„Reiz’ mich nicht, nimm dich in acht!“
„Na, nun mach aber, jetzt bin ich’s müde! Warum kommst du nicht!“
„Weiss Gott, jetzt tu’ ich’s für zwei Pfennig!“
Flink zieht der fremde Junge zwei Pfennig aus der Tasche und hält sie Tom herausfordernd unter die Nase.
Tom schlägt sie zu Boden.
Im nächsten Moment wälzen sich die Jungen fest umschlungen im Staube, trallen einander wie Katzen, reissen und zerren sich an den Haaren und Kleidern, bläuen und zerkratzen sich die Gesichter und Nasen und bedecken sich mit Schmutz und Ruhm. Nach ein paar Minuten etwa nimmt der sich wälzende. Klumpen Gestalt an und in dem Staub des Kampfes wird Tom sichtbar, der rittlings auf dem neuen Jungen sitzt und denselben mit den Fäusten bearbeitet.
„Schrei ,genug‘,“ mahnt er.
Der Junge ringt nur stumm, sich zu befreien, er weint vor Zorn und Wut.
„Schrei ,genugʻ,“ mahnt Tom noch einmal und drischt lustig weiter.
Endlich stösst der Fremde ein halb ersticktes genug’ hervor, Tom lässt ihn alsbald los und sagt: „Jetzt hast du’s, das nächstemal pass‘ auf, mit wem du anbindest!“
Der fremde Junge rannte heulend davon, sich den Staub von den Kleidern klopfend. Gelegentlich sah er sich um, ballte wütend die Fäuste und drohte, was er Tom alles tun wolle, „wenn er ihn wieder erwische.“ Tom antwortet darauf nur mit Hohngelächter und machte sich, wonnetrunken ob der vollbrachten Heldentat, in entgegengesetzter Richtung auf. Sobald er aber den Rücken gewandt hatte, hob der besiegte Junge einen Stein, schleuderte ihn Tom nach und traf ihn gerade zwischen den Schultern, dann gab er schleunigst Fersensgeld und lief davon wie ein Hase. Tom wandte sich und setzte hinter dem Verräter her, bis zu dessen Hause, wodurch er herausfand, wo dieser wohnte. Er pflanzte sich vor das Gitter hin und forderte den Feind auf, heraus zu kommen und den Streit aufzunehmen, der aber weigerte sich und schnitt ihm nur Grimassen durch das Fenster. Endlich kam die Mutter des Feindes zum Vorschein, schalt Tom einen bösen, ungezogenen, gemeinen Buben und hiess ihn sich fort machen. Tom trollte sich also, brummte aber, er wollte es dem Affen schon noch zeigen.
Erst sehr spät kam er nach Hause und als er vorsichtig zum Fenster hinein klettern wollte, stiess er auf einen Hinterhalt in Gestalt der Tante. Als diese dann den Zustand seiner Kleider gewahrte, gedieh ihr Entschluss, seinen freien Sonnabend in einen Sträflingstag bei harter Arbeit zu verwandeln, zu eiserner Festigkeit.
Der Sonnabend-Morgen tagte, die ganze sommerliche Welt draussen war sonnig und klar, sprudelnd von Leben und Bewegung. In jedem Herzen schien’s zu tlingen und zu singen und wenn das Herz jung war, trat der Klang unversehens auf die Lippen. Freude und Lust malte sich in jedem Antlitz, jeder Schritt war beflügelt. Die Akazien blühten und erfüllten mit ihrem köstlichen Duft rings alle Lüfte.
