Die bereits angemerkten Schwankungen des Fleischkonsums zeigen sich jedoch auch und trotz Chicagoer Produktionsvorbild im 20. Jahrhundert in Europa: Führte die fortschreitende Industrialisierung zunächst zu einer Zunahme fleischlicher Nahrung, ließen Kriegs- und Notzeiten diese Entwicklung zwischenzeitlich wieder einbrechen. Dem Wunsch nach dem Verzehr von Fleischprodukten konnte dann in den Nachkriegsjahren in starkem Maß nachgekommen werden und erreichte mit ca. 82,5 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr seinen vorläufigen Höhepunkt in den 1970er-Jahren. Entgegen oft geäußerter, anderer Annahmen, wir würden uns derzeit auf dem fleischlichen Ernährungshöhepunkt befinden, zeigt sich anhand dieser wenigen Zahlen zum einen, dass dem nicht so ist, und zum anderen, dass der menschliche Fleischkonsum im Lauf der Jahrhunderte, durch äußere Faktoren verursacht, einem anhaltenden Wandel unterworfen ist. Fleischkonsum kann somit als Wohlstandsindikator gesehen werden und – damit unmittelbar verbunden – auch als Distinktionsmittel.
It’s the end of the meat as we know it?
Und nun? Besinnen wir uns unseres Fleischkonsums, indem wir über die Benennung von Fleischersatzprodukten diskutieren? Ändern wir unsere Einkaufslisten, weil wir uns jederzeit per Internet über einen gesunden Lebensstil informieren können? Oder versuchen wir, das Fleisch für den eigenen Konsum wieder selbst zu halten, zu schlachten und im Sinne einer umfassenden Resteverwertung zuzubereiten? Wohl kaum. Zumindest führt die Umsetzung nur einer einzigen dieser – zugegebenermaßen recht provokanten – Fragen nicht zu einer bewussteren Ernährung im Sinne einer Berücksichtigung ethisch korrekter Tierhaltung unter Miteinbeziehung ökologischer Überlegungen sowie des fairen Handels.
Dennoch bleibt es durchaus relevant, diese Fragen zu stellen, die Bewegungen anzustoßen und so zu Prozessen beizutragen. Denn das Konglomerat all dieser sich daraus ergebenden Entwicklungen wird vielleicht in einigen Jahrzehnten rückblickend analysiert und vielleicht auch in einem Beitrag wie diesem behandelt. Das Ergebnis unserer heutigen Entscheidungen in Bezug auf unseren Fleischkonsum wird sich somit in der Kulturbedeutung von Fleisch als Nahrungsmittel niederschlagen, wie es schon die Entscheidungen unserer Vorfahren auf die Entwicklungen taten, die wir heute mit Abstand betrachten und in Teilen bewerten können. Es handelt sich tatsächlich um »the end of the meat as we know it«. Doch karnivore Krisen und der menschliche Umgang damit sind kein Neuland. Das stete Wechselspiel soziokultureller Kontexte bringt auch hinsichtlich des Fleischverzehrs, dessen Diskursen, Aushandlungen und Akteuren, und der ihm immanenten Wertschöpfungskette Veränderungen mit sich. Denn, wie schon Heraklit erklärte, ist ja bekanntlich alles im Wandel – unser Umgang mit Fleisch allemal.
Anmerkungen
1Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007.
2Europäisches Parlament: »EU-Agrarpolitik soll umweltfreundlicher, gerechter und krisenfester werden«, Pressemeldung vom 23.10.2020, https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20201016IPR89542/eu-agrarpolitik-soll-umweltfreundlicher-gerechter-und-krisenfester-werden
3Vgl. zur Kulturgeschichte der Ernährung vor allem Gunther Hirschfelder: Europäische Esskultur. Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute. Frankfurt am Main 2005.
4Henriette Davidis: Praktisches Kochbuch. Zuverlässige und selbstgeprüfte Recepte der gewöhnlichen und feineren Küche. Practische Anweisung zur Bereitung von verschiedenartigen Speisen, kalten und warmen Getränken, Gelees, Gefrornem, Backwerken, sowie zum Einmachen und Trocknen von Früchten, mit besonderer Berücksichtung der Anfängerinnen und angehenden Hausfrauen. Bielefeld 1845.
5Henriette Davidis: Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche. Mit besonderer Berücksichtung der Anfängerinnen und angehenden Hausfrauen neu bearbeitet und herausgegeben von Luise Rosendorf. Bielefeld 1887.
6Vgl. Deutsche Gesellschaft für Ernährung: »DGE empfiehlt: Auf Fettmenge und -qualität achten. Fettzufuhr spielt Rolle für die Prävention von Krankheiten«, Pressemeldung vom 24.03.2015, https://www.dge.de/presse/pm/dge-empfiehlt-auf-fettmenge-und-qualitaet-achten/#:~:text=Die%20evidenz-basierte%20Leitlinie%20%E2%80%9EFettzufuhr%20und%20Pr%C3%A4vention%20ausgew%C3%A4hlter%20ern%C3%A4hrungsmitbedingter,Metabolisches%20Syndrom%2C%20koronare%20Herzkrankheit%2C%20Schlaganfall%20sowie%20Krebskrankheiten%20hat
7Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: »Nach vorläufigen Zahlen ist der Außenhandel in und aus der EU mit Fleisch, Fleischwaren und Konserven für 2019 rückläufig«, https://www.bmel-statistik.de/ernaehrung-fischerei/versorgungsbilanzen/fleisch/
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