Nach einem Bad fühle ich mich wesentlich besser. Anscheinend hat Chris’ Aufkreuzen dafür gesorgt, dass mir übel wurde. Ich setze mich auf mein Bett und gehe die Unterlagen durch, die Roger mir hat zukommen lassen. Er will seinen Sohn Chase jedes zweite Wochenende sehen, bei der Wahl der Schule ein Mitspracherecht haben und zweimal im Jahr Urlaub mit ihm machen, wenn er ein angemessenes Alter erreicht hat. Chase soll alles erben, seine Mutter allerdings keinen Penny bekommen und keinen Zugang zu dem Treuhandkonto haben. Falls Roger irgendetwas passieren sollte, bevor sein Sohn volljährig ist, wird sich seine Anwältin – damit bin ich gemeint – um alles kümmern.
Beim Durchsehen der Unterlagen fühle ich, wie meine Lider schwerer werden. Ich lege alles zur Seite und schlafe ein.
Am nächsten Morgen fühle ich mich ausgeruht, voller Tatendrang und verbringe den ganzen Tag im Büro. Der Chris-Palmer-Virus ist wohl endgültig verschwunden. Zum Glück habe ich heute keine Gerichtstermine und kann mich völlig meinen Unterlagen und Beratungsterminen widmen.
Gegen Mittag bekomme ich eine Nachricht von Allan.
Essen heute Abend?
Hätte er mich gestern gefragt, hätte ich definitiv Nein gesagt, so wie ich mich gefühlt habe. Da es mir heute wieder gut geht, werde ich die Einladung meines besten Freundes natürlich annehmen.
Ich: Klar. Wo? Wann?
Allan: Um 19:30 Uhr im La Table.
Warum muss es ausgerechnet das La Table sein. Ein tiefer Seufzer entfährt mir. Ich weiß von Luke, dass Chris sehr gern dort essen gegangen ist. Die Betonung liegt auf gegangen. Ob er es immer noch tut, weiß ich nicht. Ich hoffe, er hat sich mittlerweile ein anderes Restaurant ausgesucht. Auf ein erneutes Treffen mit ihm habe ich nämlich keine Lust.
Ich: Warum nicht bei Eddie? Das Essen dort soll echt gut sein.
Allan: Das wird gerade renoviert.
So ein Mist. Dann will ich nur hoffen, dass Chris heute Abend zu Hause bleibt und nicht mit Jeremy dort auftaucht. Vielleicht veranstaltet er ja mit Kylie eine kleine private Eisparty in seiner Wohnung. Mein Magen meldet sich wieder, und ich nehme zügig einen Schluck aus meiner Wasserflasche, um diesen bitteren Geschmack zurückzubefördern.
Bevor ich mich am Abend mit Allan treffe, rufe ich Trish an, die zurzeit bei einem Anwaltskongress in Baltimore ist. Leider springt nur die Mailbox an. Ich hätte so gern mit ihr gesprochen und ihr erzählt, was gestern vorgefallen ist. Dann versuche ich es eben später noch mal oder warte einfach, bis sie sich bei mir meldet.
Das La Table ist nicht besonders gut besucht und die Gästezahl überschaubar. Meine Augen schweifen herum, und ich sehe weder Chris noch Jeremy. Nur einen gutaussehenden Quarterback, der sofort lächelt, sobald unsere Blicke sich begegnen. Seine Anwesenheit lässt mich jeglichen Kummer vergessen.
„Hallo, Rechtsverdreherin.“
„Hör auf, mich so zu nennen, Supersportler.“
Ja, wir haben schon komische Spitznamen füreinander. Das hat sich im Laufe der Jahre irgendwie so ergeben. Bei mir, weil er denkt, dass ich manchmal die Gesetze missachte und meine Fälle so hinbiege, wie es mir passt, und bei ihm, weil er nun mal der beste Quarterback der NFL ist.
Nach einer kurzen Umarmung setzen wir uns und Allan sagt: „Ich habe dir schon mal ein Glas Tempranillo bestellt.“
Ach, Allan weiß genau, was ich brauche, um nach einem anstrengenden Tag im Büro wieder runterzukommen. Er ist groß, hat einen wahnsinnigen Körper, dunkle Haare, rehbraune Augen und ein Lächeln, das Eis zum Schmelzen bringt. Warum muss er nur schwul sein? Das Leben ist unfair.
„Wie war das Training heute?“, möchte ich wissen.