Tom erschien auf der Bildfläche mit einem Eimer voll Tünche und einem langstieligen Pinsel. Er stand vor dem Zaun, besah sich das zukünftige Feld seiner Tätigkeit und es war ihm, als schwände mit einem Schlage alle Freude aus der Natur. Eine tiefe Schwermut bemächtigte sich seines ahnungsvollen Geistes. Dreissig Meter lang und neun Fuss hoch war der unglückliche Zaun! Das Leben schien ihm öde, das Dasein eine Last. Seufzend tauchte er den Pinsel ein und fuhr damit über die oberste Planke, wiederholte das Manöver einmal und noch einmal. Dann verglich er die unbedeutende übertünchte Strecke mit der Riesenausdehnung des noch ungetünchten Zaunes und liess sich entmutigt auf ein paar knorrigen Baumwurzeln nieder. Jim, der kleine Nigger, trat singend und springend aus dem Hoftor mit einem Holzeimer in der Hand. Wasser an der Dorfpumpe holen zu müssen, war Tom bis jetzt immer gründlich verhasst gewesen, in diesem Augenblick dünkte es ihm die höchste Wonne. Er erinnerte sich, dass man dort immer Gesellschaft traf; Weisse, Mulatten und Nigger-Jungen und Mädchen waren da stets zu finden, die warteten, bis die Reihe an sie kam und sich inzwischen ausruhten, mit allerlei handelten oder tauschten, sich zankten, rauften, prügelten und dergleichen Kurzweil trieben. Auch durfte man Jim mit seinem Eimer Wasser nie vor Ablauf einer Stunde zurück erwarten, obgleich die Pumpe kaum einige hundert Schritte vom Haus entfernt war und selbst dann musste gewöhnlich noch nach ihm geschickt werden. Ruft also Tom:
„Hör’, Jim, ich wilt das Wasser holen, streich‘ du hier ein bisschen an.“
Jim schüttelte den Dickkopf und sagte:
„Nir das können, junge Herr Tom. Alte Tante sagen, Jim sollen nix tun andres als Wasser holen, sollen ja nix anstreichen. Sie sagen, junge Herr Tom wohl werden fragen Jim, ob er wollen anstreichen, aber er nix sollen es tun — ja nix sollen es tun.“
„Ach was, Jim, lass dir nichts weiss machen, so redet sie immer. Her mit dem Eimer, ich bin gleich wieder da. Sie merkt’s noch gar nicht.“
„Jim sein so bange, er’s nix wollen tun. Alte Tante sagen, sie ihm reissen Kopf ab, wenn er’s tun.“
„Sie! O Herr Jemine, die kann ja gar niemand ordentlich durchhauen, — die fährt einem ja nur mit der Hand über den Kopf, als ob sie streicheln wollte, und ich möchte‘ wissen, wer sich daraus was macht. Ja, schwatzen tut sie von durchhauen und allem, aber schwatzen tut nicht weh, — das heisst, so lang sie nicht weint dazu. Jim, da, ich schenk dir auch ‘ne grosse Murmel, — da und noch ‘nen Gummi dazu!“
Jim schwankte.
„‘nen Gummi, Jim, und was für ein Stück, sieh mal her!“
„O, du meine alles! Sein das prachtvoll Stück Gummi. Aber, junge Herr Tom, Jim sein so ganz furchtbar bange vor alte Tante!“
Jim aber war auch nur ein schwacher Mensch, — diese Versuchung erwies sich als zu stark für ihn. Er stellte seinen Eimer hin und streckte die Hand nach dem verlockenden Gummi aus. Im nächsten Moment flog er jedoch, laut aufheulend, samt seinem Eimer die Strasse hinunter, Tom tünchte mit Todesverachtung drauf los und Tante Polly zog sich stolz vom Schlachtfeld zurück, Pantoffel in der Hand, Triumph im Auge.
Toms Eifer hielt nicht lange an. Ihm fiel all das Schöne ein, das er für diesen Tag geplant und sein Kummer wuchs immer mehr. Bald würden sie vorüber schwärmen, die glücklichen Jungen, die heute frei waren, auf die Berge, in den Wald, zum Fluss, überall hin, wo’s schön und herrlich war. Und wie würden sie ihn höhnen und auslachen und verspotten, dass er dableiben und arbeiten musste, — schon der Gedanke allein brannte ihn wie Feuer. Er leerte seine Taschen und musterte seine weltlichen Güter, — alte Federn, Glas- und Steinkugeln, Marken und sonst allerlei Kram. Da war wohl genug, um sich dafür einen Arbeitstausch zu verschaffen, aber keineswegs genug, um sich auch nur eine knappe halbe Stunde voller Freiheit zu erkaufen. Seufzend wanderten die beschränkten Mittel wieder in die Tasche zurück und Tom musste wohl oder übel die Idee fahren lassen, einen oder den anderen der Jungen zur Beihilfe zu bestechen. In diesem dunklen hoffnungslosen Moment kam ihm eine Eingebung! Eine grosse, eine herrliche Eingebung! Er nahm seinen Pinsel wieder auf und machte sich still und emsig an die Arbeit. Da tauchte Ben Rogers in der Entfernung auf, Ben Rogers, dessen Spott er von allen gerade am meisten gefürchtet hatte. Ben’s Gang, als er so daher kam, war ein springender, hüpfender kurzer Trab, Beweis genug, dass sein Herz leicht und seine Erwartungen hoch gespannt waren. Er biss lustig in einen Apfel und liess dazu in kurzen Zwischenpausen ein langes, melodisches Geheul ertönen, dem allemal ein tiefes gezogenes ding—dong—dang, ding—dong—dang folgte. Er stellte nämlich einen Dampfer vor. Als er sich Tom näherte, gab er Halb-Dampf, hielt sich in der Mitte der Strasse, wandte sich stark nach Steuerbord und glitt drauf in stolzem Bogen dem Ufer zu, mit allem Aufwand von Pomp und Umständlichkeit, denn er stellte nichts Geringeres vor als den ,Grossen Missouri‘ mit neun Fuss Tiefgang. Er war Schiff, Kapitän, Mannschaft, Dampfmaschine, Glocke, alles in allem, stand also auf seiner eigenen Schiffsbrücke, erteilte Befehle und führte sie aus.
Читать дальше