o
Sonntagskuchen mit Einstein
Silvia Friedrich
o
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Besuchen Sie uns im Internet - papierfresserchen.de
© 2021 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR
Mühlstr. 10, 88085 Langenargen
Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2009.
Herstellung: CAT creativ - cat-creativ.at
Titelbild: Christa Lippich
ISBN: 978-3-940367-66-2 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-360-6 - E-Book
*
Das Mondgesicht
Auf den Grund der Sache
Katerlogik
Neue Gefahr
Schlaraffenland auf Zeit
Wer jagt hier wen?
Wie fängt man einen Unsichtbaren?
Das Geheimversteck
Unerwarteter Besuch
Das Abenteuer beginnt
Der geheimnisvolle Hebel
Burgleben
Der Fremde
E=mc2
Des Rätsels Lösung
Die Autorin
Buchtipp
Impressum
*
Über der Stadt Klein-Wühlbergshausen scheint die Sonne. Die Wühlberge, die sich rechts und links der Stadt befinden, strahlen im Sonnenlicht. Im Tal fließt ruhig der Klein-Wühlbergshausener Gebirgsbach, der wegen der Hitze in diesem Jahr recht wenig Wasser enthält. Die weißen Dampfer der Gebirgsbachflotte können aber trotzdem auf- und abfahren. Jedes Mal, wenn sie an der Stadt vorbeikommen, tuten sie dreimal ganz laut mit der Schiffssirene. Und das ist dann immer ein Höhepunkt des Tages, denn sonst passiert eigentlich nicht viel im Ort.
Schon seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Allen Klein-Wühlbergshausenern ist es viel zu warm. Auch die Kinder haben keine große Lust etwas zu spielen, obwohl es in der Schule fast jeden Tag hitzefrei gibt.
Irgendwo auf der Welt befindet sich noch ein Groß-Wühlbergshausen. Wo das ist, weiß niemand. Aber alle Leute sind froh, dass sie in der kleineren Ausgabe der Stadt wohnen. „Hier ist nicht so viel Verkehr wie in Groß-Wühlbergshausen“, sagen sie dann, obwohl noch keiner je in Groß-Wühlbergshausen war. „Hier ist die Luft viel reiner und klarer“, behaupten die Einwohner des Ortes und freuen sich alle gemeinsam über diesen schönen Platz im Tal zwischen zwei halbhohen Bergen, auf denen man im Winter wunderbar Schlittenfahren kann. Doch ans Schlittenfahren denkt im Moment keiner. Die Sonne prallt vom Himmel herunter und scheint den Ehrgeiz zu haben, alle Tafeln Schokolade im Ort zu heißem Kakaogetränk zu schmelzen. Egon, Lotte und der dicke Fritz sitzen in ihrem Hinterhof auf den Mülltonnen und warten.
„Worauf warten wir denn?“, fragt Lotte, die am liebsten rosafarbene Kleider, Hosen und Jacken trägt, und lutscht an ihrem rosafarbenen Eis.
„Na, darauf, dass du mich mal von deinem Eis probieren lässt“, mault der dicke Fritz. Er hat schon seit über einer Stunde nicht mehr genascht und guckt sehnsüchtig auf Lottes Eis. Doch die leckt genüsslich rosa Tropfen von ihren Fingern, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.
Alle drei gehen in die vierte Klasse der Klein-Wühlbergshausener Stadt-im-Tal-Schule. Genau genommen alle vier, denn in einiger Entfernung sitzt der dünne Manfred, ein Junge aus dem Nachbarhaus, und bewirft die drei mit kleinen Steinchen: „He, dicker Fritz. Bald macht es peng und dann bist du geplatzt. Lotte hat Haare wie Zottel. Hahaha.“
Doch Lotte, Egon und den dicken Fritz scheint es heute nicht zu stören, dass sie von Manfred geärgert werden. Im Augenblick beobachten alle eher Oma Krummbeins Kater Minkus, der sich ebenfalls auf einer Mülltonne ihnen gegenüber niedergelassen hat. Der Kater ist ganz schwarz mit einem grau getigerten Schwanz. Manchmal, wenn man nur den Schwanz irgendwo herausgucken sieht, könnte man annehmen, dass es sich um einen Waschbären handelt. Ein Katzen-Waschbär. Immer wieder beweist Minkus, wie schlau er ist, und manchmal glauben die Kinder, dass er sie genau versteht. Heute jedoch liegt der Kater ausgestreckt auf seiner Mülltonne in der Sonne und schläft. Ab und zu blinzelt er zu ihnen herüber, dann gähnt er wieder ausgiebig und legt sich andersherum, weil diese Haltung vielleicht mehr Vergnügen bereiten könnte.