„Gut. Wir haben ein paar neue Spielzüge ausgearbeitet. Der Coach meinte, wenn wir es schaffen, den Run-Block, Pull und QB Sneak zu kombinieren, sodass …“ Plötzlich hält er inne und sieht mich an. „Das interessiert dich doch gar nicht.“
„Doch, doch, rede weiter.“
„Lay“, Allan stützt die Ellbogen auf den Tisch und verschränkt die Finger, „du hast doch überhaupt keine Ahnung von Football. Ich erzähle dir was von Spielzügen und du verstehst nur Bahnhof. Genauso gut könntest du mir was von Gesetzen und Paragrafen erzählen. Davon verstehe ich nämlich auch nichts.“
„Tut mir leid, Allan.“ Kopfschüttelnd senke ich meinen Blick.
„Schon gut. Weißt du, ich bin unheimlich froh, dass wir die Saisonvorbereitung hier machen. So kann ich ein wenig Zeit mit dir verbringen. Wenn die Saison wieder anfängt, werde ich es kaum schaffen, nach Hause zu kommen.“
Ich weiß nicht, warum, aber ich habe das Gefühl, dass er sehr nachdenklich wirkt. Und meine Vermutung bestätigt sich, während er weiterspricht. „Ich habe mir überlegt, mich zu outen. Meine Mutter weiß es seit ein paar Jahren. Dad lebt nicht mehr, also kann er sich nicht in Grund und Boden schämen.“ Allan nimmt meine Hände und hält sie fest. „Was meinst du dazu? Deine Meinung ist mir am wichtigsten.“
Klar finde ich es gut, dass er sich zu seiner Homosexualität bekennen möchte, aber bei so einem Mannschaftssport ist es vielleicht doch ein kleines Problem. Sehr viele Menschen sehen die Homosexuellen als krank oder als verweichlichte Typen an. Wie werden die Menschen, seine Teamkollegen und die Fans reagieren, wenn er sich outet? Seine Karriere wäre vielleicht in Gefahr. Nicht nur bei den Cowboys, sondern in der gesamten NFL. „Glaubst du wirklich, es ist eine gute Idee? Du könntest aus dem Team fliegen.“
Allan senkt langsam seinen Blick, schaut auf unsere miteinander verbundenen Hände. „Ich kann dieses Versteckspiel nicht mehr. Mich ständig mit irgendwelchen Frauen zeigen, nur damit ich das Image des Frauenschwarms behalte.“
„Das verstehe ich. Aber ich möchte nicht, dass mein bester Freund von den Medien fertiggemacht und seine Karriere beendet wird.“
Allan hebt wieder seinen Kopf und sein Blick verrät mir alles. Er steckt in der Klemme.
„Du hast viel zu hart gearbeitet, um dorthin zu gelangen, wo du gerade bist. Überlege es dir gut, bevor du diesen Schritt wagst. Immerhin bist du ein erfolgreicher und sexy Quarterback, der von allen Frauen angehimmelt wird. Das können nicht viele Sportler von sich behaupten“, füge ich hinzu und zucke mit der Schulter.
Allan hebt meine Hand an seinen Mund und haucht mir einen Kuss auf den Handrücken. Sein Blick ist liebevoll, und er hat diese merkwürdige Art, mich mit nur einem einzigen Blick zum Lächeln zu bringen. Ich verstehe nicht, wie er das macht, aber es fühlt sich jedes Mal gut an. Auch jetzt.
„Du interessierst mich“, sagt er schließlich und mein Lächeln wird breiter. „Du und deine Meinung. Die ist mir besonders wichtig.“
Eine plötzliche Unruhe sorgt dafür, dass Allan und ich unseren Blick zum Eingang richten. Ich hatte gehofft, Chris hier nicht zu begegnen, aber wie der Teufel es so will, taucht er immer genau da auf, wo ich ihn nicht haben will. Sein Kopf läuft rot an und sein ganzer Körper ist extrem angespannt. Jeremy steht vor ihm und blockt ihn, indem er seine Hände auf seine Brust legt.
„Ist das Chris?“, fragt Allan ruhig.
„Ja“, bestätige ich und beiße die Zähne zusammen. Ich dachte, bei seinem Auftritt in meinem Büro hätte ich mich klar genug ausgedrückt. Es hat ihn nicht zu interessieren, wo und mit wem ich mich treffe.
Chris’ Blick ist intensiv und fixiert nicht mich, sondern Allan. Jeremy redet auf ihn ein, aber Chris scheint unbeeindruckt. Er schubst seinen Freund zur Seite und macht sich mit strammen Schritten und geballten Fäusten auf den Weg zu uns.
Instinktiv stehe ich auf und stelle mich zwischen ihn und Allan. Er soll es bloß nicht wagen, meinen besten Freund anzufassen. Meine Augen verengen sich zu Schlitzen, sobald er vor mir stehen bleibt. „Mach auf der Stelle kehrt und verlass das Restaurant.“
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