri das Areal erworben hat und nicht von dort stammte, wären seine Vorfahren dort nicht bestattet. Daraus lässt sich schließen, dass legte sich zu seinen Vorfahren (V. 28) kein Euphemismus für die Bestattung ist.
DtrHs ideologische Geschichtsdarstellung Es gibt kein besseres Beispiel für den ideologischen Charakter der Geschichtsdarstellung der Königebücher als die vorliegende Textpassage. Simri und Omri wird trotz ihrer höchst unterschiedlichen historischen Bedeutung ungefähr der gleiche erzählerische Platz eingeräumt (sechs Verse), wobei über Simri auch noch mehr Einzelheiten berichtet werden. Darüber hinaus werden beide ganz ähnlich beurteilt: Beide haben Israel sündigen lassen, indem sie auf dem Weg Jerobeams wandelten. Vom Standpunkt DtrHs aus waren beide israelitische Könige, und sie waren schlecht, weil sie die königlichen Heiligtümer des Nordreichs fortbestehen ließen. Doch Simri hatte kaum Zeit, auf dem Thron Platz zu nehmen, geschweige denn schwerwiegende Vergehen zu verüben. Omris Einfluss auf die Geschichte Israels und dessen Königtum war zwar so groß, dass er kaum hoch genug eingeschätzt werden kann, doch hier wird er weitgehend ignoriert. Anerkennung wird ihm nur insofern zuteil, als er die Hauptstadt Samaria gegründet hat und aus theologischer Sicht als der bis dato schlechteste israelitische König zu gelten hat. Das theologische Programm des DtrH und seine Programmatik von Verheißung und Erfüllung wiegen schwerer als die historische Wirklichkeit.
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