„Puh, ist das heiß“, stöhnt Egon, der sich selbst auch gerne Einstein nennt, und springt von der Tonne. „Selbst Minkus ist zu faul zum Jagen. Was wollen wir spielen?“
„Ich will nicht spielen, ich will Eis.“ Der dicke Fritz leckt sich mit der Zunge über die Lippen.
„Jetzt denke mal eine Minute nicht ans Essen.“ Egon Einstein ist ärgerlich. „Mann, die Welt ist voller Abenteuer und wir sitzen hier herum und vergeuden unser Leben.“
„So ein Quatsch“, schmatzt Lotte. Sie ist endlich mit der klebrigen Masse fertig geworden und wischt sich mit dem Handrücken den Mund ab.
„Danke, dass du mir nichts abgegeben hast“, mault Fritz.
Lotte ist von ihrer Tonne gehüpft und hat sich auf den Boden gehockt. Sie zieht ein Stückchen Kreide aus ihrer rosafarbenen Hosentasche und beginnt auf den Steinen zu malen: „Punkt, Punkt, Komma, Strich. Fertig ist das Mondgesicht.“ Sie kritzelt dem Gesicht einen großen Mund mit vielen Zähnen darin.
In sicherer Entfernung hockt Manfred und lästert, so laut er kann: „Lotte, Lotte hat Haare wie Zottel.“
Egon Einstein stemmt beide Fäuste in die Hüften, ihn interessiert bei der Hitze nicht im Geringsten, was der dünne Manfred dort hinten von sich gibt. „So, Leute, jetzt lasst uns mal überlegen, was wir heute tun“, sagte er.
Lotte hat sich erhoben und pustet sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, die aber gleich darauf wieder zurückfällt: „Wie wäre es mit Schwimmen gehen?“
„Von mir aus“, stimmt Egon zu. „Was ist mit dir, Fritz?“
Fritz sagt nichts. Er starrt wie gebannt auf den Steinboden hinter Lotte.
„He, was hast du?“ Lotte schüttelt ihn.
„Da ... da ... ich ...“, stammelt Fritz. Er hat Augen und Mund weit aufgerissen und jeden Gedanken an ein Eis total vergessen.
„Was hast du denn?“ Egon rüttelt nun auch an ihm herum. Doch Fritz zeigt nur mit dem Finger auf den Boden. Lotte und Egon drehen sich herum und erstarren.
In diesem Moment schlurft Oma Krummbein auf den Hof. Sie trägt einen kleinen Eimer in der Hand und steuert auf die Mülltonnen zu. „Hallo Kinder, habt ihr Minkus gesehen? Ach, da ist er ja. Geht mal ein wenig zur Seite. Ich möchte meinen Müll ausleeren. Was ist denn?“ Sie guckt von einem zum anderen.
Alle drei Kinder starren auf die Steine des Hofes. Oma Krummbein verfolgt die Blicke und stößt einen kleinen Schrei aus: „Huchjeminee.“
Kater Minkus ist auf seiner Tonne erwacht, streckt sich und springt herunter. Ganz langsam stolziert er auf Oma zu. Auch Manfred, der sich ein wenig näher geschlichen hat, wird aufmerksam.
„Das ist Zauberei“, flüstert Egon Einstein. Die anderen nicken.
„So was gibt es doch gar nicht“, sagt Oma Krummbein nun laut. „Sicher wollt’ ihr mich ein wenig veräppeln, was?“
Das Mondgesicht auf den Steinen vor ihnen lächelt. Ja, es lächelt! Immer wieder verzieht es seinen Mund mit den vielen Zähnen darin zu einem breiten Grinsen, dann wieder zu einem Kussmund.
„Ich verstehe nichts mehr“, stammelt Lotte und starrt auf ihre Zeichnung auf dem Boden, die nun seltsam lebendig geworden ist.
Читать дальше